Unity-Forum
RegistrierungTeammitgliederMitgliederlisteHäufig gestellte FragenSucheZur Startseite Texte Homepage chat

Text-Archiv

Willkommen in der Unity-Bücherei!

Dies ist ein Archiv, dass Texte von Unity-Mitgliedern enthält.
Wenn du deinen Text für dieses Archiv vorschlagen möchtest, kannst du dich mit Xoc in Verbindung setzen.


INDEX


Wurzel allen Übels

geschrieben von Dian

Es lebte einst das Adelspack, vollgefressen, fett und satt,
auf Kosten ihrer Untertanen, angeblich auch in Gottes Namen.
Herrscher, Popen und Erlauchte, die schon damals keiner brauchte,
verklickerten durch Mord und List, dem Volke, dass es nötig ist,
dass sie die Menschen überwachten, und im Ernstfall für sie dachten.
"Wir schützen euch vor bösen Feinden", sagten sie und was sie meinten,
war, dass sie das selbe wollten, wie die, vor den' sie schützen sollten.
Und was sie wollten war nicht wenig, vom Landvogt bis hinauf zum König
Doch da das Volk noch ziemlich dumm, ertrug es diese Lügen stumm,
bis irgendwann der Hunger kam, und ihnen alle Demut nahm.
Denn Folter, Knast und Gängeleien, können Bauern schon verzeihen,
doch nimmt man weg ihr täglich Brot, dann hau'n sie ihre Herren tot.

Wenn sich in deinem Hirn nichts rührt, brauchst du 'nen Führer, der dich führt.
drum dauerte es auch nicht lang, bis der nächste Adel kam.
Sie gaben sich nun bürgerlich, und wüteten gar fürchterlich.
Für Deutschlands Arbeiter und Bauern, für alle, die am Boden kauern,
errichteten sie uns ein Reich, wo alles braun war, alles gleich,
und wer sich noch dagegen wehrte, verzweifelt an den Fesseln zerrte,
verschwand zum Wohl des ganzen Volkes, in einer dunklen Aschenwolke.
Nicht jeder fand das alles gut, und doch fand kaum jemand den Mut,
um gegen etwas anzugehn, zu dem so viele Menschen stehn.
Erst als auch das letzte Kind, gesehen hat, dass es nichts bringt,
im Bombenhagel zu krepieren, und in Russland zu erfrieren,
gab es ein wenig Widerstand, in diesem dummen Vaterland.

Die Freiheit hat das Land ereilt, und wenn es auch noch war geteilt,
so hatten alle doch im Sinn, dass es nun endlich aufwärts ging,
bestimmten Männer, die bestimmten, für all die Stummen, Tauben, Blinden,
die auf einmal "Wähler" hießen, und all zu viel beim Alten ließen.
Noch heute schlägt die Polizei, in Notwehr manchen Mensch entzwei.
Noch immer schießt das Militär, Feinde tot und schafft noch mehr,
Noch immer gibt's ne Oberschicht, hat deren Stimme mehr Gewicht,
als die der arbeitenden Herden, die immer noch beschissen werden.
Doch abgefüllt mit Brot und Spiele, erdulden dieses Leben viele,
bis auch die Spiele und das Brot, gestrichen werden in der Not.
Dann schreien sie nach alten Zeiten, nach Adel, Kaiser, Obrigkeiten,
und dem, der besser als sein Ruf, weil er uns Autobahnen schuf.

So lang Menschen nach Reichtum gieren, Neid und Eifersucht verspüren,
so lang sie trotten mit den Massen, und and're für sich sprechen lassen,
so lang die Schafe nicht begreifen, dass alle Hirten sie bescheissen,
so lange wird das weitergehen, wird nichts dauerhaft bestehen.
Denn jeder Umsturz bringt als Lohn, nur Ruf nach neuer Rebellion.
Sie wälzen um, was grad nicht passt, und dann, in eigennütz'ger Hast,
bauen sie sich eine Welt, die wieder andern nicht gefällt.
Das wird noch tausend Mal passieren, wenn sie nicht endlich mal kapieren,
dass Ausweispflicht und Uniformen, Krieg, Bürokratie und Normen,
Steuern, Zwang und all der Mist, die Wurzel allen Übels ist.

Einst vom Adel eingeführt, hat seither niemand dran gerührt.
So leben wir im Grund noch heute, nach den Ideen dieser Leute,
die doch schon damals keiner brauchte, Herrscher, Popen und Erlauchte.
Man warf die Wichser über Bord, doch ihre Lügen lebten fort.
Bis heute fällt's den meisten schwer, zu glauben dass es möglich wär,
ein Leben ohne die zu führen, die einen führ'n und kontrollieren.
Ein später Lohn für die, die logen, die skrupellos ihr Volk betrogen,
noch immer basiert uns're Welt, auf deren krankem Menschenbild,
wonach die Freiheit nur durch Zwang, aufrechterhalten werden kann,
und der, der dies nennt "Tyrannei", bloß ein verrückter Träumer sei.


nach oben

Die Krise

geschrieben von Dian

Es war morgens um halb neun.
Der von starkem Kaffee und zahllosen Zigaretten aufgeputschte Kanzler blickte besorgt in die ratlosen Gesichter seiner versammelten Experten. Terrorismus, Rezession, Gesundheitsreform und Seuchengefahr... egal, mit welchen Schwierigkeiten die Regierung in den letzten Jahren auch konfrontiert war, letztlich hatte sein hochprofessionelles Kriseninterventionsteam immer einen akzeptablen Ausweg gefunden. Doch dieses Mal blieben die Berater stumm.
"Meine Herren... ich hoffe, ihnen ist der Ernst der Lage bewusst.", beschwor der Kanzler seine Mitarbeiter. "Wenn wir dem Problem nicht schleunigst Herr werden, bedeutet das... es bedeutet nicht weniger als das Ende unserer Zivilisation, daran habe ich keinen Zweifel. Also, wer eine Idee hat, was wir tun könnten, der sollte jetzt allmählich damit rausrücken!"

Einer der Experten, ein adretter Herr mit Seitenscheitel, der sich nervös am Kragen zupfte, hob die Hand und wartete, bis ihm der Kanzler durch eine wohlwollende Geste das Wort erteilte.
"Wie wir wissen, begann der ganze Spuk vor ungefähr drei Monaten.", erklärte er, so knapp, wie es einem wie ihm eben möglich war. "Da tauchten die ersten Fälle auf: Jugendliche, die die Schule verweigerten, gegen ihre Eltern rebellierten, in leerstehende Häuser eindrangen, ihre gesamten Ersparnisse untereinander verteilten und keinem, der sie zur Vernunft bringen wollte, mehr zuhörten. Zunächst glaubten wir noch, dass es an dem nachmittäglichen Fernsehprogramm lag... versteckte Botschaften in gewalttätigen japanischen Zeichentrickserien... oder an dieser unerträglichen Rockmusik. Doch die Betroffenen interessierten sich überhaupt nicht fürs Fernsehen, und viele von ihnen hörten nicht einmal besonders aggressive Musik. Also haben wir vermutet, es könne mit der schlechten Wirtschaftslage zusammenhängen. Aber auch dieser Verdacht erwies sich als falsch... denn das aufsässige Verhalten geht quer durch alle Bevölkerungsschichten. Arm, reich, deutsch, russisch, Asylanten, Internatsschüler... ist alles vertreten." "Ja, das wissen wir doch längst, werter Kollege.", murrte der Innenminister, der mit grimmiger Miene den Vortrag des Experten verfolgte. "Aber wir haben es hier und heute nicht mehr mit Randerscheinungen zu tun. Über siebzig Prozent, meine Herren, machen sie sich das mal klar... Schätzungsweise 74 Prozent aller Jugendlichen im Alter zwischen 12 und 18 waren letzte Nacht nicht zu hause, weil sie sich in irgendwelchen selbstgebauten Unterschlüpfen oder besetzten Gebäuden trafen, um dort... ja, um was eigentlich dort zu tun?"
"Sie liegen nebeneinander oder aufeinander, sie reden, tanzen, haben Sex, schauen sich den Mond an... eigentlich nichts, was sie und ich nicht auch hin und wieder schon einmal getan hätten.", antwortete der Experte.
"Nur mit dem Unterschied, dass wir uns nicht so gehen ließen!", korrigierte der Minister streng. "Sind wir doch mal ehrlich: Viele von uns haben auch ab und zu mal einen Joint geraucht, als sie jung waren. Doch wir hätten uns nie getraut, unsere Eltern zu ignorieren, ihre Verbote zu missachten... ja, sogar allen Ernstes so zu tun, als ob sämtliche Erwachsenen überhaupt nicht mehr existieren würden..."
Der Minister warf kopfschüttelnd mit den Dokumenten um sich, die ihm von seinen Mitarbeitern überreicht worden waren. Darin stand, dass es den Beamten nicht bei einem einzigen betroffenen Jugendlichen gelungen sei, diesen wieder zurück auf die richtige Bahn zu bringen. Versuchte man, vernünftig mit ihnen zu sprechen, lächelten sie nur oder erwiderten wirres Zeug. Und wenn man sie einsperrte oder ihnen drohte, reagierten sie meist überhaupt nicht mehr. Doch die Ärzte bescheinigten, dass in den Hirnen der Betroffenen alles ganz normal funktionierte.

"Wissen wir denn wenigstens etwas Neues über diese geheimnisvolle Droge, die bei vielen der Betroffenen gefunden wurde?", unterbrach der Kanzler die trüber Stille.
"True Blue...", erklärte ein Wissenschaftler in weißer Arbeitskleidung, der gerade erst eilig aus dem Labor zur Konferenz hinzugestoßen war. "True Blue ist eine bläulich aussehende Wurzel, die seit kurzem in der Drogenszene und bei vielen jungen Leuten im Umlauf ist. Wir wissen nicht, woher dieses Zeug kommt, oder wieso es so eine verheerende Wirkung hat. Es scheint stark halluzinogen zu wirken... angeblich soll man, wenn man von der Wurzel isst, einem Engel begegnen, der einem den Sinn des Lebens verrät.
Einer meiner Kollegen, sie haben vermutlich davon gehört, hat einen Selbstversuch gewagt. Eine knappe Stunde später ist er aus dem Fenster seines Arbeitszimmers in den Tod gesprungen. Allerdings muss wohl davon ausgegangen werden, dass Jugendliche von der Droge eher positiv berührt werden, während wir beobachtet haben, dass mit zunehmendem Alter immer negativere Nebenwirkungen auftreten. Was dann auch eine Erklärung dafür wäre, dass True Blue vor allem bei den unter Zwanzigjährigen so populär ist, während die meisten Älteren das Zeug bislang eher meiden oder gleich nach der ersten Kostprobe völlig durchdrehen..."
"Interessant...", sinnierte der Kanzler. "Als ob da jemand ganz bewusst einen Anschlag auf die geistige Gesundheit unsere Jugend ausüben will..." Der Wissenschaftler zog eine Fernbedienung aus der Manteltasche und deutete auf die große Leinwand. "Wir haben noch etwas, was sie interessant finden dürften: Dieses Videoband stammt aus einem Verhör, das Beamte des BND unter Zuhilfenahme von Wahrheitsdrogen geführt haben. Es zeigt Yussuf K., einen sechzehnjährigen türkischen Jugendlichen, der trotz seines jungen Alters schon oft wegen Diebstahls und Körperverletzung aktenkundig geworden ist."

Gespannt ruhten die Blicke der Beteiligten auf der Leinwand, die das Bild eines eher kindlich und harmlos wirkenden Jugendlichen zeigte, der entspannt und hin und wieder still in sich hinein kichernd in einem kargen Verhörzimmer saß.
"Yussuf... sag uns bitte als erstes deinen vollen Namen und deine Anschrift!", ertönte eine Stimme aus dem Off.
"Mein Name... der ist nur für meine Freunde da. Nicht für jene, die ihn nur erfahren wollen, um ihn in eine ihrer Listen einzutragen...."
Er grinste und machte eine Geste, die eindeutig den hinter dem Spiegel stehenden Beobachtern galt.
"Und meine Anschrift... Anschrift? Ich bin doch hier. Hier bei euch. Um eure Fragen zu beantworten..."
"Wo wohnst du?", wollte der Mitarbeiter des Geheimdienstes wissen.
"Hier bei euch!", kam wieder als Antwort zurück.
"Nationalität?"
"Natio.. was?"

"Aus welchem Land kommen deine Eltern?"
Der Beamte, der das Verhör führte, wirkte zunehmend gereizt.
"Ach so. Türkei, glaube ich. Aber das ist jetzt nicht mehr wichtig."
"Was wichtig ist und was nicht, lässt du bitte unsere Sorge sein! Ich möchte jetzt, dass du das Gefühl beschreibst, das du hattest, als du zum ersten Mal von dieser Wurzel... diesem True Blue, probiert hast."

Der Junge schloss die Augen und atmete mehrmals hintereinander tief ein und aus.
"Du kannst das nicht mit Worten beschreiben.", antwortete er. "Da war ein Wesen... es hatte ungefähr mein Aussehen, aber viel schöner, viel strahlender. Zur Begrüßung verpasste es mir erst mal eine schallende Ohrfeige. Ich fragte, was denn los sei... aber das Wesen antwortete nicht. Stattdessen sah ich meine Kindheit vor mir ablaufen... sah meinen Vater, wie er mich verprügelt hat, und ich sah, wie ich mir meinen Stolz auf der Straße dann mit Gewalt zurückholte. "Bist du das?", fragte mich der Engel. "Ja.", sagte ich, darauf fing ich mir gleich nochmal eine Ohrfeige ein. "So bist du das von zuhause gewohnt, nicht wahr?"
"Ja.", sagte ich.
Der Engel grinste hämisch. "Ich verstehe. Du hasst Gewalt... aber nicht aus Prinzip, sondern nur dann, wenn sie dir selbst weh tut, hab ich recht? Ich verrate die was: Du bist im Grunde wie dein Vater, dein Vater war wie sein Vater, und dessen Vater wie dessen Vater... Ihr Menschen bewegt euch im Kreis und merkt es nicht mal. Nein, du verprügelst genauso andere, aber trotzdem willst du, dass dir Gerechtigkeit geschieht. Du verlangst viel, aber du bist nicht bereit, irgendetwas zu geben.
Willst du Liebe, Geborgenheit, eine heile Umgebung? Dann verhalte dich endlich so, wie die Welt deiner Meinung nach sein sollte... und nicht so, wie sie ist!
Du hast den Gesetzen, Verhaltensweisen und Wertmaßstäben deiner Vorfahren genug Chancen gegeben, um dich glücklich zu machen. Und wo hat es dich hingebracht? Probierst ständig irgendwelche Drogen aus, rackerst dich ab, um ein bisschen Geld zusammenzukratzen, damit du anders aussiehst als der nackte Affe, der du deinen Taten zufolge bist... und trotzdem sind überall diese Blicke... diese ignoranten Blicke von anderen, die dich hassen, weil sie genauso unwissend und egoistisch sind wie du.
Doch jetzt siehst du klar. Jetzt ist es an der Zeit, aus der blassen Zelle deiner bisherigen Existenz in eine Welt der Farben auszubrechen...""
"Das hat der Engel gesagt?", fragte der Beamte neugierig.
"Ja.", antwortete der Junge. "Jedes einzelne Wort, ich werde es nie vergessen. Er hat mir die Hand aufgelegt, und ist dann in mir verschwunden..." "Danke, das genügt.", antwortete der Beamte, und fügte zu seinem Kollegen gewandt hinzu: . "Schizoide Persönlichkeitsspaltung aufgrund einer haluzinogenen, LSD-ähnlichen Substanz, würde ich diagnostizieren."
"Nein, meine Persönlichkeit ist nicht gespalten!", protestierte der Junge. "Deine ist es! Du bist nicht in dir selbst. Aber der Engel wird kommen, um dich zu erlösen!"
"Und dann?", hakte der Beamte nach. "Was wollt ihr dann tun, wenn der Engel euch alle erlöst hat und ihr euch in den Armen gehalten und Liebe gemacht habt... dann werdet ihr sehen, ihr müsst essen, ihr müsst arbeiten... ihr braucht diese Gesellschaft, die ihr anscheinend so verachtet." "Ja, wir werden arbeiten, hat der Engel gesagt. Aber nicht für eure Welt, sondern für unsere. Nicht länger nach euren Regeln, sondern nach unseren."
"Das genügt!", regte sich der Kanzler auf und veranlasste den Wissenschaftler mit einer harschen Geste dazu, hastig den Projektor auszustellen. "Meine Herren... wenn sich diese Ansicht durchsetzt, ist das der wirtschaftliche Super-Gau. Alles würde zusammenbrechen." "Diese kleinen Scheißer!", schimpfte einer aus der zweiten Reihe der Anwesenden. "Haben keine Ahnung von Wirtschaft und Politik, keine Waffen... und dennoch können sie alles lahmlegen..."
"Ja, wir können sie ja schlecht erschießen, oder?", antwortete ein anderer. "Oder alle einsperren. 74 Prozent..." Die Unterhaltung wurde von einem eilig in den Saal stürmenden Mitarbeiter des Kanzleramtes unterbrochen. Er hielt ein Fax in den Händen, mit dem er aufgeregt herumwedelte.
"Hören sie sich das an! Gerade meldeten Nachrichtenagenturen weltweit, dass der Papst eine True Blue-Wurzel gegessen hat. Eine halbe Stunde später hat er... er hat..."
Es fiel dem Angestellten sichtlich schwer, weiter zu sprechen. "Nun reden sie schon, was hat er?", fragte der Kanzler, dessen Nerven allmählich zum Zerreißen gespannt waren. "Er hat sich in einer Pressekonferenz für all seine Fehler entschuldigt, ein Liebes-Verhältnis mit einem jungen Priester eingestanden, und alle Gläubigen der unterschiedlichen Konfessionen aufgefordert, in die Kirchen zu gehen und dort gemeinsam True Blue-Wurzeln zu essen!" "Das... das kann ja wohl nicht... nicht sein Ernst sein...?!", stammelte der Kanzler geschockt. "Was zur Hölle will er denn damit bezwecken?" "So, wie es aussieht, glaubt er, dass Gott die Menschen mit der Wurzel zurück auf den rechten Weg führen will... er sagte wörtlich, True Blue sei ein Geschenk. Ein Geschenk aus der Ewigkeit, um uns Menschen daran zu erinnern, wer wir wirklich sind."
Der Tumult im Saal wurde immer lauter. Jeder schien den anderen mit seinen Expertisen übertönen zu wollen. Der Kanzler war längst aus seinem Stuhl gesprungen und lief nun fieberhaft auf und ab... grübelte angestrengt, wie er auf diese schlimmste aller Krisen reagieren sollte.
Wenn jetzt nicht nur Jugendliche, sondern auch noch die Gläubigen von dieser ominösen Droge befallen werden sollten... dann wäre alles verloren. Alles. "Geben sie her!", forderte der Kanzler schließlich den Wissenschaftler auf, und nahm ihm ein Stück blauer Wurzel aus der Hand. "Wenn selbst der Papst das Zeug probiert hat..."
Dann schluckte er die Wurzel angewidert herunter, noch bevor ihn einer seiner erschrockenen Angestellten daran hindern konnte. Es dauerte nicht lange, bis sich die ersten Symptome bemerkbar machten. Leichtes Schwindelgefühl, ein unwirkliches Glücksgefühl... Der Kanzler musste sich setzen.

"Herr Bundeskanzler?"
"Können sie uns hören?"
"Ist alles in Ordnung mit ihnen?"
"Sagen sie schon, wie fühlt es sich an?"
Auf einmal riss der Kanzler wieder die Augen auf. Seine Berater, die Experten... sie saßen noch immer ihm gegenüber an dem großen Verhandlungstisch. Doch ihre Worte prallten allesamt an ihm ab.
Da war diese Gestalt... eine große, bläulich schimmernde Gestalt, nicht unähnlich dem Kanzler selbst, doch um viele Jahre jünger... so, wie er einst als knapp 18jähriger ausgesehen hatte.
"Wer bist du? Bist du... der Engel?", fragte der Kanzler überrascht.
"Ich bin du.", sprach die Gestalt. "Ich bin du, siehst du das nicht? Ich bin du und ich muss sagen, es widert mich an, was aus dir geworden ist!" "Wieso? Ich bin immerhin Bundeskanzler. Das warst du damals nicht, oder?"
"Nein.", konterte der imaginäre Besucher. "Nein... ich war damals einfach nur in Jasmin verliebt. Erinnerst du dich an sie? Du wolltest sie ficken, aber sie hat einen anderen genommen. Genaugenommen wollte überhaupt niemand mit dir ficken, weil du kein besonders hübscher Junge warst. Deshalb fingst du doch überhaupt erst an, dich für Politik zu interessieren. Du tratest der Jugendorganisation deiner Partei bei, und hast dort unter den ganzen Ehrenämtern und Küngeleien einen schönen Ersatz für all die Nippel gefunden, die du nie hattest lecken dürfen. Und heute... heute sitzt du hier, mit dicken Sorgenfalten auf der Stirn, und regst dich über harmlose True Blue-Junkies auf, nur weil sie genau das tun, was du dich in deiner Kindheit nie getraut hast.
Du hasst sie, weil sie die ordentliche, graue Welt gefährden, in die du dich damals aus Angst vor den bunten Farben geflüchtet hast. Doch du kannst niemals vor dir selbst fliehen, Kanzler. Das funktioniert nicht mehr.
Du bist eine zutiefst tragische Gestalt... ein Politiker, der nie unter Menschen gehen kann, ohne Angst haben zu müssen, mit Eiern beworfen oder erschossen zu werden... dabei warst du doch einmal ein Junge, der einfach nur liebgehabt und verstanden werden wollte. Genau wie all die anderen. Du bist ich. Und du hast mich bitter verraten und all die Jahre lang vor der Welt versteckt."

Der Kanzler weigerte sich mit all seiner Kraft, sich von diesem Ding bequatschen zu lassen.
"Ich bin im Gegensatz zu dir eben erwachsen geworden!", rechtfertigte er sich empört. "Ich habe gesehen, wie die Welt funktioniert, und sie mir Untertan gemacht."
"Du selbst bist der Untertan!", antwortete die Gestalt mit eindringlicher Stimme. "Untertan eines Konstruktes, das seit Jahrhunderten... ja, seit Jahrtausenden, von einer Generation zur nächsten übermittelt wird. Regeln, Gesetze, Amtssprache... das ist eine Fessel. Du brauchst keinen Gesetze, du brauchst Überblick. Du musst verstehen, was gut ist und was schlecht. Nicht durch Regeln, nein, denn Regeln kann man brechen. Du musst es am eigenen Leib erfahren, Kanzler. Du musst all die Schmerzen spüren, die du jemals anderen zugefügt hast. Dann wirst du es in Zukunft besser machen, denn du wirst dich fürchten vor jedem Mal, an dem du anderen durch deine Beschlüsse Schmerzen zufügst. Weil du all diese Schmerzen von mir erhalten hast und sie das Schlimmste sind, was du jemals ertragen musstest..."
Der Engel war jetzt ganz nah an den Kanzler herangetreten und legte ihm widerstandslos seine Hand auf die Stirn.
"Spürst du das?"
Der Kanzler bäumte sich auf. Er schrie, heulte, versuchte sich in seinen Sessel zu graben, er rutschte auf und ab, flehte und kreischte. Die umstehenden Berater waren machtlos. Sie bemühten sich, ihren Chef so gut es eben ging zu fixieren... doch der war völlig von Sinnen und ließ sich durch keine weltliche Hand mehr beruhigen.

Der Kanzler fühlte jetzt. Er fühlte jeden einzelnen Fausthieb, den Männern ihren Frauen verpassten, nachdem sie durch die rigorose Sparpolitik der Regierung arbeitslos und zu Alkoholikern geworden waren. Er fühlte die Todesangst der Soldaten, die er in den Krieg geschickt hatte, den Hunger der Kinder, die in den Asylantenheimen wohnen mussten, während der Kanzler selbst im Luxus schwelgte, und die Schmerzen des Polizisten, der von einem dieser jahrelang wie Tiere gehaltenen Asylbewerber mit einem Messer abgestochen worden war.
Und dann fühlte er noch die Trauer von dessen Sohn, und die Angst von denen, die zehn Jahre später von dem mittlerweile aus ohnmächtiger Wut zum Skinhead gewordenen Nachwuchs des Polizisten mit Schlägen und Tritten durch die Stadt gejagt wurden.
So viel Leid, so viel Panik, so viele Unzumutbarkeiten... entstanden einzig aus den Bemühungen des Kanzlers und seiner Lakeien, eben solche Dinge rigoros zu verhindern.

"Du bist kein böser Mensch.", sprach der Engel weiter. "Du wolltest das Richtige tun. Aber sieh: Hast du eine Ahnung, wie wenige Untaten in der Vergangenheit aus Böswilligkeit geschehen sind, und wie viele aus guter, edler Absicht heraus?
Das ist also keine Entschuldigung, wenn du mich fragst. Nicht für einen Mann, der die Geschichte so gut kennt wie du.
Kriege, Hungersnöte, Terrorismus, Angst... und du denkst, das kann man in den Griff kriegen, in dem man eine Welt aus Papier und Plastik erbaut? Eine Welt, in der man ohne Ausweise und Geld genauso aufgeschmissen ist wie ohne eine Leber oder einen Magen?
Du kannst nichts daran ändern, dass dein Körper essen muss, Kanzler. Du kannst es nicht ändern, dass du alterst und irgendwann sterben wirst. Aber du könntest verhindern, dass es mehr Abhängigkeiten gibt als von der Natur vorhergesehen. Hast du das getan? Nein... du hast sogar noch neue Abhängigkeiten geschaffen. Zum Wohl der Menschen, hast du gesagt. Zum Wohl aller Menschen?
Nein... doch letztlich nur zum Wohl derjenigen, die bereit waren, ihr Leben von dir und deinesgleichen einpacken und portionieren zu lassen. Andere leiden. Hörst du sie? Spürst du sie? Ach, hier habe ich noch was ganz spezielles für dich... der Schmerz eines Mädchens, die wegen zu häufigem Schuleschwänzens in ein Heim kam. Als sie durchdrehte, weil sie es nicht ertrug, längere Zeit eingesperrt zu sein, brachte man sie in die Psychiatrie. Dort traf sie andere, und gemeinsam gingen sie dann in den Tod.
Spürst du den sich durch deine Glieder malmenden ICE? Spürst du die Schmerzen des Todes? Und das nur, weil ein Mensch frei sein wollte und die von dir verwalteten Regeln nicht ertrug.
Spüre es, verfluchter Kanzler! Spüre es und erkenne, dass du nichts als eine innerlich verkrüppelte Version des Mannes bist, der du eigentlich hättest sein können. Du bist ein Modell, das versagt hat. Ein Fehlschlag der Schöpfung.
Aber weißt du was, Kanzler? Du brauchst dich auf deine alten Tage nicht mehr zu ändern, denn wahrscheinlich bist du dazu sowieso nicht mehr im Stande. Doch die Jungen... denen, die noch nicht von dieser Welt und all ihren falschen Einflüssen vergiftet worden sind, denen wird die Natur ihre ganze Herrlichkeit offenbaren."
Die Stimme des Engels wurde sanfter, als er sich langsam mit dem Kanzler vereinigte.
"True Blue wurde erschaffen, um die Menschen zurück auf den richtigen Weg zu bringen. Nenn es Evolution, wenn du nicht von Gott reden willst... Ja, Evolution. Dank True Blue sehen die Menschen weiter, sie erkennen, was sie zu dem gemacht hat, das sie zu sein glauben... sie können zu ihrer wahren Natur durchdringen, die sie schon so lange vergessen hatten.
Das ist wie bei den Affen, die eines Tages erkennen, dass sie aufrecht besser vorwärtskommen als auf allen Vieren.
Ihnen gehört die Zukunft, Kanzler. Die anderen... die die nicht verstehen wollen... die werden bald zu einer vom Aussterben bedrohten Art gehören. Es ist deine Entscheidung, auf welcher Seite du stehen willst. Aber wirf der Evolution keine weiteren Steine in den Weg, sonst wird sie dich beißen. Und jetzt geh nach Hause, Kanzler... geh nach Hause, und umarme deine Frau, so herzlich, wie du es sonst nur bei Presseterminen tust..."
Der Kanzler wischte sich schweißgebadet die Tränen aus den Augen.
Nur langsam konnte er wieder die Umrisse seiner Mitarbeiter erkennen, die ratlos um ihn herumstanden und ihm mit ihren Papieren angestrengt Luft zufächerten.
"Herr Bundeskanzler? Hören sie mich?"
"Ja... ja.", stotterte er, und griff benommen nach einer Flasche Wasser vom Tisch, die er ohne abzusetzen austrank.
"Meine Herren... Jungs... Ich gehe!"
"Sie gehen?", fragte der Innenminister erschrocken. "Aber... was ist denn nun mit unserer Krise? Was hat das Zeug mit ihnen gemacht?"
"Die Krise... ich glaube, da ist gar keine Krise.", antwortete der Kanzler und bahnte sich einen Weg durch die Reihen seiner vermeintlichen Experten. "Das ist nur die lange angekündigte Apokalypse. Der Tag des jüngsten Gerichts, wenn sie so wollen..."
"Der Tag des jüngsten Gerichts?", empörte sich der Innenminister. "Ich bitte sie... ist das ihr Ernst, Herr Bundeskanzler?"
"Ja.", antwortete der Kanzler leise und reichte dem Minister ein Stück der blauen Wurzel. "Ja, das ist mein Ernst. Auch wenn dieser Tag so ganz anders ist, als ich ihn mir immer vorgestellt hatte. Aber er ist nun gekommen..."
"Und was machen wir jetzt?"
Der Kanzler zuckte mit den Schultern und blickte ein letztes Mal zu seinen Leuten zurück.
"Nachholen, was wir so lange versäumt haben, vielleicht... unsere Lieben umarmen... kiffen... bumsen. Suchen sie sich was raus, was ihnen Vergnügen bereitet, und tun sie's einfach. Denn wenn sie nächste Woche wieder hier her zur Arbeit kommen, dann wird sie keiner mehr beachten. Wenn sie eine Presseerklärung abgeben wollen, wird keine Presse mehr da sein, die das interessiert. Und wenn sie Schießbefehl erteilen, sind da keine Soldaten mehr, die auf ihr Kommando hören würden.
Gott hat uns entwaffnet, Herr Minister. Er hat alle Regierungen der Welt ausgehebelt. Und das ganz ohne Gewalt. Nur mit einer tödlichen Dosis Wahrheit..."

nach oben

Arbeit macht krank!

geschrieben von Arne Kroger
überarbeitet von Dian


Wie lange wird unser System wohl noch funktionieren?
Wir leben hier materiell abgesichert. Es geht uns besser als den meisten Menschen. Unsere Lebenserwartung ist höher als irgendwo anders auf der Welt. Bisher haben wir unseren Lebensstandard ja auch ganz bequem auf Kosten von Schwächeren in ärmeren Ländern halten können. In letzter Zeit wird jedoch alles härter.
Bisher mussten die Mächtigen noch Rücksicht darauf nehmen, dass es hierzulande einige Intellektuelle gab, die die Bevölkerung aufhetzen könnten, für Gerechtigkeit und Vernunft einzustehen.
Doch nun fehlt, unter anderem durch die Selbstmontage der Gewerkschaften und die immer weiter nach rechts wandernden Links-Parteien, bald jede vernünftige Opposition im Land. Alle Versuche, ein alternatives Wirtschaftssystem zu etablieren, bei dem es um die Bedürfnisse des Individuums anstatt um den Profit von einigen wenigen geht, sind gescheitert oder werden von der Bevölkerung erst gar nicht mehr ernst genomen. Das Volk hängt gierig an den Lippen der Unternehmer und Wirtschaftsbosse. "Die haben es schließlich zu was gebracht - die kennen sich aus.", sagen sie sich. Und vertrauen daher lieber den heiligen Wirtschaftsweisen als irgendwelchen idealistischen, als weltfremde Träumer belächelten Polit-Rebellen.

Es gibt immer weniger Menschen, die noch verstehen, was mit uns gemacht wird. Die meisten sind gedankenlose Mitläufer, die sich nur all zu gerne mit unserem System arrangieren und ihrem Chef hintenrein kriechen. Für diese Arschkriecherei gibt´s schliesslich guten Lohn. Und damit kann man sich allerhand überflüssiges, aber todschickes Zeug kaufen , so z.B. den DVD - Player mit Dolby Surround-Boxen, den neuen Flachbildbildschirm und das dritte Auto sowie den Kurzurlaub in Thailand.
Alles Sachen, die ungeheuer angenehm sind, wenn man nach Ablenkung sucht und sich in selbstzufriedener Gedankenlosigkeit verlieren möchte. Nachdenken, innehalten und reflektieren unerwünscht - denn Innehalten bedeutet Stillstand, und der ist Gift für unser auf ständige Expansion angewiesenes Wirtschaftssystem.
Und genau hier liegt der Hund begraben:
In Wahrheit sollen solche überflüssigen Luxusgüter nämlich in keinster Weise uns oder die Menschheit voranbringen, sondern nur von dem Tatbestand ablenken, dass uns die Arbeit, die wir dafür verrichten müssen, zunehmend krank macht. So krank, daß wir oft schon gar nicht mehr in der Lage sind, auch nur kleine materielle Freuden, geschweige denn ideelle Freuden, wirklich zu genießen.
Wir ziehen an den Luxus-Lügen wie ein Nikotinsüchtiger an seiner Zigarette. Am Ende nur noch aus Gewohnheit, nicht mehr aus Gründen des Genusses. Mit Genuss hat es vielleicht einmal angefangen, als wir uns mit unserem ersten selbstverdienten Geld einen langgehegten Traum erfüllen konnten. Aber enden tut es fast immer mit zwanghaftem Verhalten, üblen Nebenwirkungen, indem man sich selbst etwas vormacht, und schlimmer noch:
Arbeit tötet!

In der Bundesrepublik passieren jedes Jahr -zigtausende von tödlichen Arbeitsunfällen. Durch Personalabbau und zunehmenden Streß steigt diese Zahl. LKW-Fahrer rasen wie die Blöden und gefährden andere Menschen, nur um ihre Termine einzuhalten und nicht gefeuert zu werden. Man kontrolliert ihre Tachoscheiben - aber niemand kommt auf die Idee, einmal das System, den wahren Schuldigen für diese Unfälle, zu hinterfragen und gegebenfalls zu verändern. Doch auch ganz normale Angestellte, Arbeiter und Abteilungsleiter gefährden sich durch den ungesunden Stress und Termindruck jeden Tag aufs Neue:
Um nach der Arbeit noch etwas von ihrem Feierabend zu haben, drücken sie nicht selten bei der Heimfahrt gefährlich aufs Gas, oder verunglücken, weil sie morgens trotz Glatteis oder anderer übler Witterungsbedingungen, bei denen jeder normale Mensch eigentlich lieber zu hause bleiben möchte, zu ihrem Arbeitsplatz hetzen müssen.
Oder nehmen wir nur mal die Bauarbeiter: Die sind meist mit 50 schon Krüppel mit krummem Rücken und kaputten Knochen, nur noch ein Schatten des jungen, lebensfrohen Geschöpfes, das sie einst gewesen waren.

Ich frage euch:
Was habt Ihr von den ganzen Gütern und eurem Luxus-Eigenheim, wenn Ihr tot seid? Überprüft mal, ob ihr bei Eurer Arbeit die ganzen Sicherheitsvorkehrungen, die angebracht sind, wirklich noch einhalten könnt.
Wie oft riskiert Ihr Euer Leben, damit andere davon profitieren? Warum muß einer sterben, damit ein anderer gut leben kann? Wäre weniger nicht manchmal mehr?

Arbeit macht krank!

Nun denkt Ihr vielleicht: "Ich arbeite doch nur im Verkauf. Das ist ein Bürojob, der wird mich schon nicht killen. Mir kann doch nichts passieren." Irrtum!
Die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte schätzt mittlerweile, daß durch die Arbeitsbedingungen ca. 25 % der Bevölkerung depressiv sind. Das heißt: - Erhöhte Suizidgefahr für jeden Einzelnen!
- Erhöhte Suchtgefahr für jeden Einzelnen mit allen Folgen, die das Leben verkürzen (Wie abgestumpft muß wohl heutzutage ein Schüler sein, der es bis zum Abi schafft ohne Joint, ohne Alkhol, ohne Nikotin?)
- Erhöhte Gefahr, in der Psychiatrie zu landen.
Gründe dafür sind unter anderem: Mobbing, Stress, widernatürliche Arbeitsbedingungen dank DIN ISO-Normen und Qualitätsmanagement, die eher zum Denkmuster einer programmierbaren Maschine passen, als zu einem kreativen, eigenständig denkenden Menschen.
Viele stumpfen dadurch ab, verdrängen ihre Gefühle, oder werden nach zehn oder zwanzig Jahren gleichförmigen Trott regelrecht "verrückt".

Wenn es dann soweit ist, ist es für die meisten zu spät.
Natürlich glaubt jetzt noch jeder, daß ihm das nicht passieren kann. Aber im Laufe des Berufslebens ist so ein Schicksal statistisch gesehen wahrscheinlicher, als daß Ihr einen gutbezahlten Job in einem Vorstand bekommt. Statt Luxus ein Viererzimmer in einer Geschlossenen. Statt vollem Gehalt maximal noch 70 % Krankengeld und nach eineinhalb Jahren die Kündigung und dann ALG I und II.Je willenloser Ihr jetzt schon seid, desto willenloser werdet Ihr vielleicht dann.
Viele Insassen einer Psychiatrie haben einen "Amtlichen Betreuer". Der übernimmt alle Eure Grundrechte. Die Betreuung kann sich auf die gesundheitliche Vorsorge beziehen (d.h. der Betreuer legt fest, was ihr an Medikamenten nehmen müßt, natürlich in Absprache völlig überlasteter Ärzte), oder auf das Aufenthaltsbestimmungsrecht (Ihr meint, Ihr müßt nicht mehr in der Klappse sein - das habt ihr nicht zu entscheiden. Euer Betreuer regelt das für Euch), oder auf finanzielle Sachen. Ihr glaubt doch nicht, daß ihr Euch selber noch was kaufen dürft, ohne Euren Betreuer zu fragen - und wie erreicht ihr den? Da müßt Ihr schon ganz lieb zu den ebenso überlasteten Pflegern sein, sonst lassen sie Euch nämlich gar nicht ans Telefon. (kostet ja auch Geld).

"Nun gut.", sagt Ihr jetzt vielleicht. "Aber eine Depression, das krieg´ich doch nie im Leben!"
Wirklich nicht?
Habt Ihr bisher immer alles so managen gekonnt, wie Ihr das wolltet? Habt Ihr Euch nicht vielleicht doch darauf verlassen, daß das ganze Geld, das ihr verdient, ausreicht, um Euch das Leben zu versüßen? Habt Ihr genug Freunde, die zu Euch stehen, wenn das ganze Kartenhaus um Euren Job mal zusammenfällt? Hat man Euch in Ruhe eine Partnerschaft gründen lassen, die euch auch wirklich das bietet, was ihr euch wünscht... oder habt ihr, wie so viele, den Beruf vorgezogen anstatt Partnerschaft und Freundschaften zu pflegen?
Nicht selten verlieben sich die Menschen nicht hauptberuflich, sondern gewissermaßen nur "als Nebenjob". Selbst wenn sie heiraten, betrachten sie das alles immer noch als höchstens die zweitwichtigste Tätigkeit ihres Lebens.
Denn wenn man sie fragt, was sie sind, werden sie nicht sagen: "Ich bin der Mann meiner Frau", sondern "Ich bin Bauarbeiter oder Bäcker, oder Verwaltungsfachangestellter."
Zu viele definieren sich einzig durch ihre Arbeit.
Doch wieviele Absicherungen sind noch da, wenn der Beruf eines Tages mal wegfällt? (was statistisch gesehen für jeden Einzelnen von uns immer wahrscheinlicher wird...)

Oder glaubt Ihr allen Ernstes, daß Ihr noch genug verdienen werdet, bis es soweit ist?
Die ganzen jetzigen Reformen, die den Arbeitslosen das Geld rauben, sind nur dazu da, um Euch im Arbeitsleben die Löhne zu drücken. Auch da, wo es tariflich schwer fällt, werden Zusatzleistungen wie Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld, Urlaubsansprüche, Arbeitszeiten usw. immer weiter reduziert.
Und das nicht zum Wohl des Volkes, wie es immer so schön heißt, sondern zum Wohl einiger weniger Mächtiger, die von euch das Sparen einfordern und selber nach wie vor im Luxus leben wie die Sonnenkönige.

Es gibt kaum ein Land, das so reich ist wie die BRD. Das dauernde Genöhle über die schlechte Wirtschaftslage und die hohe Arbeitslosigkeit hilft in erster Linie den Unternehmern, ihre Löhne weiter zu drücken.
Was wir wirklich brauchen, ist ein klares "NEIN" zu ihren Methoden und Werten! Man kann auch von 300 € im Monat leben, wenn einem die Miete gezahlt wird, wie es der Staat ja (noch) bei ALGII-Empfängern macht.. Und man kann, wie schon erwähnt, auch ohne jegliche Luxusgüter leben.
Fragt Euch mal: Was brauchen wir wirklich? Und überlegt euch auch mal: Was haben denn die Menschen in manchen anderen Ländern?
Solange wir den Sinn des Lebens nur darin erkennen, unsere materiellen Besitztümer zu steigern, kann es keine gerechte Welt geben.
Auf unserer Erde verhungert immer noch jede Sekunde ein Mensch. Das kann uns hier in Deutschland kaum passieren, mit 300€ im Monat und Aldi vor der Tür. Wir leben immer noch in stabilen Häusern, die kein Sturm wegfegt. Wir müssen nicht unbedingt zu Fuß gehen, wenn wir in die Nachbarstadt oder ins Nachbardorf wollen. Bei uns gibt es (zwar schlechte, aber immerhin) Verkehrsmittel. Trotzdem sollen wir fürchterlich leidend tun, damit die Bosse denjenigen, die noch eine Arbeitsstelle haben, drohend zurufen können : "Muckt bloß nicht auf, sonst geht es Euch wie denen, die arbeitslos sind!"

Ja, und?
Es ist keine Schande, in einem Land arbeitslos zu sein, das längst mehr Waren und Güter produziert, als der Menschheit eigentlich gut tut. Nicht die Arbeitslosen sollten sich für die Arbeitslosigkeit entschuldigen müssen, sondern diejenigen, die für dieses System die Verantwortung tragen! Auf der einen Seite haben wir Millionen Arbeitslose, von denen viele gerne arbeiten würden.. und auf der anderen Seite jede Menge gestresster Arbeitender, denen kaum noch Zeit zum Entspannen und Reflektieren ihres eigenen Daseins bleibt.
Ein paradoxer, unsozialer Zustand, den wir nicht länger dadurch hinnehmen sollten, daß wir das Spiel weiter unkritisch nach den Regeln der oberen Zehntausend spielen. Denn daß es auch anders gehen kann (ja sogar: muss), sollte eigentlich jedem klar sein.
Es gab und gibt immer Alternativen. Und noch haben wir die Wahl: Krank zu werden mit wenig Geld und Freiheiten, oder ein selbstbestimmtes Leben zu führen mit fast genauso wenig Geld, aber dafür glücklich und frei.
Also was spricht dagegen, erst einmal nachzudenken, die Dinge zu hinterfragen, und dann einen anderen Weg einzuschlagen, bevor es zu spät ist?



den Text runterladen
nach oben

Das Netz

geschrieben von Dian

Ach, wie einfach war es doch zu früheren Zeiten, für eine bessere Welt zu kämpfen!
Das Land war voller böser Tyrannen, und wenn man frei sein wollte, musste man denen und deren Söldnern einfach nur die Köpfe abschlagen und die Herrschaft selbst an sich reissen. Ganz, ohne dabei irgendwelche Gewissensbisse haben zu müssen... denn die Typen hatten es zweifellos nicht anders verdient.
Schließlich versklavten und beraubten sie ihr Volk, und rechtfertigten ihre Herrschaft (relativ leicht durchschaubar) oft einzig mit Gottes Willen oder der Qualität ihres blauen Blutes.

Die Tragik unserer heutigen Gesellschaft ist dagegen, dass es eindeutig böse, niederträchtige Menschen kaum mehr zu geben scheint.
Heutzutage ist vielmehr nahezu jeder der oberen Zehntausend ein großer Menschenfreund, der für die unteren Milliarden angeblich nur das Beste will... und fast jeder, der andere unterdrückt oder einsperrt, tut dies nicht etwa im Namen irgendwelcher finsterer Mächte, sondern meist bloß im Namen (und zum Wohle) der Allgemeinheit.
George W. Bush meint es eigentlich nur gut mit der Welt, er ist halt ein bissel verblödet... genau das selbe gilt für Stoiber, Schröder und vermutlich auch Putin, der es mit den Russen und den Tschetschenen auf seine Art und Weise wahrscheinlich auch nur gut meint.
Die Eltern meinen es gut, wenn sie ihren Kindern morgens den Schlaf rauben, um sie zur Schule zu schicken... denn wenn sie das nicht tun, bekommt das Kind schließlich ernsthafte Schwierigkeiten. Und zwar von den Lehrern, die das zu spät kommende Kind jedoch ebenfalls nicht deshalb bestrafen, weil sie böse und niederträchtige Menschen wären, sondern weil sie es im Grunde auch nur gut meinen und das Kind auf unsere Gesellschaft voller Pflichten und Zwänge richtig vorbereiten wollen.
Viele Manager meinen es vermutlich gut, wenn sie einen Teil ihrer Belegschaft entlassen... es geht immerhin um das Wohl des großen Ganzen, und da bedarf es Leute, die auch mal mit harter Hand ein paar unangenehme Entscheidungen treffen können.

Unsere heutige Massen-Zivilisation ist wie ein grosses Netz. Wir alle bilden dieses Netz, und sind gleichzeitig darin gefangen.
Dagegen anzugehen, bedeutet automatisch auch, dass man hin und wieder Menschen, die eigentlich auch nur nach bestem Wissen und Gewissen ihre Rolle in diesem Netz auszufüllen versuchen, als "dumm" und "fehlgeleitet" bezeichnen muss.
Damit erntet man natürlich nicht nur Zustimmung... denn anders als diejenigen, die etwa früher gegen verhasste, weit entfernt regierende Tyrannen die Stimme erhoben haben, erheben wir unsere Stimme ja quasi auch immer ein wenig gegen unsere nächste Umgebung, gegen Familienangehörige und Nachbarn...
Gegen Teile des selben Systems, in dem jeder in unserer Gesellschaft in irgendeiner Weise feststeckt... gegen durchaus sympathische, liebenswerte Menschen, die es nur gut meinen, aber leider nicht in der Lage sind, die erstickende Enge des Netzes zu erkennen, in dem sich die meisten wie besessen aneinander festhalten und sich dadurch gegenseitig am freien Atmen und Leben hindern.


nach oben

wir können es schaffen

geschrieben von Che
überarbeitet von Dian


wir können es schaffen
wenn wir all unseren mut zusammen nehmen
uns nicht wie Spießer zu benehmen
wir können es schaffen
ihm zu entkommen dem Monster
wir können frei sein wie Vögel
wir müssen nur lernen zu fliegen
und uns nicht zu verbiegen



Jeden Abend schläft er mit diesen tröstenden Gedanken ein. Doch davor grübelt er jedes mal stundenlang darüber nach, wie er endlich entkommen könnte Ihr denkt jetzt vielleicht, das ist bestimmt wieder so ne Geschichte über einen Häftling, der irgendwo ausbrechen will. Und irgendwie trifft das auch zu. Er will ausbrechen - allerdings nicht aus einem Gefängnis im herkömmlichen Sinne.
Es geht um etwas völlig anderes. Es geht um ein Gefängnis ohne Gitterstäbe und Zellen. Ein Gefängnis, dem man viel schwerer entkommen kann als Wachhunden und gut sichtbaren Selbstschussanlagen.
Es geht um das Gefängnis in den Gedanken der Menschen, das von scheinbar so harmlosen, unauffälligen Dingen gesichert wird wie den täglichen Schulaufgaben, Werbespots oder der amerikanischen Musikindustrie...
Das gnadenlose Gefängnis des Alltags.

PIEP . PIEP . PIEP... Und da war es wieder, dieses nervige Geräusch, das er über alles hasste. Das Piepen seines nervtötenden Weckers. Vorbote eines weiteren Tages in der Hölle der Ahnungslosen.
Jetzt muss er aufstehen und sich anziehen, wie man es von einem anständigen Sklaven verlangt. Wie es die Gesellschaft von ihm verlangt. Und seine Eltern. Also quält er sich missmutig hoch, schlappt routiniert zum Badezimmer, um sich zu erleichtern und mit klarem kalten Wasser zu erfrischen. Mehr aus Gründen der Gewohnheit, als aus dem ehrlichen Wunsch heraus, für die anstehenden Pflichten des Tages gewappnet zu sein.
Kurze Zeit später sitzt er am Frühstückstisch und prügelt sich die mehr oder weniger gut schmeckenden Cornflakes rein. Die gesunde Sorte mit den extra vielen Früchten - für ein langes, erfolgreiches Leben, wie es die Werbung fast schon drohend verspricht.
Dann heißt es Tasche packen und ab in die Bahn, um ja nicht zu spät in die Schule zu kommen.
„Schule“ - Er fand dieses wohlklingende Wort ja eigentlich ziemlich verharmlosend. So etwas wie „Gehirnwäsche-Amt“ oder „Erziehungsanstalt“ schien ihm ungleich passender zu sein. Beim Hören des Wortes „Anstalt“ schossen einem jedenfalls sofort Bilder von festgeschnallten Menschen, kalten Korridoren und beengenden Vorschriften ins Hirn. Und Schule war im Grunde nichts anderes – nur, dass die Fesseln hier nicht sichtbar waren, an den Wänden bunte Bilder hingen, und auch sonst alles Erdenkliche unternommen wurde, um den Anstaltsalltag wie ein völlig freiwilliges, einzig dem Wohl der Kinder dienendes Bildungs-Schlaraffenland darzustellen.
Doch welcher einigermaßen normale junge Mensch ging heutzutage schon motiviert und glücklich zur Schule?
Wer außer einem bekennenden Masochisten empfand Vergnügen daran, von einem elektronischen Weckruf aus dem Schlaf gerissen zu werden und jeden Morgen wie ein abgerichteter Hund in einen Zug oder Bus voller übelgelaunter Leidensgenossen zu hetzen, dort bemüht teilnahmslos auf den Boden zu starren und sich auf jede Menge Arbeit und anstehenden Ärger zu freuen?
Menschen lieben von Kindesbeinen an ihre Freiheit. Doch dort in diesem Gebäude wurde ihnen tagtäglich beigebracht, sie zu hassen und als etwas Unnatürliches zu empfinden, das nie für sie bestimmt gewesen ist.
Vielmehr sollen sie lernen, Freude an Leistung und Mühe zu empfinden. Denn Leistung bringt Geld, und Geld brauchen sie früher oder später alle, um in der konsumgeilen Gesellschaft, in der sie aufwachsen, mithalten zu können.
In einer Welt, wo alles immer schneller, leistungsstärker und billiger werden muss. Computer, Autos, Kaffeemaschinen... und natürlich die Menschen. Auch die hatten schließlich längst Preisschilder umhängen, und manchmal gab es sie sogar im Sonderangebot.

Wie auch immer, er sitzt jetzt jedenfalls in dieser Bahn, die ihn in seine Anstalt bringen soll.
Und wenn er einfach nicht hingehen würde?, hatte er sich schon des öfteren überlegt.
Wenn er einfach mitten auf dem Schulweg kehrt machen und in die andere Richtung laufen würde?
Was dann?
Ja, was dann?
Vermutlich würde ihm die sonst so friedlich wirkende Gesellschaft dann recht schnell ihr wahres Gesicht offenbaren. Dann würde sie die Zähne fletschen und drohend ein paar ihrer hunderttausend Krallen ausfahren. Und diese hinter all dem scheinheiligen Geschwätz von „Kultur“ und „Demokratie“ verborgene Fratze zeigte sich längst nicht nur ihm, sondern allen, die auch nur einen falschen Schritt machten und die Welt außerhalb des ausgetretenen Trampelpfades erkunden wollten.
Allein schon der Gedanke daran, die Angst vor den Konsequenzen, sorgt dafür, dass wir uns in Acht nehmen und jeden unserer Schritte zweimal überdenken. Und so springen die dressierten Seehunde jeden Tag aufs Neue durch den Feuerreifen in der großen Arena... selbst dann noch, wenn ihnen längst niemand mehr zusieht und sie unbemerkt über den Wassergraben in die Freiheit entkommen könnten. Doch Freiheit ist ähnlich wie Schwimmen etwas, an das man sich erst einmal gewöhnen muss... und genau das fällt den modernen Menschen ungemein schwer, denn man lässt ihnen erst gar keine Möglichkeit dazu.
Nichtschwimmer, denen man aus Angst, sie könnten ertrinken, jeden Kontakt mit dem Wasser verbietet, werden nie lernen, im Meer zu überleben. Und das sollen sie auch gar nicht.
Stattdessen werden ihnen fürsorglich die kleinen, hilfreichen Kniffe beigebracht, um vom Wärter einen größeren Fisch gereicht zu bekommen als ihr Nachbar. Denn für ein Leben im Zoo genügt das vollauf.

Mittlerweile wie ferngesteuert aus der Bahn gestiegen und um die Ecke gebogen, werden seine Gedankengänge abrupt unterbrochen, als er ein paar Mädchen aus seiner Klasse über den Weg läuft.
Grund genug, sich mit ihnen wie so oft über Gott und die Welt zu unterhalten. Oder besser gesagt, über Hausaufgaben und den Vertretungsplan, denn nur daraus schien die Welt an Vormittagen wie diesem für die meisten seiner Gesprächspartner zu bestehen. Und wie so oft wundert er sich, wieso sie sich in der Öffentlichkeit alle so oberflächlich benehmen, und ob sie tief drin in ihrem Kopf auch so oberflächlich sind oder nur weitaus besser schauspielern können als er.
Einmal mehr wird ihm bewusst, dass es ihm eigentlich mit nahezu allen aus seiner Klasse so geht. Dass er sie alle nur oberflächlich kennt... vielleicht so ähnlich wie Gladiatoren ihre Trainingspartner, die sie auch gar nicht näher kennen lernen möchten, weil sie sich irgendwann im Dienst des blutgierigen Publikums gezwungen sehen könnten, ihnen ohne Mitleid den Kopf abzuschlagen.
Die Schule bereitet schließlich schon im Kleinen vor, was später auch im großen Leben verlangt werden würde: Das Zusammenarbeiten mit Menschen, die einem eigentlich am Arsch vorbeigehen, für eine Sache, die einem eigentlich nichts bedeutet, mit dem Ziel, darin besser zu sein als andere, die einem eigentlich herzlich egal sind.
Da war Oberflächlichkeit fast schon vorprogrammiert.
Wobei viele sicher andere Vorstellungen davon haben als er, was das Wort „oberflächlich“ bedeutet.
Für ihn heißt es so viel wie, dass er zwar in der Pause mit seinen Mitschülern Skat spielen würde, aber niemals mit ihnen über die Dinge reden konnte, über die er mit Menschen, mit denen er gemeinsam in einer Anstalt gefangen gehalten wurde, eigentlich gerne sprechen wollte. Über Fluchtpläne, über Widerstand, oder einfach über seine alltägliche Abscheu vor diesem Leben im Kreis oberflächlicher Gladiatoren, das ihn zunehmend schwarz sehen lässt für die Zukunft.

In der Schule angekommen wird erst mal weiter gedöst, bis der Unterricht anfängt. Dann muss er die Lauscher auf Empfang stellen und sich, statt sich eigene Gedanken zu machen, einen riesigen Haufen unendlich mal durchgekauter Scheiße einflößen lassen.
Als kleines Beispiel sei nur mal das Thema „Glück“ erwähnt, das die Klasse gerade in Ethik behandelt. Natürlich nicht ihr eigenes Glück, sondern das Glück von irgendwelchen vermoderten griechischen Philosophen, die sich vor einigen tausend Jahren schon so viele Gedanken darüber gemacht haben, dass man diese heute praktischerweise nur noch durch den Kopierer jagen und auswendig zu lernen braucht.
Anschließend wird dann noch krampfhaft versucht, eine Definition für „Glück“ aufzustellen. Und es erscheint ihm, als ließe man den Häftling eines Konzentrationslagers aus purem Sadismus einen Aufsatz über das Thema „Freiheit“ schreiben.
Glück ist das, was Anarchisten wie er nie haben können in diesem System. Aber gut, dass man darüber geredet hat. Gut, dass man in Geschichte über den Kommunismus redet und in Religion über Nächstenliebe.
Letztlich sind es jedoch nur Phrasen. Vergängliche Gedankenspiele, die dazu verdammt sind, diese Anstalt nie zu verlassen, weil sie sich im engmaschig drum herum gespannten Stacheldraht verfangen und gnadenlos in Stücke gefetzt werden, noch ehe ihre Samen in Freiheit hoffnungsvolle Früchte tragen könnten. Man speichert die Definition von Glück eben irgendwo im Hinterkopf ab, um sie bei Bedarf herunterbeten zu können wie das Periodensystem oder irgendwelche Deklinationstabellen.
Dann ertönt die Pausenglocke, und man darf sich in dem wohligen Gefühl sonnen, sich wieder ein wenig weiterentwickelt zu haben.

Wie jeden Tag geht er dann in der großen Pause in den benachbarten Supermarkt, um sich dort beim Bäcker einen Zupfkuchen zu holen.
Und in den anderen Pausen spielt er dann mit den anderen Skat und jede Woche die selben Fächer und jeden Tag die selben Gesichter und jeden Tag tropft ein weiterer Tropfen in den Kessel mit jeder scheiß Bemerkung von Lehrern oder Schülern, die angesichts des bedrohlich immer näher rückenden „Ernst des Lebens“ zunehmend häufiger werden.
Und er fühlt, auch wenn er für Außenstehende biegsam wie eine vereinzelte Weide im Wind wirken mag, wie sich das angestaute Volumen dieses Kessels innerlich langsam dem kritischen Punkt nähert. Er hofft, dass bald etwas passiert, was den Kesseldruck wieder normalisiert, denn sonst kann er für nichts garantieren. Lieber zerstört er, was ihn zerstört, bevor er zulässt, dass es ihn zerstört... und er merkt, dass er es zerstören muss, wenn der innere Druck eine bestimmte Marke überschreitet.
Dieses Leben - dieses unmenschliche Korsett des Alltags, das ihm die anderen übergestülpt haben - Wie gerne würde er es zerschmettern und jedem ins Gesicht schlagen, der es ihm jemals wieder anzulegen versuchte.
Doch Wut hat in dieser Gesellschaft keinen Platz.
Wer wütend ist und sich mit Gewalt gegen etwas wehrt, gilt als asozial und kommt in eine noch viel schlimmere Anstalt als diese. Ganz egal, wie berechtigt die Wut auch sein mag.
Wut wird von zivilisierten Menschen nicht geduldet.

Zivilisierte Menschen??
Er fühlt, dass er dringend eine Pause braucht, oder zumindest einen Ort der Ruhe, aus dem er Erholung und neue Kraft schöpfen kann. Ein Asyl, das dafür sorgt, dass er vorerst nicht zu zerstören braucht.
Und so reist er wie so oft in Gedanken an diesen Ort, während sein Körper auf einem harten Stuhl sitzt und hin und wieder eine Bewegung ausführt, um zumindest den Anschein zu wahren, dass er noch hier beim täglichen Beschallungsritual verweilt. Doch in Wahrheit badet er längst fernab von hier in einer geheimen Kraft-Quelle, und hofft dabei, dass auch die anderen bald eine solche Quelle finden mögen... denn sonst ist der Untergang der Menschheit nur noch eine Frage der Zeit. Eine seiner Lieblings-Quellen heißt „Freundschaft“.
Das, was möglich sein würde zwischen den Menschen, wenn ihnen nur endlich jemand begreiflich machen könnte, dass sie die völlig falschen Götter anbeteten. Eine heilige Freundschaft, für die sie genauso selbstverständlich zu Opfern bereit wären, wie sie sich heute acht Stunden am Tag für ihre Karriere und ihr Auto aufopfern.
Aber in der heutigen Welt ist es schwer, eine so enge Freundschaft aufzubauen, denn viele der guten alten Werte sind inzwischen verloren gegangen. Werte, die man eigentlich um jeden Preis hätte bewahren müssen. Doch der Kapitalismus ließ sie längst skrupellos ersetzen - durch Karrieregeilheit, Konkurrenzdenken und Klingeltöne.
Man geht in die Schule, um für’s Leben zu lernen, wie sie es ihm immer wieder erklärten. Und übersetzt bedeutet „Leben“ bei ihnen: Für eine materiell abgesicherte Zukunft, für Wohlstand und die Garantie, dass auch morgen noch pünktlich der Wecker bimmeln wird. Kein Wort über Freundschaft und Liebe in der Schule. Kein Wort über Freiheit, außer, wenn man mal einen altmodischen Quellentext über irgendeinen längst niedergeschlagenen Bauernaufstand liest oder gemeinsam mit dem Lehrer eine scheiß Begriffs-Definition zu finden versucht. Und so ist es kein Wunder, dass die Anzahl derer, die so denken wie er, immer geringer wird, denn es fehlen die Vorbilder, es fehlt der Tritt in den Arsch. Jeden Morgen tritt einem der Wecker in den Arsch, damit man seine Pflicht erfüllt und dem heiligen Fortschritt dient. Aber wer tritt einem in den Arsch, um einen daran zu erinnern, was im Leben wirklich zählt?
Wer verpasst einem einen Arschtritt im Namen von Liebe und Freiheit?
Wer ermahnt einen dazu, den Wecker klingeln zu lassen... einfach nicht länger darauf zu reagieren und stattdessen den Alltag zu bestreiken?
Niemand tut das.
Aber er möchte es so gerne tun, wenn er zurückkehrt von seiner Reise und wieder die Augen öffnet. Dann will er sie endlich alle aufklären. Seine Mitschüler genauso wie die Lehrer, jene studierten Sklaven des Systems, die andere Sklaven ausbilden und zuweilen sogar noch glauben, ihnen damit etwas Gutes zu tun. Und eines Tages wird es sie dann geben, diese bessere Welt, von der er in nahezu jeder Schulstunde träumt. Wenn doch nur ein paar mehr erkennen würden, wie sehr sie alltäglich verarscht werden. Verarscht von den Typen, die einen höhere soziale Stellung haben als andere, und verarscht von dem ganzen scheiß System.
Aus Menschen werden seelenlose Maschinen. Und die meisten finden das noch nicht einmal schlimm, so lange sie als Maschinen nur genug Arbeit haben und gutes Geld verdienen...

DING DONG.
Endlich dieses erlösende Geräusch der Schulklingel. Das Zeichen der Freiheit. Die Erlaubnis, sich für ein paar Stunden der behördlich verordneten Gleichschaltung entziehen zu dürfen. Zumindest bis zum nächsten Morgen, wenn wieder der Wecker klingelt, und er wieder aufstehen muss, um einen Alltag zu durchleben, den er so nie gewollt hat.
Aber keiner hat ihn je nach seiner Meinung gefragt.
Und keiner wird ihn jemals danach fragen.

PIEP . PIEP . PIEP

nach oben


Powered by Burning Board 2.2.2 © 2001-2004 WoltLab GmbH | Impressum