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Zum Ende der Seite springen Die neue Unity-Philosophie  
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dian
unregistriert
Die neue Unity-Philosophie 09.12.2007 18:53 Diesen Beitrag einem Moderator melden Zum Anfang der Seite springen

Prolog


Zweifellos... die Menschheit hat in den letzten zehntausend Jahren eine beachtliche Entwicklung hingelegt.
Wo einst einige weit verstreut lebende Horden von Höhlenmenschen zaghaft ihre ersten Schritte in Richtung Zivilisation begannen, tummeln sich heute über 6 Milliarden von ihnen... wie selbstverständlich umgeben von Technologien, Fortbewegungsmitteln und Unterhaltungsmöglichkeiten, die für ihre Urahnen in den Höhlen noch völlig unvorstellbar gewesen wären.
Verglichen mit jenen, die einst in Bärenfelle gehüllt auf dem harten Steinboden kauerten und mit Feuersteinen in den klammen Fingern versuchten, irgendwie ein wärmespendendes Feuer zu erzeugen, haben wir, die wir in den reichen, westlichen Industrieländern leben, eigentlich wenig Grund, uns über unsere Lebensumstände zu beklagen.
Und selbst, wenn doch einmal kritisch denkende Menschen in ihren warmen, bequemen Klamotten auf die Straße gehen oder in irgendwelchen Publikationen das Unrecht auf der Welt anprangern, so ist dies eigentlich Jammern auf sehr hohem Niveau... denn immerhin gibt es Straßen, auf denen marschiert werden kann, und Sprache, Schrift und Massenmedien, um miteinander weit über die Nachbarhöhlen hinaus Gedanken auszutauschen.
Ist also, von ein paar verbesserungswürdigen Kleinigkeiten abgesehen, alles in Ordnung mit unserer Welt?
Sollten wir uns mit dem, was wir bzw. unsere Vorfahren schon erreicht haben, zufrieden geben und dankbar die Schnauze halten?
Mitnichten!
Zwar hat sich im Lauf der Menschheitsgeschichte eine Menge zum Besseren gewendet, doch mindestens ebenso viel ist auf ihrer langen Reise auch gründlich daneben gegangen...
Zu viele Menschen haben sich in der Anonymität der Massengesellschaft selbst verloren. Sie fristen heute ein lemminghaftes Konsumenten-Dasein, eingepfercht in unflexible, faschistoide Gesellschafts-Strukturen, die es dem Einzelnen schwer machen, einen radikal anderen Weg einzuschlagen als seine Vorfahren, und so die gravierenden Fehler, die diesen bei der Errichtung unserer Zivilisation unterlaufen sind, zukünftig zu vermeiden.
Stattdessen werden überall auf der Welt, immer und immer wieder die selben altbekannten Dummheiten begangen, aller Vernunft und schlechter Erfahrungen zum Trotz... so dass sich einem beim Blick in die Geschichtsbücher manchmal schon der schmerzhafte Eindruck aufdrängt, dass die Menschheit zumindest in ethischer Hinsicht eine nahezu lernresistente Spezies ist.

In unverbesserlicher Ignoranz nahmen die Menschen die Erde in ihren Besitz, führten Kriege, unterdrückten sich gegenseitig, und entwickelten dabei die unmöglichsten religiösen und politischen Gedankenkonstrukte, um das, was sie einander antaten, moralisch vor sich selbst und ihren Mitmenschen rechtfertigen zu können.
Millionenfach wurde getötet, geraubt und geopfert... mal für den allgegenwärtigen Führer, ohne dessen Visionen man sich verloren und hilflos wähnte, mal für das System, dem man als Einziges zutraute, die Zeiten zu überdauern und den eigenen Nachkommen ein besseres Leben zu bescheren, mal für religiöse Wahnvorstellungen, die man als bis in alle Ewigkeit gültigen Willen Gottes auffasste.
Die zahllosen Soldaten, die sich im Krieg für das eine oder andere höhere Ziel in Stücke schießen ließen, waren sicherlich nicht immer felsenfest vom Sinn ihrer mörderischen Tätigkeit überzeugt. Doch letztlich glaubten sie wohl alle daran, dass die Ideale, für die sie stritten, zumindest ein bisschen sinnvoller waren als die Ideale der Gegenseite... sonst hätten sie ihre Waffen ja ebensogut auch gleich auf die eigenen Leute richten können.
Blickt man dann allerdings mit einigen Jahrhunderten Abstand auf die Bemühungen des unglückseligen Kanonenfutters zurück, muss man ihnen in der Regel attestieren, dass sie ihr Leben völlig umsonst weggeschmissen haben.
Ein Großteil der Regime, für die sie einst kämpften und die sie für das Nonplusultra menschlicher Schöpfungskraft hielten, liegt mittlerweile zerfallen im Staub der Geschichte. Die ehemals ernstgenommenen Führer wurden zu Comicfiguren, und die allermeisten religiösen Überzeugungen, für die man sich früher so stolz gegenseitig abmassakrierte, gelten heute allerhöchstens noch als Zeichen von Rückständigkeit und Naivität.
Welchen Einfluss hat die einstige Seemacht Karthago heutzutage?
Wen interessiert es im 21. Jahrhundert noch, ob seine Nachbarn katholisch oder evangelisch sind?
Und wer nennt seine Kinder heute noch "Adolf"?
In gewisser Weise war (fast) alles für'n Arsch, wofür man einstmals mit wehenden Fahnen und im festen Glauben an eine bessere Zukunft in den Tod marschierte.

Dennoch stehen die Menschen heute schon wieder bereitwillig an der Heimatfront...
diesmal im Namen von Menschenrechten, Demokratie und Freiheit (oder dem, was sie in ihrem beschränkten Denken dafür halten mögen.)
Und obgleich es in der Vergangenheit zahllose vermeintlich unbezwingbare Weltreiche gab, die viele hundert Jahre überdauerten, bis sie schließlich doch von fortschrittlicheren besiegt und in ihre Bestandteile zerlegt wurden, ist der moderne Mensch von heute der festen Überzeugung, dass die wenigen Jahrzehnte, in denen wir nun in einem "Rechtsstaat" und "sozialer Markwirtschaft" leben, Beweis genug dafür seien, dass es sich bei unserem heutigen System um das beste aller möglichen Systeme handeln muss.
Wieder werden in grenzenloser Arroganz jene, die anderer Meinung sind und sich diesem System nicht unterordnen wollen, als "faul", "dumm" oder gar "böse" bezeichnet. Wieder wird eingesperrt und getötet, überwacht und unterdrückt. Wieder werden junge Menschen von Kindesbeinen an dazu gedrillt, fleißig zu sein, Opfer für die Gemeinschaft zu erbringen und den Gesetzen zu gehorchen, die andere in ihrem Namen beschlossen haben.
Zwar behauptet man, durchaus seine Lehren aus der Vergangenheit gezogen zu haben, weil man ja die Macht der Führer beschränkt, die Lebensbedingungen des Einzelnen stark verbessert und Kriege, Gesetze sowie staatliche Strafmaßnahmen deutlich humaner gestaltet habe, als dies in früheren Zeiten der Fall war.
Auf die Idee, dass es vielleicht nicht mit Detailverbesserungen getan ist, weil die Probleme weitaus grundsätzlicherer Natur sind, als dass man sie mal eben durch ein paar neue Kontrollmechanismen und das Umbenennen der Führer in "Volksvertreter" aus der Welt schaffen könnte, kam man dabei jedoch offensichtlich nicht.
Es scheint, als habe sich die Überzeugung, dass ein einigermaßen zivilisiertes Zusammenleben der Menschen nur durch allgegenwärtigen Zwang und ausgeklügelte hierarchische Strukturen möglich ist, längst dermaßen in das kollektive Bewusstsein der Leute eingebrannt, dass sie sich eine völlige Abkehr von diesem Ungeist, eine wirklich radikale Neuordnung der Gesellschaft, nicht einmal mehr vorstellen können.
Ein Leben ohne Militär, ohne Schulpflicht, ohne Konkurrenzkampf und Arbeitslosigkeit?
„Nein, das ist nicht möglich.", rufen sie alle im Chor. „Utopie! Spinnerei! Gotteslästerung!"
Einen jeden Gedanken daran blockt man sofort ab, verweist auf die gescheiterten Experimente der Vergangenheit (Sozialismus, ´68er-Bewegung und Co.), und verteidigt das heutige System als den ultimativen Weg zur Glückseligkeit, zu dem es keinerlei sinnvolle Alternativen gibt... auch wenn man bei genauerem Nachfragen zähneknirschend zugeben muss, dass längst nicht alles so perfekt läuft, wie man es gerne haben würde.

Aber können Menschen, die nie etwas anderes als eine Welt voller staatlicher Gewalt und individueller Ohnmacht erlebt haben, überhaupt vernünftig beurteilen, ob es nicht vielleicht doch einen anderen, alternativen Weg geben könnte?
Kann ein in einem mehreren Quadratmeter großen Gehege aufgewachsener Panda beurteilen, ob er im Urwald ein besseres oder ein schlechteres Leben führen würde? Wer weiß, vielleicht hätte er sogar Angst... Angst vor der Ungewissheit, Angst vor der Freiheit und der damit verbundenen Eigenverantwortung.
Eine Angst, die aus seiner Sicht sicherlich äußerst verständlich sein mag, für die ihn ein jeder im Dschungel lebende Artgenosse jedoch allerhöchstens bemitleiden und auslachen würde.
Und die Menschen?
Sitzen in ihrem klimatisierten Käfig mit medialer Non-Stop-Berieselung... beobachten mal interessiert, mal schockiert, mal gleichgültig, was mit den Käfiginsassen um sie herum passiert... regen sich über manche Ungerechtigkeiten auf, etwa, wenn es plötzlich weniger zu Fressen gibt als sonst, oder wenn sie einer ihrer Aufpasser schlecht behandelt.
Doch die längst offene Tür, die sie in die Freiheit führen würde, durchschreiten sie nicht. Ja, einige haben sogar geradezu panische Angst davor, reagieren mit Ignoranz, Unverständnis und manchmal sogar Gewalt auf diejenigen, die versuchen, sie auf die sich ihnen bietende Chance auf ein Leben in Freiheit hinzuweisen.

Der nachfolgende Text will in erster Linie zum Nachdenken anregen, über die offensichtlichen und weniger offensichtlichen Fehler des Systems und der darin lebenden Menschen... darüber, was man besser machen könnte, und auf welchen Gebieten sich die Menschheit unbedingt noch weiterentwickeln sollte, wenn sie ernsthaft vor hat, die nächsten paar hundert Jahre einigermaßen unbeschadet zu überstehen.
Denn eine Sache ist klar: Wenn die zahlreichen, größtenteils längst chronisch gewordenen Leiden, an denen die Gesellschaft krankt, wie bisher nur anhand ihrer Symptome bekämpft werden, während man die diesen Leiden eigentlich zu Grunde liegenden Ursachen weiterhin als heilige Kühe betrachtet, die nicht angetastet werden dürfen, dann ist es angesichts der rasanten technologischen Entwicklung und dem kontinuierlichen Anstieg der weltweiten Bevölkerungszahlen nur eine Frage der Zeit, bis dieses ganze, vermeintlich so gut ausgetüftelte Gebilde genauso in sich zusammenbricht wie die vielen gut ausgetüftelten Gebilde zuvor ... und dann werden auch die unzähligen positiven Errungenschaften, die die Menschheit im Lauf der letzten Jahrhunderte hervorgebracht hat, und die zweifellos erhaltenswürdig wären, bald nur noch die unter Bergen von Schutt und Asche begrabenen Zeugnisse einer weiteren untergegangenen Hochkultur sein.


KAPITEL 1 - Der Mensch, das Herdentier


Wenn man die Probleme der Welt und die Ursachen für all die Unterdrückung und Kriege der letzten paar tausend Jahre untersucht, kommt man nicht umhin, sich zunächst einmal genauer mit einer menschlichen Eigenschaft zu beschäftigen, die all diese hässlichen Dinge überhaupt erst möglich gemacht hat:
Es ist die menschliche Sehnsucht nach Führung, nach einer Einzelperson oder einer Gruppe, die einem die Richtung vorgibt... die einem in scheinbar unübersichtlichen Situationen sagt, „wo es lang geht".
Nicht umsonst haben sich bei den Religionen mit dem Christentum und dem Islam zwei strenge, dogmatische Kulte durchgesetzt, deren Geistliche ihren Gläubigen oft haargenau vorschreiben, auf welche Weise sie zu leben haben... die die Menschen bevormunden und ihnen einen Führer (Gott) vorsetzen, der als einziges Wesen perfekt ist und alle Antworten kennt. (auch wenn er diese in seiner typisch unergründlichen Art meist für sich behält.)
Nicht umsonst werden in wirtschaftlich schlechten Zeiten die Rufe nach Politikern laut, die mit „starker Hand" regieren.
Und es ist auch kein Zufall, dass sich vor allem junge Menschen immer wieder gern einer im elitären Gewand daherkommenden Subkultur anschließen, die von ihnen ein bestimmtes uniformes Aussehen und Verhalten verlangt, ihnen im Gegenzug aber das gute Gefühl gibt, Teil von etwas ganz Besonderem, und damit auch selber etwas Besonderes, zu sein. In dieser Hinsicht unterscheidet sich der kleine Pimpf, der damals in die Hitlerjugend gegangen ist und begeistert deren Lieder mitgesungen hat, nicht sonderlich von dem Markenklamotten-tragenden, trendsüchtigen Jugendlichen von heute, der sein Aussehen und Verhalten völlig unkritisch den Alphatieren seiner Clique oder den Popstars aus dem Fernsehen anpasst.
Doch was ist es, was die Menschen über Generationen hinweg immer wieder aufs Neue dazu treibt, ihre Individualität aufzugeben bzw. sie zumindest bis zu einem gewissen Grad einzuschränken... sich oftmals unkritisch wie ein Schaf in eine von anderen geschaffene Ordnung einzureihen und deren Gebräuche und Denkweisen ohne Widerspruch zu übernehmen?
Zum einen ist dies natürlich die Tatsache, dass man in der Gruppe wesentlich stärker ist als alleine.
Egal ob Skinheads oder gewalttätige junge Ausländer... wenn man diese Leute einzeln antrifft, sind sie oft arme, verstockte Würstchen, die nicht einmal einem längeren Blickkontakt mit Passanten standhalten und außer „ja" und „nein" kein vernünftiges Wort herausbringen. Doch in der Gruppe, im Beisein von einem interessierten Publikum, vor dem sie sich beweisen oder wichtig machen können, werden sie auf einmal zu coolen, selbstbewussten Siegertypen. Auch, wenn es sich nüchtern betrachtet nur um eine Ansammlung von gescheiterten Existenzen handelt, wirken sie doch schon allein durch die zahlenmäßige Überlegenheit auf ihre außenstehenden Mitmenschen einschüchternd und bedrohlich.
Außerdem kann man sich wunderbar in einer solchen Gruppe verstecken... im übrigen um so besser, je oberflächlicher und austauschbarer die einzelnen Gruppenmitglieder sind. Wer einmal eine Gruppe Glatzen mit Springerstiefeln und Bomberjacken oder einen streng dreinblickenden Trupp Uniformierter an sich vorübermarschieren sah, weiß, wie schwer es ist, diese Weltraum-Affen, für die „Individualität" bloß irgendein ausländisches Schimpfwort zu sein scheint, auseinanderzuhalten.
Aber es ist natürlich nicht nur der Zugewinn an Stärke und der damit verbundenen Sorglosigkeit, der die Menschen zu überzeugten Mitgliedern einer größeren Herde macht.
Hinzu kommt die (nachvollziehbare und eigentlich auch positive) menschliche Sehnsucht nach Zusammenhalt, Kameradschaft... oder anders formuliert, nach Liebe und Wertschätzung.
Nicht selten sind die eifrigsten und angepasstesten Herdentiere ja jene, welche in ihrem bisherigen Lebensumfeld zu wenig Liebe erfahren haben... sei es in Form von echten Freunden, Eltern oder einem verständnisvollen Lebenspartner.
Den Ersatz dafür hoffen sie dann in der Gruppe zu finden. Und dies gelingt ihnen bis zu einem gewissen Grad auch, sind sie dort doch unter ihresgleichen... unter Leuten die ihre Sprache sprechen und die gleichen Fehler begehen wie sie.

All dies mag ja bis jetzt vielleicht sogar eher für das Sich-Auflösen in einer Schulhofgang, religiösen Gemeinschaft, Parteiorganisation oder sonstigen wie auch immer gearteten Herden sprechen.
Verständlich, dass man gerne unter Gleichgesinnten ist, und dass man sich beschützt und sicher fühlen möchte. Doch leider hat man, wenn man in einer Gruppe Unterschlupf gefunden hat, nicht nur Rechte und Vorteile, sondern eben auch Pflichten. Vor allem natürlich die Pflicht, mitzumachen... Mitzumachen, wenn die Gruppe sich entschieden hat, bestimmte Dinge zu tun oder zu lassen, wie zum Beispiel andere Gruppenmitglieder auszugrenzen oder Gewalt gegen Andersdenkende anzuwenden.
Im schlimmsten Fall werden solche Entscheidungen von einem Führer bzw. Leithammel getroffen, ohne dass der Einzelne in der Gruppe noch einen großen Einfluss darauf hat. Im besten Fall darf der Einzelne demokratisch mitentscheiden, welcher Weg eingeschlagen wird... wobei seine Stimme dann ungefähr "1 geteilt durch die Mitgliederzahl der Herde" wert ist.
In jedem Fall aber wird man früher oder später dazu gezwungen sein, einzig aufgrund seiner Gruppengehörigkeit anders zu handeln, als man dies ohne die Gruppe getan oder vielleicht auch nur in Erwägung gezogen hätte, und wird so ungewollt zum Spielball jener Gruppenmitglieder, welche die unterschwellig immer vorhandenen gruppendynamischen Prozesse besser für ihre eigenen Zwecke zu nutzen verstehen als andere.
Dass dadurch nicht unbedingt die gutmütigsten, ausgeglichensten Persönlichkeiten am Steuer sitzen, sondern eher die gierigsten und skrupellosesten einer jeden Herde bestimmen, wo es langgeht, ist da nur logische Konsequenz.

Dieses Prinzip gilt im Übrigen nicht nur bei Jugendcliquen, bei denen ja meist derjenige mit dem größten Maul oder den trendigsten Statussymbolen den Ton angibt (was ja hier noch am ehesten zu verschmerzen sein mag, da die Macht solcher Cliquen begrenzt ist), sondern genauso auch im großen gesellschaftlichen Rahmen.
Wann wird ein Politiker schon mal wegen seiner guten Ideen und seines Charakters gewählt?
Wer jetzt meint, „natürlich, sowas gibt es doch auch", der sollte sich einmal ganz unvoreingenommen fragen, ob es in der heutigen politischen Landschaft möglich wäre, dass ein Taubstummer Bundeskanzler wird.
Selbst der größte Befürworter unseres parlamentarischen Systems wird zugeben müssen, dass eine Person, die keine geschickten, manipulativen Reden halten kann, nie an die größten Machtpositionen im Staat gelangen könnte.
Der Schein ist eben wichtiger als das Sein. Es zählen nicht die Gedanken, die eine Person im Kopf hat, sondern die Worte, die aus seinem Mund kommen, sowie das ganze Brimborium drum herum.
Man könnte auch sagen: Die Kriterien, nach denen die Mitglieder des deutschen Bundestags ausgesucht wurden, sind im Prinzip ganz ähnlich wie die, nach denen eine Gruppe Hinterhofgangster ihren Anführer bestimmt. Hauptsache, die Felgen seines Autos glänzen ein bisschen verheißungsvoller als die der anderen, und er ist in der Lage, die nötige Weisheit und Stärke vorzutäuschen, die die übrigen Gruppenmitglieder von ihrem Anführer und Repräsentanten erwarten.
Da stellt sich wirklich die Frage, in wie weit man von einem auf solchen oberflächlichen Kriterien basierenden System überhaupt erwarten kann, dass es sozial gerecht ist und die Menschheit noch länger als ein paar Jahrzehnte am Leben halten wird.

Nun mag ein unverbesserlicher Optimist an dieser Stelle vielleicht einwenden, dass ja jeder seines eigenen Glückes Schmied ist, und dass heutzutage niemand mehr zur Mitgliedschaft in einer bestimmten Gruppe gezwungen wird.
Doch zum einen wird man zur Mitgliedschaft in bestimmten Gruppen sehr wohl gezwungen (so kann man sich beispielsweise nicht nach Belieben von seiner Staatsangehörigkeit lossagen, auch wenn man nicht beabsichtigt, die Hilfe des Staates in irgendeiner Form in Anspruch zu nehmen)... zum anderen steht einem gerade als Kind und Jugendlicher, wo man naturgemäß besonders anfällig für gruppendynamische Prozesse ist, nur eine sehr begrenzte Auswahl an Gruppen zur Verfügung.
Junge Menschen können sich die Schule bzw. Klasse, in die sie gesteckt werden, ebensowenig aussuchen wie ihre Familie... und wenn jene beispielsweise aus religiösen Fanatikern besteht, sind die Kinder mit hoher Wahrscheinlichkeit so lange Mitglied dieses Glaubens, bis sie irgendwann aus eigenem Antrieb heraus die Kraft finden, um sich davon loszusagen.
Und auch in ihrer Freizeit haben Heranwachsende, welche ja kaum mobil und bei allen Entscheidungen auf die Gnade ihrer Erziehungsberechtigten angewiesen sind, nicht gerade die freie Auswahl zwischen tausenden verschiedenen Freundeskreisen, denen sie sich anschließen könnten, sondern müssen eben das Beste aus den wenigen Möglichkeiten machen, die ihnen das Schicksal in ihrer unmittelbaren Umgebung zur Verfügung gestellt hat.
Kein Wunder also, dass sich so mancher Jugendlicher ehe er sich versieht in falscher, ungesunder Gesellschaft wiederfindet. Und wenn man erst einmal in ein bestimmtes Umfeld hineingerutscht ist, hat es sich ziemlich schnell, dass man dort in eine von anderen festgelegte Richtung umgelenkt wird... was gerade bei Heranwachsenden nachhaltige Schäden (vor allem an der eigenen Persönlichkeit) verursachen kann.

Der Mensch ist eben nicht nur ein Herden-, sondern vor allem auch ein Gewohnheitstier. Er lernt schnell, wenn man sich darum bemüht, ihm etwas vernünftig beizubringen... und genauso schnell kann er auch verlernen.
Zum Beispiel Dinge wie selbständiges Denken, Mitgefühl, einen eigenen Willen zu haben...
Erzählt man jungen Menschen beispielsweise nur lange genug, dass sie gefühlskalt und rücksichtslos sein müssen, um im Leben weiter zu kommen, werden das die meisten über kurz oder lang glauben.
Mehr noch... man kann wohl getrost davon ausgehen, dass die Beeinflussbarkeit noch viel weiter reicht.
Zur Verdeutlichung ein kleines Gedankenspiel:
Heute ist ein Großteil der heranwachsenden jungen Menschen heterosexuell veranlagt. Doch angenommen, sie würden in einer Gesellschaft aufwachsen, in der nur künstlich befruchtet wird und es als abartig gilt, sexuellen Kontakt zu einem Mitglied des anderen Geschlechts zu haben... in der ihnen von klein auf, im Fernsehen, der Familie und auf der Straße, nur das Zusammenleben von gleichgeschlechtlichen Paaren schmackhaft gemacht und vorgelebt werden würde...
Wir hätten in der Bevölkerung vermutlich 80 oder 90 Prozent überzeugte Schwule und Lesben. (und jede Menge Heterosexuelle, die ihre Neigung nur klammheimlich ausleben würden, aus Angst, aufgrund ihrer sexuellen Vorlieben von der konservativen Gesellschaft ausgegrenzt und für krank gehalten zu werden.)
Zugegebenermaßen eine provokante These, die sicherlich viele Heteros zu vehementem Widerspruch animieren dürfte.
Aber wenn man aus jungen Menschen allein dadurch, dass sie in einer anderen Zeit und unter dem Einfluss anderer Wertevorstellungen groß werden, entweder party-feiernde Friedensaktivisten oder brutale Killermaschinen machen kann... was ist dann überhaupt noch unmöglich?
Oder waren diejenigen, die im Dritten Reich begeistert für ihren Führer gekämpft und gemordet haben, etwa eine Generation blutgieriger Bestien?
Nein. Sie waren ganz normale junge Menschen, die nur eben das Pech hatten, im falschen Umfeld großgeworden zu sein.
Wir alle sind in viel größerem Maße das Produkt unserer Erziehung und der Erfahrungen, die wir in den ersten beiden Lebensjahrzehnten gemacht haben, als wir uns das gemeinhin eingestehen wollen.
Im Grunde wird jeder Mensch von Kindesbeinen an umgepolt, verändert und manipuliert... was vom Prinzip her in unserer heutigen Gesellschaft kein bisschen anders ist als damals zu Adolfs Zeiten. Geändert hat sich eigentlich nur das angestrebte Ziel und die pädagogische Durchführung dieser Manipulation.

Natürlich ist der Gedanke daran, ein nahezu beliebig verformbares Opfer der eigenen Lebensumstände zu sein, zunächst einmal alles andere als angenehm.
Doch die oft kaum merklich auf einen jeden von uns einprasselnden Manipulationsversuche (durch welche Gruppen oder Einzelpersonen auch immer) zu erkennen und ihnen zu widerstehen, ist nun mal der entscheidende Schritt weg vom dummen Herdentier, hin zu einer eigenständigen Persönlichkeit, die zwar durchaus die Nähe anderer Menschen zu schätzen weiß, nicht aber deren Versuche, aus ihm etwas anderes zu machen, als er eigentlich ist.
Denn nur, wenn wir begreifen, dass das, was wir zu sein glauben, oft nicht unserem wahren Ich entspricht, sondern nur unsere Reaktion auf die Aktionen anderer darstellt, mit denen wir im Lauf unseres Lebens konfrontiert wurden... nur dann können wir auch aus diesem unsere Wahrnehmung verschleiernden Nebel ausbrechen und uns auf die Suche nach dem begeben, was wir wirklich sind.


KAPITEL 2 - Erziehung und Schule


Alles, was Kinder in den ersten Lebensjahren von ihrer Umwelt kennenlernen, sind die von mahnend bis liebevoll reichenden Worte ihrer Eltern, ihr Spielzeug, ein paar wenige vertraute Personen, und vielleicht noch die nächste Umgebung... sagen wir den Weg bis zum Bäcker oder bis zum nächsten Kaugummiautomaten.
Eine kleine, überschaubare Welt also, die ihnen durch ihre kindlichen Augen betrachtet nichts desto trotz riesig erscheinen wird, und in der schon die geringsten Anlässe, wie beispielsweise eine ungerechtfertigte Schelte oder sonstiges für ein Kind nicht nachvollziehbares Verhalten der Erwachsenen, verheerende Auswirkungen auf ihre weitere seelische Entwicklung haben können.
Läuft es gut (was leider nicht sehr wahrscheinlich ist), dann sind sich ihre Eltern der enormen moralischen Verantwortung, die sie durch den Zeugungsakt für das Leben eines anderen Menschen übernommen haben, bewusst, und dazu in der Lage, zwischen ihren eigenen, egoistischen Interessen und dem Wohl ihres Nachwuchses zu unterscheiden.
Solche Eltern, die nicht ständig nur fordern und rumbrüllen, weil sie bestimmte Idealvorstellungen von einem jungen Menschen haben, denen sich ihr Kind gefälligst anzupassen hat, sondern die ihren Nachwuchs dabei unterstützend zur Seite stehen, seinen eigenen Weg zu finden (auch, wenn dieser manchmal unbequem sein mag), sind ein wahrer Segen für ein jedes Kind, und tragen schon mal einen wichtigen Teil dazu bei, dass aus ihm später kein willenlos der Masse folgendes Herdentier wird, sondern eine echte Persönlichkeit mit eigenem Willen und eigenen, individuellen Ansichten.
Doch nur zu oft werden die heranwachsenden Menschlein bereits in frühester Kindheit in eine falsche Richtung gelenkt... sei es, weil ihre Erziehungsberechtigten noch nicht einmal für sich selbst den richtigen Weg gefunden haben, oder, weil sie in unvergleichlicher Arroganz mehr über die Bestimmung ihres Kindes zu wissen glauben, als ihr Kind selbst.

Das größte Übel dürften dabei zweifellos diejenigen Eltern sein, die ihren Nachwuchs ständig mit Verboten, Drohungen und Pflichten konfrontieren... womöglich auch noch, ohne überhaupt einen für das Kind nachvollziehbaren Grund dafür zu nennen.
Gemacht bzw. unterlassen werden muss eine Sache einzig und alleine deshalb, weil die Eltern oder andere Erwachsene dies für richtig erachten.
So ist es zum Beispiel in den allermeisten Familien Brauch, die Kinder jeden Abend zur selben Uhrzeit ins Bett zu schicken... egal, ob die nun gerade müde sind oder nicht. Einfach nur, damit sie lernen, sich an bestimmte vorgegebene Regeln zu halten (und wohl auch, damit die gestreßten Erwachsenen wenigstens ein paar Stunden Ruhe vor ihren Plagen haben.)
Doch wer glaubt, seinem Nachwuchs durch preußische Disziplin in der Erziehung einen Gefallen zu tun, der irrt gewaltig... denn Kinder, die unter solchen Bedingungen aufwachsen, haben es später doppelt schwer, nicht zum obrigkeitshörigen Lemming zu werden, der manche Dinge allein deshalb schon für richtig hält, weil sie in der Zeitung stehen oder in einem Gesetz so vorgeschrieben sind.
Wohin das im schlimmsten Fall führen kann, hat man ja unter anderem während der Nazizeit gesehen. Die Zusammenhänge zwischen dem militärisch-strengen Erziehungsstil im Kaiserreich und der Weimarer Republik, und dem späteren Gieren der Deutschen nach einem starken Führer und einer Partei, die ihnen zeigten, wo es lang ging, sind jedenfalls mehr als offensichtlich.
Und so müssen sich die überzeugten Verfechter konservativer Erziehungsmethoden schon die Frage gefallen lassen, ob so etwas wie der Zweite Weltkrieg oder der Holocaust rein logistisch überhaupt möglich gewesen wäre, wenn die Eltern ihre Kinder damals nicht zu willenlosen Robotern erzogen hätten, die auf Kommando still, pünktlich und gehorsam sind, sondern zu unangepassten Individualisten, die sich von niemandem widerstandslos ins Bett oder sonst wo hin schicken lassen.
Doch Konservative verdrehen diese unbequeme Wahrheit gerne, in dem sie darauf verweisen, dass sie ihrem Nachwuchs ja nicht nur Disziplin und Opferbereitschaft einprügeln, sondern eben auch viele positive Werte, wie Anstand, Nächstenliebe und Verantwortungsgefühl.
Die Frage ist nur: Kann ein dressierte Zirkuspferd, das auf Kommando seines Herrn mehrmals mit der Hufe schlägt, wirklich rechnen, oder ruft es nur bestimmte Verhaltensmuster ab, die durch jahrelanges Training in ihm abgespeichert worden sind?
Es mag vielleicht eine gute Show abliefern... aber letztlich käme doch keiner auf die Idee, ihm die Buchhaltung einer Firma zu übertragen, weil das angeblich so kluge Tier im Grunde gar nicht weiß, was es da tut. Es hat ja alles nur auswendig gelernt...
Und genau so verhält es sich auch mit jenen, die durch die kompromisslose Strenge ihrer Eltern auf den "moralisch richtigen" Weg gebracht worden sind.
Sie mögen noch so edel und selbstbewusst auftreten, letztlich ist das alles nur eine billige Zirkusshow, weil sie ihre Lebensweise eben nicht durch eigene, innere Einsicht angenommen haben, sondern allein deshalb, weil man es ihnen so eingetrichtert hat... und zwar auf die selbe Weise, wie man ihnen auch jede beliebige andere Ideologie hätte eintrichtern können, so lange das Zuckerbrot nur süß und die Peitsche hart genug ist.

Nichtsdestotrotz benötigen Kinder natürlich ein gesundes Maß an Beistand und Anleitung, um sich in der komplizierten Welt, in die sie hineingeboren wurden, später auch einmal alleine zurecht zu finden.
Schenkt man einem jungen Menschen nämlich zu wenig Zuneigung und Liebe, wird er sich diese Dinge über kurz oder lang irgendwo anders suchen... dann vielleicht in schlechter Gesellschaft oder schlechten Fantasien.
Eltern, die dabei tatenlos zusehen und ihr Kind mit seinen zahlreichen Sorgen allein lassen, sind daher auch nicht viel besser als jene, die den Willen ihrer Kinder eigenhändig brechen. Sie machen sich zwar nicht der direkten, vorsätzlichen Manipulation, aber doch zumindest der „unterlassenen Hilfeleistung" schuldig.
Schließlich ist das Elternhaus bei Weitem nicht die einzige Kraft, die auf die jungen, noch unvergifteten Kinderherzen einwirkt. Es gibt da draußen noch ungleich mehr Faktoren, die einen geistig noch nicht vollständig ausgereiften Menschen zum
dummen Mitläufer machen können.
Da wäre beispielsweise eine verlogene Medienlandschaft zu nennen, die so tut, als würde sie die Menschen objektiv informieren wollen, obwohl sie eigentlich nur Geld an ihnen verdienen möchte...
Eine Industrie, die mit allen möglichen Tricks Abnehmer für ihren billig hergestellten Plastikmüll sucht...
Hirnlose Proleten, die überall dort, wo sich junge Leute aufhalten, darum buhlen, bewundert zu werden, indem sie ihr eigentlich zutiefst asoziales Verhalten als "Coolness" verkaufen...
religiöse und politische Organisationen, die schon Kinder und Jugendliche mit dem Versprechen von Spaß und Kameradschaft ködern, um sie vor ihren eigenen Karren zu spannen...
Und dann sind da ja noch ihre ebenfalls all diesen Einflüssen ausgesetzten Altersgenossen, die wie ein Multiplikator wirken und den Druck für jeden einzelnen Heranwachsenden, bei der einen oder anderen Dummheit mitzumachen, nur noch weiter steigern.

Die weitaus größte Gefahr für die geistige Gesundheit eines Kindes geht allerdings ironischerweise von einer Institution aus, die sich eigentlich damit brüstet, junge Menschen zu bilden und für die schwierigen Anforderungen des Lebens stark machen zu wollen...
Die Rede ist von der Schule, jener staatlichen Gehirnwäsche-Einrichtung, in der kleine Einzelkämpfer und Trotzköpfe notfalls mit Gewalt "sozialisiert", sprich: zu funktionierenden Mitgliedern der Erwachsenen-Gemeinschaft geformt werden sollen.
Dies gelingt ihr um so überzeugender, je weniger der einzelne Bürger die Bemühungen des Staates, den freien Willen des Nachwuchses zu brechen, in Frage stellt.
Und ernsthaft in Frage gestellt wird der Zustand, dass sich Kinder Tag für Tag oftmals gegen ihren Willen zur Schule quälen müssen, heutzutage von so gut wie niemandem mehr.
Die Schulpflicht ist längst dermaßen selbstverständlich in unserer Gesellschaft verankert... man würde wohl eher Eltern ihr Recht auf die Erziehung ihrer Kinder oder den Fernsehzuschauern das Recht auf freie Programmwahl aberkennen, als sich auch nur eine Minute mit dem Gedanken auseinanderzusetzen, dass ständiger Anwesenheitszwang und Leistungsdruck in den Köpfen der Kinder vielleicht weitaus mehr kaputt macht, als mit allem Wissen dieser Welt jemals wieder gekittet werden könnte.

Erinnern wir uns deshalb zunächst einmal daran, weshalb die allgemeine Schulpflicht anno dazumal überhaupt eingeführt worden ist... denn dies geschah nicht etwa aus Nächstenliebe oder aufrichtiger Anteilnahme am Leid der Armen heraus, sondern in erster Linie, um die Machtansprüche der damaligen gesellschaftlichen Elite abzusichern.
Man wollte die vielen in Armut lebenden und oftmals sich selbst überlassenen Kinder von der Straße holen, weil man erkannt hatte, dass sich sonst rebellisches Potential und der Verlust staatlicher Autorität immer weiter ausbreiten würde.
Und so begann man schließlich damit, den Nachwuchs mit Strenge und Disziplin zu treuen preußischen Staatsdienern umzuformen, die keinen Ärger verursachten und als Erwachsene ohne zu Zögern dazu bereit waren, sich für Volk und Vaterland das mühsam aufgelevelte Hirn wieder aus dem Schädel schießen zu lassen.
Schule diente also zunächst einmal nur den strategischen Interessen der Obrigkeit. Erst, als es irgendwann nicht mehr genügte, dem gemeinen Volk eine politische Entscheidung einfach mit "Der Herrscher will es so" zu begründen, kam man auf einmal mit dem ganzen humanistischen Gefasel daher, wonach die Schule in erster Linie zum Wohl der Kinder da sei, um sie charakterlich zu fördern und ihnen um ihrer selbst Willen eine bessere, glücklichere Zukunft zu ermöglichen.
In Anbetracht der in zutiefst undemokratischen Zeiten liegenden Wurzeln der allgemeinen Schulpflicht muss ein kritischer Blick darauf, ob sich an der damaligen Zielsetzung bis heute etwas wirklich Grundlegendes geändert hat, allerdings schon gestattet sein.

Auch heute geht es der Schule vor allem darum, die Kinder so zu erziehen, dass sie sich in die bestehenden gesellschaftlichen Strukturen einfügen.
An kleinen Rebellen, Querulanten und Träumern, die alles ganz anders machen würden als ihre Elterngeneration, hat der Staat verständlicherweise keinerlei Interessse... schließlich will man ja keine zukünftigen Revolutionäre heranzüchten, sondern angepasste Beitragszahler, die sich dafür aufopfern, das marode Staats- und Sozialsystem auch in den nächsten hundert Jahren noch am Leben zu halten.
Und auch heute noch soll die Schule dazu dienen, die Kinder von der Straße fernzuhalten. Angeblich, weil man dem Nachwuchs das echte Leben mit all seinen Gefahren erst dann zumuten will, wenn dieser dafür ordentlich gerüstet wurde.
Doch so lange den Schülern dieses Rüstzeug anhand von Drohungen und eiskalter bürokratischer Selektion vermittelt wird, kann man getrost davon ausgehen, dass es hier weniger um gutgemeinte geistige Entwicklungshilfe, als vielmehr um eine Konditionierung der übelsten Sorte geht.
Niemand, der einem Mitmenschen ernsthaft dabei helfen wollte, zu einer eigenständig denkenden, freigeistigen Persönlichkeit zu reifen, käme auf die Idee, jeden einzelnen Schritt dieses Menschen zu benoten, mit kritischen Kommentaren zu versehen
und ihm dabei nach jeder bestandenen Etappe auch noch zusätzliche Lasten auf den Rücken zu laden.
Nein, so geht man höchstens mit einem heranwachsenden Packesel um, dessen seelischer Zustand vernachlässigbar ist, so lange er artig seine Funktion erfüllt. Er soll schließlich in erster Linie Muskeln entwickeln und Erfahrung im Tragen von Lasten sammeln, damit er später, wenn er erst einmal ausgewachsen ist, noch viel schwerer beladen werden kann.
Man will Kinder und Jugendliche durch die Schule eben nicht nur zwangsweise mit Bildung mästen, sondern vor allem auch ihre Stressresistenz erhöhen... was nichts anderes bedeutet, als den Druck, den man auf sie ausübt, kontinuierlich zu steigern, bis sie sich irgendwann so sehr an die ständige Belastung gewöhnt haben, dass ihnen schon ein minimales Nachlassen des Druckes wie die Erlösung aus jahrelanger Knechtschaft vorkommen wird.
Sie werden sich frei fühlen, obwohl sie es gar nicht sind... werden sich nach ihrem Abschluss auf das bevorstehende Berufsleben freuen, weil sie glauben, dass das Schlimmste nun endlich überstanden ist... und ehe sie sich versehen, werden sie völlig vergessen haben, wie sehr sie während ihrer Schulzeit unter Hausaufgaben, ungerechten Lehrer oder der wie ein Damoklesschwert über ihnen hängenden Notengebung zu leiden hatten.

Ein vielleicht nicht gerade optimales, aber doch zumindest gut funktionierendes System, möchte man meinen.
Allerdings hat die Sache einen gewaltigen Haken, denn zum einen werden dadurch viele junge Menschen, die dem Druck vielleicht sogar standhalten wollen, aber aus welchen Gründen auch immer nicht dazu in der Lage sind, mit jeder schlechten Note ein Stück mehr ins soziale Abseits gedrängt... zum anderen sind viele auch schlichtweg zu stolz, um sich von Fremden große Teile ihrer Jugend stehlen zu lassen.
Sie rebellieren gegen die von ihnen als ungerecht empfundene Welt der Erwachsenen, verweigern die Arbeit, flüchten sich nicht selten in Gewaltexzesse, Drogenmissbrauch oder Suizid... und es sind längst nicht immer die wertlosesten, unbrauchbarsten Jugendlichen, die auf diese Weise auf den immer stärker werdenden schulischen Druck reagieren. Ganz im Gegenteil...
Oftmals sind es einfach jene mit dem ausgeprägtesten Willen. Jene Kämpfernaturen, die eigentlich von einer jeden Gesellschaft dringend benötigt werden würden, weil sie anders als viele ihrer gefügig gemachten Altersgenossen noch dazu in der Lage sind, Unrecht instinktiv zu erkennen und nicht jeden Scheiß mit sich machen zu lassen.
Einzig Menschen wie ihnen und ihren Brüdern im Geiste, den Verweigerern, "Schulschwänzern" und Rebellen der vergangenen Jahrtausende, ist es zu verdanken, dass das heutige Bildungs-System, in dessen Namen so viele Aufsässige wie wertlose Ausschussware aussellektiert werden, überhaupt erst errichtet werden konnte.
Hätte die Menschheit in früheren Zeiten hingegen nur aus jenen heute so geschätzten Strebern und angepassten Arschkriechern bestanden, die brav alle Regeln befolgen und immer das tun, was die Alten von ihnen verlangen, würden wir vermutlich heute noch einen alten Häuptling mit Bärenmaske auf dem Kopf als Gottheit verehren und ihm zu Ehren ab und zu eine Jungfrau in einen Vulkan schmeißen.
Die Gesellschaft tut sich also wahrlich keinen Gefallen, wenn sie jene, die andere Vorstellungen vom Leben haben als die Generation ihrer Väter, wie Verbrecher behandelt und mit immer ausgefeilteren Methoden in die Gemeinschaft der Willigen zurückzuführen versucht.
Denn je besser diese Methoden greifen, desto geringer die Chance, dass der fatale Kurs, den die Menschheit in der Vergangenheit eingeschlagen hat, noch rechtzeitig von einer relevanten Bevölkerungsmehrheit erkannt und korrigiert werden wird.
So werden sich die seit langem bestehenden sozialen Ungerechtigkeiten nur noch mehr manifestieren... arm und reich, die Gebildeten und die Ungebildeten, die Ja-Sager und die Verweigerer, werden nicht zuletzt dank der völlig überzogenen Bedeutung, die einem guten Schulabschluss heutzutage beigemessen wird, immer weiter auseinanderdriften.

Man sollte meinen, dass angesichts dieser unübersehbaren Entwicklung bei den gesellschaftlich Verantwortlichen längst sämtliche Alarmglocken schrillen müssten.
Sie kennen schließlich die Menschheits-Geschichte genau wie wir... sie wissen, was über kurz oder lang mit Zivilisationen geschieht, die nur noch durch Angst, Karrierismus und gegenseitigem Futterneid zusammengehalten werden.
Und doch unternehmen sie nichts, um die Zustände grundlegend zu ändern und auch jenen, die sich dem Leistungsdruck partout nicht anpassen wollen bzw. können, genügend Freiräume zur Verwirklichung alternativer Lebensmodelle zuzugestehen.
Sie ändern nichts, weil sie, die ja seit jeher der von der Arbeit anderer profitierenden Oberschicht angehören, auf die tiefen sozialen Gräben und den ständigen Konkurrenzkampf in unserer Gesellschaft regelrecht angewiesen sind... lässt sich doch übermäßiger Luxus auf der einen Seite nur dann garantieren, wenn zum Ausgleich auf einer anderen Seite Armut und Mangel (und damit die Bereitschaft, für Geld die letzten Drecksarbeiten zu erledigen) aufrechterhalten werden.
Es liegt also im ureigensten Interesse eines jeden kapitalistischen Systems, eben nicht allen Kindern die gleichen rosigen Zukunftsaussichten zuzugestehen, auch wenn von der Obrigkeit gebetsmühlenartig immer wieder das Gegenteil behauptet wird.
Daher dürfte es wohl auch bei zukünftigen, von oben verordneten Schulreformen nie eine wirkliche Abkehr vom unmenschlichen Selektionsdenken geben, sondern immer nur halbherzige Versuche, den Aufprall der aus dem sozialen Netz Herausgefallenen zumindest in so weit abzufedern, dass sie hinterher noch problemlos als billige Arbeitssklaven eingesetzt werden können.

Natürlich machen sich auch die verantwortlichen Politiker Sorgen angesichts der immer feindseliger werdenden Atmosphäre an vielen Schulen, an denen zwangsweise die unterschiedlichsten sozialen Schichten aufeinandertreffen, die ansonsten kaum noch gesellschaftliche Berührungspunkte miteinander haben.
Schüler, die sich gegenseitig die Jacken abzocken, verbal und körperlich attackieren oder auf dem Schulhof mit Drogen dealen, um ihr dürftiges Taschengeld aufzubessern, sind schließlich selbst dem überzeugtesten Kapitalisten ein bisschen zu viel des kapitalistischen Konkurrenzgedankens.
Und so versucht man, dem Nachwuchs allen vorhandenen Unterschieden zum Trotz ein gewisses Wir-Gefühl zu vermitteln.
Ganztagesbetreuung, Projekttage und gemeinschaftliche Ausflüge sollen dazu führen, dass sich die Kinder zu sozialen, zur Teamarbeit fähigen Wesen entwickeln... was ja an sich auch durchaus begrüßenswert wäre. Nur, dass "sozial" in diesem Zusammenhang leider nicht bedeutet, dass die Kinder sagen könnten: „Ich möchte heute lieber mit meinen Freunden schwimmen gehen als etwas für die Schule zu lernen!".
Das soziale Miteinander soll sich, wenn es nach dem derzeit vorherrschenden Konsens geht, vielmehr bevorzugt darin äußern, dass sich die Heranwachsenden problemlos in eine beliebige Gruppe integrieren und die ihnen dort zugewiesenen Aufgaben widerspruchslos erledigen können.. gerne auch, in dem sie schwächeren Kameraden unter die Arme greifen oder einmal selbständig die Initiative ergreifen, wenn es das Wohl des Projektes erfordern sollte.
Alles Eigenschaften, die sich später auch prima im Berufsleben anwenden lassen.
Anstatt dass man also versuchen würde, die wirklich hinter der ansteigenden Jugendgewalt und der zunehmenden sozialen Kälte steckenden Ursachen anzugehen und Wirtschaft sowie Staat auf die Bedürfnisse der heute lebenden Menschen zurechtzuschneidern, soll der Mensch nach den Bedürfnissen von Wirtschaft und Staat umgeformt werden. Und hierin unterscheidet sich unser Schulsystem dann auch nur noch durch ein kleines Plus an Humanität von dem System zu Nazi- oder DDR-Zeiten.
Das dahintersteckende Grundprinzip aber ist bis heute das selbe geblieben, nämlich: Eingliederung des Einzelnen in das große Gesamtkonzept, was der Legende nach dann irgendwann auch wieder jedem Einzelnen zu Gute kommen soll... tatsächlich aber in erster Linie dazu dient, die althergebrachte Ordnung zu wahren und jene, die von dieser Ordnung seit jeher profitieren, weiter zu bereichern.

Um diesen Zustand zu ändern, müsste die Institution „Schule" radikal verändert, ja eigentlich sogar komplett neu definiert werden.
Schule sollte ein Ort der Begegnung werden, an dem Kinder mit Erwachsenen und Gleichaltrigen in Kontakt treten, neue Freunde finden und alle möglichen nützlichen Fertigkeiten erlernen können. Allerdings nicht, in dem man sie dazu zwingt, sondern in dem man ihnen die Möglichkeiten zur Verfügung stellt und es ihnen selbst überlässt, ob sie sich mit einer bestimmten Sache näher befassen wollen oder nicht.
Kinder sind von Natur aus neugierig... so neugierig, dass sie sich auch ohne ständig die Peitsche im Nacken zu fühlen, für fremde Sprachen, Technik, Geschichte oder Kultur interessieren würden.
Nur eben nicht für alle diese Dinge gleichermaßen, nach einem starren, vorgefertigten Stundenplan... und erst recht nicht, wenn sie merken, dass sie von irgendeinem vertrockneten Staatsangestellten dazu gezwungen werden sollen.
Daher müsste sich auch dringend das Idealbild des Lehrers ändern...
weg von der distanzierten, streng nach Lehrplan unterrichtenden Autoritätsperson, hin zu einem geistigen Begleiter, der in gleichem Maße Streetworker wie Wissensvermittler ist, und dessen Rat die Kinder jederzeit in Anspruch nehmen können... bei Problemen zu Hause oder im Freundeskreis ebenso, wie bei Fragen nach der eigenen Zukunft, dem Sinn des Lebens oder ganz allgemein, wenn es darum geht, Wissenslücken zu schließen und neue Interessen zu entwickeln.
Dass ein solcher geistiger Begleiter keine Noten ausstellen, keine Anwesenheitslisten führen oder sonstige Einschüchterungsversuche begehen dürfte, ist natürlich klar...
Schließlich benoten Eltern ihre Kinder auch nicht. Freunde benoten sich nicht untereinander. Ja, ein geistig normaler Mensch käme nicht einmal auf die Idee, seinen Hund zu benoten.
Den Wert eines Wesens, das uns wirklich etwas bedeutet, können wir nicht in Zahlen oder durch ein paar vorgegebene Floskeln ausdrücken.
Trotzdem ist dies an unseren Schulen Alltag... Lehrer, die behaupten, aufrichtig am Wohl ihrer Schüler interessiert zu sein, aber deren Qualität dann mit dem selben Methoden ermitteln, mit denen Stiftung Warentest eine Kaffeemaschine oder einen Staubsauger bewertet.

Sicherlich ist das Messen der Leistung eines Menschen nicht per se ein Unding.
Wer es spannend findet, seine Leistungsfähigkeit in Zahlen präsentiert zu bekommen, um sie etwa bei sportlichen Wettkämpfen mit der Leistung der Mitschüler und Freunde vergleichen zu können, dem sollen diese Vergleichsmöglichkeiten natürlich auch weiterhin zur Verfügung stehen.
Aber eben nur auf expliziten Wunsch des Schülers. Nicht zwangsweise, nicht für Fächer, die man eigentlich hasst, in denen man im Grunde gar keine besondere Qualifikation erlangen möchte... und vor allem nicht, wenn die gesamte zukünftige Existenz eines Menschen von solchen auf Zwang basierenden Leistungsüberprüfungen abhängt.
Schule darf nicht länger ein als Hort der Menschlichkeit getarntes Rekrutierungsbüro sein, von dem Wirtschaft und Staatsapparat immer neuen bereits vorgeschliffenen, gehorsamen Nachwuchs beziehen.
Statt einen jungen Menschen möglichst präzise ins Berufsleben zu schleusen, sollte viel mehr Wert darauf gelegt werden, dass die Schüler mit Hilfe ihrer Lehrer und Mitschüler zu charakterstarken Individuen heranreifen, die in der Lage sind, sich selbst und ihre Umgebung kritisch zu hinterfragen... die etwaige Manipulationsversuche, ganz gleich, von welchen gesellschaftlichen Instanzen diese auch ausgehen mögen, schon im Ansatz durchschauen und abwehren können, und die vor allem Dingen auch dazu fähig sind, entschieden NEIN! zu sagen, wenn ihnen eine bestimmte Sache zu sehr gegen den Strich gehen sollte.
Wenn sich wirklich jemals etwas grundlegendes ändern soll auf der Welt, muss dem freien Willen eines Menschen ein höherer Stellenwert beigemessen werden als jeglicher antrainierten Fachkompetenz.
Und das selbst auf die Gefahr hin, dass der eine oder andere Schüler partout keine Motivation zeigt, sich beispielsweise mit komplexen mathematischen Gleichungen zu beschäftigen... ist es doch im Zweifelsfall ungleich sinnvoller, einen mathematisch wenig gebildeten, aber innerlich ausgeglichenen Menschen auf die Gesellschaft loszulassen, als ein durch Schulstress und Konkurrenzkampf seelisch kaputtgemachtes Rechengenie.
dian
unregistriert
09.12.2007 18:55 Diesen Beitrag einem Moderator melden Zum Anfang der Seite springen

KAPITEL 3 - Arbeit macht frei?


Ist die Schule dann endlich überstanden, sind die jungen Menschen bereit für den vielzitierten „Ernst des Lebens". Oder anders formuliert: Bereit dazu, ungefähr 45 Jahre ihres Daseins mindestens zur Hälfte einer Firma, einem Boss, oder einer bestimmten Aufgabe zu verschreiben.
45 Jahre, bei denen man im Winter oft im Dunkeln zur Arbeit geht, die wenigen hellen Stunden mit Arbeiten beschäftigt ist, und man erst dann nach Hause gehen darf, wenn es schon längst wieder zu dämmern begonnen hat.
Viele verbringen statistisch gesehen mehr Zeit gemeinsam mit ihren Arbeitskollegen, als sie nach der Arbeit noch für ihre Freunde, ihre Frauen und Kinder zur Verfügung haben.
Eigentlich eine himmelschreiende Verschwendung von kostbarer Lebenszeit... und doch, die meisten murren vielleicht ein bisschen, fügen sich dann aber letztlich und akzeptieren ihr Schicksal als gottgewollt und unabänderlich.

Das eigentlich Absurde daran ist aber, dass ein Teil der Bevölkerung darüber jammert, dass er jeden Tag früh aufstehen und 8 oder gar 10 Stunden arbeiten muss, während ein anderer Teil sogar gerne arbeiten würde, es jedoch überhaupt nicht darf, weil die zur Verfügung stehenden Arbeitsplätze bereits von anderen besetzt sind.
Anstatt dass man nun aber versuchen würde, gemeinsam einen Mittelweg zu finden, so dass jeder nur noch die Hälfte oder ein Drittel zu arbeiten bräuchte, und dafür alle Arbeit hätten, hat sich im Lauf der Zeit eben jener absurde Wettlauf um die unzureichend vorhandenen Arbeitsplätze entwickelt, der nicht nur schon hunderttausende Menschen psychisch zerstört haben dürfte, sondern auch noch über die Jahrhunderte hinweg zu einer fast schon religiösen Überhöhung des Begriffes "Arbeit" geführt hat.
„Bitte bitte, stellt mich ein!" kommen jedes Jahr nach Ende ihrer Schulzeit die Bewerber flehend zu den Personalchefs der Firmen gekrochen... festlich gekleidet und mit gesenktem Haupt wie Pilger, die sich von ihrer Wallfahrt zum heiligen Ort des Kapitals die Heilung vom langen Leiden der Verdienstlosigkeit erhoffen.
Ist das nicht Ausdruck eines völlig pervertierten Weltbildes? Die vor uns liegende Arbeit... nicht länger eine lästige, notwendige Sache, die eben von irgendjemandem erledigt werden sollte, sondern ein Privileg, um das man erst noch mühsam betteln muss.
Profitieren tun davon natürlich in erster Linie die Arbeitgeber, die, anstatt dankbar sein zu müssen, dass es überhaupt jemanden gibt, der sich für ihren Profit die Hände schmutzig machen will, unter den unzähligen Bewerbern genauso kritisch auswählen können wie ein Kunde im Metzgerladen an der Fleischtheke. Sie können es sich erlauben, Menschen zu testen, sie mittels eines sogenannten "Praktikums" eine Weile umsonst für sich schuften zu lassen, oder ihnen einfach eine Absage zu erteilen, weil ihnen irgendein Detail in deren Lebenslauf nicht gefällt.
Sie sind die Hohepriester einer mächtigen Religion, deren Götter "Wachstum" und "Fortschritt" durch nichts in Frage gestellt werden dürfen, da sie im Glauben vieler Menschen der Quell allen Lebens sind... welches sie einem allerdings auch ganz schnell wieder entziehen können, wenn man sich ihnen nicht bedingungslos unterwirft.
Und es gibt genügend Gläubige, in der großen Politik genauso wie im Kleinen, im Elternhaus und der Nachbarschaft, die durch ihre beständigen Mahnungen und gebetsmühlenartige Rituale dafür sorgen, dass dieser Glaube gehegt, gepflegt und an die nachfolgenden Generationen weitergegeben wird.

So kommen beispielsweise immer wieder, wenn mal eine Zeit lang keine Bäume gefällt und an deren Stelle keine neuen Straßen, Fabrikgebäude oder Kraftwerke gebaut worden sind, Politiker und Wirtschaftssachverständige aus ihren Löchern gekrochen und versuchen, Angst und Schrecken unter den Menschen zu erzeugen.
„Die Wirtschaft wächst nicht mehr!", „Die Gesellschaft befindet sich in einer schweren Krise!" oder „Oh mein Gott, eine Rezession! Wir werden alle sterben!" heißen einige ihrer beliebtesten Parolen.
Im Idealfall bekommen die Menschen dann Panik und arbeiten noch mehr, um der Wirtschaft wieder ihr benötigtes Wachstum zu verschaffen und dem Staat noch etwas mehr Geld in die Hand zu drücken.
Und wenn einmal weniger Menschen geboren werden, schreien gleich alle entsetzt auf, dass nun die Renten von der nachfolgenden Generation nicht mehr bezahlt werden können... anstatt dass sie sich freuen würden, dass die Natur ein paar Menschen weniger ertragen muss und dass man wieder etwas mehr Platz für die persönliche Entfaltung hat.
Egal ob Gehälter, Gewerbeflächen oder Einwohnerzahlen. Alles muss stetig wachsen... immer schneller, immer effizienter. Nur so scheint unser System überhaupt überlebensfähig zu sein.

An dieser Stelle muss man sich doch einmal ausklinken und fragen, ob da nicht etwas ganz Grundsätzliches schief läuft.
Wir brauchen immer mehr Jobs, damit die Menschen Arbeit haben und ihren hohen Lebensstandart beibehalten können. Doch um all diese dann arbeitenden Menschen später im Alter versorgen zu können, benötigen wir noch mehr junge, arbeitsfähige Menschen... und für die brauchen wir dann erst mal wieder mehr Jobs.
Es ist eine Spirale... eine mörderische Spirale, die in erster Linie ihrer eigenen Aufrechterhaltung und einigen wenigen, die an diesem System verdienen, dient. Alle anderen sind nur das menschliche Rohmaterial, das diese Maschinerie zum Laufen benötigt.
Doch all jene, die sich voller Überzeugung darin abstrampeln und ihren Teil zu immer mehr Wachstum beitragen, verkennen scheinbar, dass ein endloses Wachstum nicht gesund ist und am Ende zwangsläufig zum Kollaps führen muss.
Wie ein Tumor, der sich immer weiter vergrößert, dafür immer mehr Energie benötigt, und am Ende dann zusammen mit dem von ihm zerstörten Gewebe abstirbt... genau so wird auch das kapitalistische System irgendwann mit dem Ende der Zivilisation, das es selbst eingeleitet hat, absterben.
Es sei denn, wir erkennen rechtzeitig, dass diese Rechnung, die uns die sogenannten "Fachleute" tagtäglich präsentieren, gar nicht aufgehen kann... dass es unsinnig ist, neue Landstriche der Natur zu entreißen, während andererseits die Bevölkerung rückläufig ist... dass wir eine höhere Lebensqualität nicht durch mehr Arbeit erreichen, sondern durch mehr Freiheit und eine sinnvollere Aufteilung der Jobs, die zu erledigen sind.

Heutzutage gewinnen Politiker Wahlen allein mit dem Versprechen, mehr Arbeit zu schaffen.
Aber sollte man Politiker nicht eher dafür wählen, dass sie versprechen, die Arbeiten, die unbedingt erledigt werden müssen, so erträglich und einfach wie möglich zu gestalten... und diese dabei so zu verteilen, dass sie von allen Menschen gemeinsam gelöst werden können und danach allen noch genug Zeit für andere, erfreulichere Dinge bleibt?
Wer allerdings schon in der Schule über Jahre hinweg „liebevoll" darauf vorbereitet wurde, einen der schönsten Teile des Tages immer und immer wieder für das System zu opfern, dem wird dies im Erwachsenenalter vermutlich längst selbstverständlich erscheinen... ganz egal, wie sehr er als Kind auch darüber geflucht haben mag, morgens aufstehen und zur Schule gehen zu müssen. Der Mensch ist wie bereits erwähnt ein sehr anpassungsfähiges Wesen.
Und doch... irgendetwas wird ihm fehlen.
Der Stress eines Arbeitstages bohrt sich tief in die Seele der Menschen... auch, wenn diese selber bekunden mögen, dass sie ihre Arbeit eigentlich als gar nicht so schlimm empfinden.
Aber wer einmal beobachtet hat, mit welcher Aggressivität viele jener angeblich so zufriedenen Zeitgenossen oft nach der Arbeit in ihrem Auto nach Hause rasen, der kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Arbeit doch ihre unangenehmen Spuren in der Psyche der Menschen hinterlässt.
Da wird geflucht, gehupt, gedrängelt, als ginge es um Leben und Tod. Und das tut es in gewisser Weise ja auch. Genauergesagt geht es um das kleine bisschen Leben, das einem durchschnittlichen Menschen in der heutigen Leistungsgesellschaft nach Feierabend noch zugestanden wird.
Es bleiben nur wenige Stunden, die man zur Verfügung hat, um Nahrung aufzunehmen, Einkäufe zu erledigen, Freunde zu treffen, Hobbys zu pflegen und Liebe zu machen... und nicht selten müssen die Menschen diese Aktivitäten genauso koordinieren wie ihre Geschäftstermine, um sich nicht zu verzetteln oder aufgrund der ständigen Hektik irgendetwas Wichtiges zu vergessen.
Zeit, um zu reflektieren, den Tag Revue passieren zu lassen und Abstand zu sich selbst und seiner Umgebung zu gewinnen, oder anders ausgedrückt, um sein Tun zu hinterfragen und aus eventuellen Fehlern zu lernen, bleibt da kaum mehr.
Kein Wunder, dass unsere Gesellschaft immer oberflächlicher wird und viele Menschen darunter leiden, dass die Dinge, die ihnen eigentlich wirklich am Herzen liegen (egal, ob Freundschaften, Familie, Hobbys oder Bildung), aufgrund des Zeitmangels über kurz oder lang auf der Strecke zu bleiben drohen.

Es stellt sich die Frage:
Dient die Arbeit, so wie sie heute organisiert ist, überhaupt noch dazu, die Lebensumstände der Menschen zu verbessern? Oder ist es nicht eher längst umgekehrt, und die Menschen sind nur noch dazu da, irgendwelche Jobs auszufüllen, deren Wegfallen abgesehen von den betroffenen Arbeitnehmern und deren jeweiligem Arbeitgeber kaum irgendjemandem auffallen würde?
Wenn es in einer Gesellschaft wie der unseren das Problem gibt, dass mehr Menschen in einem Land leben, als Jobs verfügbar sind, kann man natürlich weiterhin Arbeitslosengeld zahlen und die bestehenden sozialen Gräben weiter vertiefen, in dem man die Arbeitslosen voller Neid und Minderwertigkeitskomplexen auf die Besserverdienenden blicken lässt, und den arbeitenden Steuerzahlern das Gefühl gibt, von den arbeitslosen Schmarotzern ausgenutzt zu werden. (was natürlich ein Trugschluss ist, da die wenigsten Arbeitslosen die arbeitenden Steuerzahler darum gebeten haben dürften, ihnen den Job vor der Nase wegzuschnappen. Ebenso gut könnte man sagen, dass jeder, der einen Job hat und diesen nicht mit anderen teilen mag, mitschuldig daran ist, wenn Menschen in unserem Land nicht genug zu essen haben.)
Eine weitaus sinnvollere Lösung wäre es doch, sich erst einmal zu überlegen, welche Arbeiten denn überhaupt wirklich notwendig sind, und welche wir Menschen uns durch unser System unnötigerweise selbst aufgebürdet haben.
Als Beispiel sei nur einmal der gigantische Bürokratie-Apparat genannt, insbesondere das komplizierte Steuerrecht.
Würde man all die unübersichtlichen Einzel-Steuern, Subventionen, Pflicht-Versicherungen und Sonderregelungen einfach abschaffen und das benötigte Geld für öffentliche Einrichtungen und soziale Dienste auf andere Weise organisieren, könnte man nicht nur jede Menge Beamte in der Verwaltung einsparen, sondern auch sämtliche Steuerberater und etliche Anwälte einschließlich deren Sekretärinnen und Helfershelfer komplett überflüssig machen, die dann, wenn es ihnen ohne "sinnstiftende Tätigkeit" langweilig werden sollte, ihre Arbeitskraft für sinnvollere, soziale Aufgaben einsetzen könnten... Vielleicht ja dann in der Altenpflege, der Kinderbetreuung oder sonst wo, wo es mehr als genug Bedarf gäbe, um mit anzupacken.
Als weiteres Beispiel kommt einem die Werbeindustrie in den Sinn... eine Industrie, die eigentlich komplett überflüssig wäre, denn für Produkte, die Menschen wirklich benötigen, muss man schließlich keine Werbung machen... die werden auch so gekauft. Und andere Produkte, die sich nur dann verkaufen, wenn die Leute tagtäglich durch Werbebotschaften zum Konsum verführt werden, sollte man erst recht nicht bewerben, weil sie einfach nicht notwendig sind, von niemandem vermisst werden würden und letzten Endes nur unnötigen Müll verursachen.
Auch hier ließen sich eine Menge Stellen streichen, ohne dass deshalb ein merklicher Verlust an Lebensqualität für den einzelnen Bürger auftreten würde. Ganz im Gegenteil: Weniger Berieselung mit hirnloser Propaganda kann eigentlich nur ein Gewinn für alle sein.

Schon anhand dieser wenigen Beispielen lässt sich erahnen, dass das große Problem des heutigen Arbeitsmarktes nicht so sehr der Mangel an Arbeitsplätzen ist, sondern eher eine völlig aus dem Ruder gelaufene Verteilung der Arbeit, die sich längst nicht mehr nach den Bedürfnissen der Menschen richtet, sondern vor allem nach den Bedürfnissen des Systems. (das sich ja immerhin ändern ließe, wenn man es denn wollte...)
Man sollte sich also zunächst einmal klarmachen:
Welche Arbeit muss denn eigentlich überhaupt zwingend getan werden, und welche dient nur dazu, uns zu beschäftigen und uns unserer kostbaren Lebens-Zeit zu berauben?
Dann könnte man daran gehen, bei den verbliebenen Arbeitsplätzen dort, wo es möglich ist, Halbtags- oder Viertels-Stellen zu schaffen, was einerseits die ungewollte Arbeitslosigkeit endgültig zu einem Relikt der Vergangenheit machen würde, und andererseits auch dazu führt, dass der Arbeitsalltag für jeden Einzelnen erträglicher und vor allem deutlich kürzer wird.
Natürlich würde diese neue Ordnung zu einer Angleichung der Besitzverhältnisse führen... was nicht nur bedeutet, dass es die Armen in der Gesellschaft zukünftig deutlich besser haben werden, sondern logischerweise auch, dass die Wohlhabenden gewisse Abstriche machen müssten. Abstriche von der Art, wie sie jedoch zweifellos zu verschmerzen wären... vor allem, wenn man bedenkt, welch positiven Effekte eine weniger nach materiellem Reichtum strebende und mehr auf das harmonische Miteinander bedachte Gesellschaft auf die Psyche aller in ihr lebender Menschen haben würde.
Es gäbe weniger Existenzangst in der Bevölkerung, weniger extreme Unterschiede zwischen arm und reich, weniger Habgier und Neid... und daraus resultierend auch deutlich weniger Kapitalverbrechen.
Durch die Schaffung von mehr Teilzeitstellen könnte nicht nur den Arbeitenden mehr Zeit für ihr Privatleben und die Beschäftigung mit geistigen, sportlichen und kulturellen Angeboten gegeben werden... es ließen sich garantiert auch viele, die den geregelten 8-Stunden-Arbeitsalltag von heute als zu anstrengend und ungerechtfertigt ablehnen, davon überzeugen, für ein kleines Zubrot einen Teil ihrer Zeit der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen, ohne dass sie dabei gleich den Verkauf ihrer Seele befürchten müssten.
Vielleicht wären die Briefkästen nicht mehr täglich vollgestopft mit Werbung für Produkte, die eigentlich kein Mensch haben möchte... vielleicht gäbe es dann statt 3 Baumärkten nur noch einen in der Stadt, und im Supermarktregal statt 30 verschiedenen Haarshampoos nur noch 5 Sorten zur Auswahl.
Aber wäre das wirklich ein Verlust für irgendjemanden, außer für die armen Schweine, deren Existenz davon abhängt, Dinge herzustellen und zu verkaufen, für die der Bedarf erst noch künstlich geweckt werden muss?

Uns geht es materiell so gut wie selten zuvor in der Geschichte. Wo in früheren Jahren ein Bauer oftmals schon Schwierigkeiten hatte, sich selbst und seine Familie ausreichend zu versorgen, reicht die heutzutage vorhandene Technik aus, um mit der Arbeitskraft von wenigen ein ganzes Land zu ernähren.
Wir könnten es uns daher locker erlauben, zu großen Teilen eine Gesellschaft aus Philosophen und Künstlern zu werden. Doch wir ziehen das Dasein als erholungsbedürftige Arbeiter und unter Dauerstress stehende Konsumenten vor... vielleicht auch gerade weil uns dank ständigem Stress und Leistungsdruck die Zeit fehlt, über diese und andere Problematiken ausgiebig nachzudenken. Ein Teufelskreis, den zu unterbrechen uns nur gelingen kann, wenn wir nicht immer gebetsmühlenartig die Fehler unserer Vorfahren wiederholen, sondern uns querstellen und nach alternativen Möglichkeiten Ausschau halten.
Wir müssen einfach lernen, in solchen Fragen nicht länger auf die Alten und unsere Führer zu hören... sondern auf die Stimme des trotzigen Kindes in uns, das lieber Spielen als in die Schule gehen möchte.
Natürlich kann man jetzt entgegnen, dass es das Kind halt einfach noch nicht besser weiß. Aber vielleicht ist es auch einfach nur noch nicht so sehr von Sprüchen wie „So ist das nun mal" und „Anders geht es eben nicht" manipuliert und eingeschüchtert worden... vielleicht hat es noch die wahre Bedeutung von Leben verinnerlicht, die so viele Erwachsene längst verlernt haben.
Ja, wir müssen zurückfinden zu einer gesunden Trotzhaltung... dazu, dass wir die Suppe, die man uns täglich vorsetzt, einfach nicht mehr essen, wenn sie uns nicht schmeckt, sondern uns im Zweifelsfall lieber eine eigene zubereiten.

Sicherlich wird der Traum von einer solidarischen Welt, in der alle Güter gerecht verteilt sind und niemand mehr in unwürdigen Verhältnissen leben muss, nicht von heute auf morgen zu verwirklichen sein.
Aber wir können uns zumindest schon einmal mit Gleichgesinnten zusammenschließen, unsere Forderungen nach Außen tragen, übermäßigen Konsum vermeiden, dem an unserer Arbeitskraft verdienenden Establishment den Stinkefinger zeigen, alternative Erwerbsmöglichkeiten, die weniger Zeit in Anspruch nehmen, nutzen, etc.
So lange nur Einzelne diesen Weg gehen, wird sich naturgemäß wenig bewegen. Doch wenn das Bewusstsein dafür, dass wir noch immer weitaus mehr arbeiten, als es eigentlich notwendig wäre, und dass wir unsere kostbare Lebenszeit weit unter Wert verkaufen, erst einmal so weit in der Bevölkerung verbreitet ist, dass dem System die Willigen ausgehen, dann wird sich garantiert auch nachhaltig etwas verändern.


KAPITEL 4 - Leinenzwang und Ausweispflicht


„Einigkeit und Recht und Freiheit, für das deutsche Vaterland" - so schallt es einem bei Fußballspielen, Staatsempfängen und anderen offiziellen Gelegenheiten verheißungsvoll entgegen.
Freiheit scheint also ein bedeutendes Gut in unserer Gesellschaft zu sein... zumindest, was die in der Hymne besungene "Freiheit des Vaterlandes" angeht. Mit der Freiheit der in diesem Vaterland lebenden Individuen sieht es dagegen leider völlig anders aus.
Im Grunde verlieren die Menschen ihre Freiheit doch gleich nach der Geburt. Eine jede Seele, die neu in unsere Welt gelangt, bekommt als erstes Vor- und Nachnamen verpasst, die sie oft nicht im Geringsten charakterisieren, sie aber dennoch ihr ganzes Leben lang wie eine Fußfessel begleiten werden. Wir sind also nicht einmal frei in der Wahl unserer Identität.
Mehr noch, man ist sogar dazu verpflichtet, ein Dokument zu besitzen, das einen als derjenige ausweist, der man in den Augen der anderen ist. Und wenn es Zweifel über die Identität des Menschen gibt, so wird in der Regel diesem Stück Papier Glauben geschenkt, und nicht dem Willen des betroffenen Menschen. Als ob andere besser wüssten, wer man ist, als man selber... als ob sie überhaupt irgendein Anrecht darauf hätten, in dieser Frage mitzuentscheiden.

Auch die Meinungsfreiheit, auf die unsere westliche Zivilisation so stolz ist, ist bei genauerer Betrachtung nichts als eine klassische Mogelpackung.
Ähnlich der Meinungsfreiheit in einer Diktatur, in der man zwar alles sagen darf, was man will, aber nur, so lange man sich nach den Spielregeln des herrschenden Regimes richtet, ist auch das, was man hierzulande ohne Furcht vor Strafe sagen darf, von dermaßen vielen Ausnahmen und Verboten eingeschränkt, dass es eigentlich der pure Hohn ist, trotz allem überhaupt noch von einer Rede- bzw. Meinungsfreiheit zu sprechen.
So kann man zum Beispiel wegen Beleidigung vor Gericht gezerrt werden... sprich: wenn man zu gesellschaftlich integrierten Erwachsenen unfreundliche Dinge sagt. (was wir Kindern, Arbeits- oder Obdachlosen für Beleidigungen an den Kopf werfen, interessiert ja niemanden, weil die sich sowieso keinen Anwalt leisten können).
Man kann sich strafbar machen durch "Verleumdung", "üble Nachrede", "Geschäftsschädigende Äußerungen" und ähnliche unerwünschte Meinungsäußerungen.
Verunglimpft man andere Religionen, die einem lächerlich erscheinen, kann man ebenso juristisch belangt werden, wie wenn man das Grundgesetz oder bestimmte tabubelastete historische Tatsachen all zu aggressiv in Frage stellt. Das nennt sich dann "Volksverhetzung" - was an sich schon ein lustiger Begriff ist, weil bei genauerem Hinsehen unsere ganze Konsum- und Medienwelt, ja eigentlich die gesamte parlamentarische Demokratie, seit jeher nur dadurch funktioniert, dass ein unmündiges "Volk" von einzelnen Individuen oder Organisationen manipuliert und in eine bestimmte Richtung gedrängt (und damit gegen andere Richtungen aufgehetzt) wird.
Jede Wahlveranstaltung ist im Grunde Hetze auf den jeweiligen politischen Gegner dieser Partei. Jede Predigt in der Kirche stachelt die Menschen dazu an, an Märchen zu glauben und sich gegen Vernunft und Logik zu stellen. Jeder zweite Zeitungsbericht hetzt eine Gruppe von Menschen gegen eine andere auf.
Das gesamte gesellschaftliche Leben ist voller Hetze. Doch nur, wenn mal jemand das Volk in einer Weise aufzuhetzen versucht, die den Interessen der Machthaber extrem zuwider läuft, spricht man dabei von "Volksverhetzung"... dann, aber wirklich nur dann, ist das Volk plötzlich eine dumme, manipulierbare Masse, die man vor ihren Verführern schützen muss.
Ansonsten, vor allem, wenn es darum geht, den Herrschaftsanspruch der gewählten Politiker zu legitimieren, ist das Volk natürlich überhaupt nicht dumm und macht alles, was es machen soll, aus freien Stücken, und nicht etwa, weil es irgendjemand zuvor einmal aufgehetzt hätte. Ein Schelm, wer glaubt, dass hier mit zweierlei Maß gemessen wird...

Also wo ist in unserem Land echte Meinungsfreiheit?
Ich darf als Schüler zwar jederzeit sagen, was mir am heutigen Schulsystem nicht passt... aber sobald mir mein Lehrer befiehlt, ruhig zu sein, habe ich ihm Folge zu leisten, wenn ich nicht empfindlich bestraft werden will.
Ich darf Tucholsky zitieren, der Soldaten als Mörder bezeichnet... doch wenn ich konkret zu einem Soldaten oder Polizisten hingehe und ihn "Mörder" nenne, kann ich dafür verklagt werden... und dann interessiert es das Gericht auch nicht im Geringsten, ob derjenige in Ausübung seines Dienstes tatsächlich schon für den Tod eines anderen Menschen verantwortlich war oder nicht. Genauso wenig, wie es das Gericht interessiert, ob der Nachbar, den ich als "Arschloch" bezeichnet habe, tatsächlich ein Arschloch ist... denn im Zweifelsfall zählen in unserem Staat die Persönlichkeitsrechte eines Menschen, der anderen dessen Meinung verbieten will, mehr, als die Überzeugungen von jemandem, der ungeschminkt seine Gedanken äußert.
Begründet wird dies von den Befürwortern der heute üblichen Rechtspraxis unter anderem damit, dass auch verbale Angriffe verletzend sein können und ein Bürger in einer zivilisierten Gesellschaft die Möglichkeit haben muss, sich juristisch vor solchen Angriffen schützen zu können, bevor der Streit eskaliert und sich eventuell von einer verbalen zu einer körperlichen Auseinandersetzung weiterentwickelt.
Doch was ist das für eine Welt, in der die Abscheu oder Furcht eines Menschen vor den Ansichten seiner Mitmenschen über deren Recht auf Redefreiheit gestellt wird...
in der die Leute ihre Konflikte nicht mehr von Angesicht zu Angesicht lösen können, sondern nur noch, in dem sie sich gegenseitig verklagen und mit Hilfe von fremden Anwälten mundtot zu machen versuchen?
Es ist eine Lügenwelt... und eine solche Welt, die den Feigen und Hinterlistigen das Vorankommen erleichtert, und denen, die geradeaus sagen, was sie denken, Geldstrafen aufbrummt und ihnen das Aussprechen ihrer Meinung verbietet, wird niemals auch nur annähernd den sozialen Frieden finden, den irgendwelche weltfremden Juristen durch ihre ganzen Gesetze und Paragraphen ernsthaft zu bewahren glauben.
Ganz im Gegenteil. Eine Gesellschaft, die im Namen der "Meinungsfreiheit" sogar Kriege führt, obgleich die Meinungsfreiheit auch in ihr eindeutige, klar definierte Grenzen hat (auch wenn diese anders gesteckt sein mögen als in einer klassischen Diktatur), macht sich in höchstem Maße angreifbar und liefert ihren Feinden die denkbar beste Munition. Sie wird auch den letzten dummen Dorfnazi, der an der Existenz von Auschwitz zweifelt oder die Hand zum Hitlergruß erhoben hat, noch zu einem heroischen Freiheitskämpfer hochstilisieren, in dem sie ihn ganz ähnlich behandelt, wie sich diktatorische Regime seit jeher gegenüber ihren politischen Gegnern verhalten haben.

Echte Meinungsfreiheit würde hingegen bedeuten, auch Narren ihre Meinung zu lassen, und auch böswilligen Menschen das Recht zuzugestehen, Worte auszusprechen, die anderen weh tun können. Doch von einem solchen Verständnis von Aufrichtigkeit ist unsere Gesellschaft leider noch meilenweit entfernt. Es scheint, als haben die Verantwortlichen viel zu viel Angst vor den Meinungen Andersdenkender und deren Folgen, als dass sie echte, aufrichtige Meinungsfreiheit tatsächlich zulassen könnten.
Der im Grundgesetz stehende Satz "Eine Zensur findet nicht statt" erscheint angesichts dieser Tatsache wie der pure Hohn.
Selbstverständlich findet heutzutage genau wie früher Zensur statt! Man hat nur die Begründungen geändert, weil man aus den Misserfolgen vergangener Zensur-Maßnahmen gelernt zu haben glaubt. Es soll schließlich kein Bürger den Eindruck bekommen, dass man ihm unbequeme Wahrheiten oder ernsthafte politische Meinungsäußerungen vorenthält... vielmehr redet man heute ganz gutmenschenhaft vom "Jugendschutz", vom "Schutz der Menschenwürde", und in der Begründung von Zensur wird auch nicht wie in früheren Zeiten zu lesen sein, dass das zensierte Werk "entartet", "gotteslästernd" oder "ein verwerflicher Aufruf zur Revolution" sei, sondern eher, dass es die geistige Entwicklung Heranwachsender gefährdet, religiöse Gefühle anderer Menschen verletzt oder Gewalt als Mittel der Konflitklösung gutheißt.
Man gibt vor, durch staatliche Zensurmaßnahmen nicht länger revolutionäres Gedankengut in der Bevölkerung unterdrücken zu wollen, sondern lediglich dazu beizutragen, dass sich die Jugend "gesund" entwickelt und nicht durch böse Gewalt- oder Sexdarstellungen dazu angestachelt wird, einen anderen Lebensweg einzuschlagen als ihre angepaßte Elterngeneration. Letztlich läuft beides zwar exakt auf das selbe hinaus... aber man verkauft es den Bürgern heute eben wesentlich cleverer.
"Jugendschutz" ist nunmal im Gegensatz zum hässlichen Wort "Zensur" ein durch und durch positiv besetzter Begriff... und kaum ein argloser Bürger käme beim Hören dieses Begriffes auf die Idee, dass es den Verantwortlichen letztlich gar nicht um den Schutz der Jugend, sondern in erster Linie um den Schutz ihrer Weltordnung geht. (womit im Grunde nichts anderes gemeint ist, als die Aufrechterhaltung der bestehenden Besitzverhältnisse.)
Seit Menschengedenken geht es bei allen staatlichen Zensurmaßnahmen letztlich immer nur um diese eine Sache.
Das Erschreckende daran ist jedoch, dass große Teile der Bevölkerung heutzutage mehr denn je davon überzeugt sind, dass diese ganzen Einschränkungen ihrer persönlichen Freiheit letztlich nur zu ihrem eigenen Wohl geschehen, und dass man sich als zivilisierter Mensch nicht länger, so wie in früheren Zeiten, notfalls mit Gewalt gegen jene zur Wehr setzen darf, die einem das Wort verbieten oder sonstige unverschämte Vorschriften machen wollen.

Vermutlich rührt diese hohe Akzeptanz der Gesetze nicht zuletzt daher, dass die staatliche Ordnungsmacht heute (aus gutem Grund) etwas demokratischer auftritt und die Strafen für Verstöße nicht mehr ganz so drakonisch ausfallen, wie es etwa noch im Mittelalter der Fall war.
Rein quantitativ haben die Zwänge, Verbote und Verhaltensmaßregeln, denen wir uns tagtäglich zu unterwerfen haben, jedoch seit damals um ein Vielfaches zugenommen.
So schreibt man uns etwa vor, dass wir während des Autofahrens nicht telefonieren dürfen, beim Radfahren einen Helm tragen oder als Fußgänger beim Überqueren einer Kreuzung grundsätzlich auf "grün" warten müssen, auch wenn gerade weit und breit kein anderer Verkehrsteilnehmer in Sicht ist.
Man erzählt uns, welche Drogen wir konsumieren können und welche nicht, in welchen Seen wir baden, welche Fische wir angeln, an welchen Feuerstellen wir grillen dürfen, und welche Sicherheitsvorschriften wir beim Bedienen bestimmter Maschinen oder dem Bau unseres eigenen Hauses zu beachten haben.
Für jede zweite Tätigkeit, die man in diesem Land ausüben möchte, benötigt man zunächst einmal einen Schein oder eine behördliche Genehmigung, wenn man sich nicht allein deshalb, weil man darüber nicht verfügt, strafbar machen will... und haben wir einmal Streit mit unserem Nachbarn, steht in irgendeinem schlauen Buch garantiert schon längst eine allgemeingültige Antwort auf die Frage, wer von uns beiden das Recht auf seiner Seite hat, und wer zähneknirschend klein bei geben muss.
Jeder scheinbar noch so unbedeutende Aspekt unseres Alltags ist bereits von denen, die vor uns da waren, in irgendwelche starren Normen und Paragraphen gepresst worden. Zuweilen sogar nicht bloß aus reinem Eigennutz, sondern durchaus auch in der wohlwollenden Absicht, das Leben für jeden Einzelnen verlässlicher und sicherer zu gestalten.
Doch "gut gemeint" ist eben oftmals etwas völlig anderes als "gut gemacht".
Wer das Leben normiert (also alle Menschen unabhängig von deren individuellen Bedürfnissen und Fähigkeiten über einen Kamm schert), wird dem hochintelligenten 15-Jährigen, der besser über Politik Bescheid weiß als mancher mit 45, aufgrund seiner "Minderjährigkeit" jedoch trotzdem nicht über die Zukunft der Gesellschaft mitentscheiden darf, letztlich ebenso wenig gerecht werden wie der vorsichtigen Frau mit Prüfungsangst, die vielleicht rücksichtsvoller Autofahren könnte als manch anderer, aber dem psychischen Druck der Prüfungssituation nicht standhält und deshalb nie in ihrem Leben einen Führerschein bekommen wird.
Menschen, die von der Norm abweichen, sind nun einmal die ersten Opfer eines jeden auf Normen basierenden Gesellschaftsmodells. Da macht auch das unsere keine Ausnahme.

Eine weitere, äußerst bedenkliche Begleiterscheinung des immer weiter um sich greifenden Kontrollwahns ist, dass die Bereitschaft des Staates, seine Bürger präventiv zu bestrafen (also vorsorglich für ein scheinbar unvorsichtiges Verhalten zur Rechenschaft zu ziehen, noch ehe dadurch irgendjemandem ein Schaden entstanden ist), in den letzten Jahrzehnten ebenso dramatisch zugenommen hat wie die Akzeptanz solcher präventiver Strafmaßnahmen in der Bevölkerung.
"Es ist ja nur zu unserem eigenen Schutz", denken die Leute, und finden es gut, dass man harmlose Teenager juristisch verfolgt, weil sie ein bisschen an ihrem Moped herumgebastelt haben... dass man alle, die ohne Erlaubnis eine Waffe besitzen, unabhängig von ihrem Charakter automatisch wie Schwerverbrecher behandelt, dass man Betrunkenen das Fahrradfahren, Rauchern das Rauchen oder Lebensmüden den Freitod verbietet, ganz gleich, ob sich im konkreten Einzelfall überhaupt irgendwer davon gestört gefühlt hätte oder nicht.
Frei nach der vielleicht etwas merkwürdigen, aber aufgrund jahrhundertelanger Unterdrückung fest im kollektiven Bewusstsein der Menschheit verankerten Logik: „Lieber vorsorglich in die Freiheit aller Menschen eingreifen, als dass einer von ihnen etwas tun könnte, wodurch andere in ihrer Freiheit beeinträchtigt werden."

Eine Gesellschaft ist ja in gewisser Weise wie eine große Familie... zumindest, wenn es nach dem Eindruck geht, der dem einfachen Volk von seinen "Landesvätern" vermittelt werden soll.
Da wäre es doch eigentlich nur angebracht, Unfällen und Streitigkeiten auch genau so vorzubeugen, wie man dies in einer vernünftigen Familie tun würde...
In dem man dem Kind beispielsweise sagt: "Fass nicht auf die Herdplatte, dort ist es heiß!" Meinetwegen, in dem man ihm auch mal energisch die Hand wegzieht, wenn es auf den gutgemeinten Rat partout nicht hören will und es trotzdem ausprobiert.
Das wäre natürlich, effizient und vor allem gerecht, weil dann nur jene ermahnt würden, die auch tatsächlich den Eindruck erwecken, nicht auf sich selber aufpassen zu können.
Die heutige Gesellschaft, mit all ihren Zwängen, Pflichten und Sicherheitsmaßnahmen, ist hingegen mit einer Familie zu vergleichen, in der man allen unter 18-jährigen Familienmitgliedern pauschal den Aufenthalt in der Küche verbietet, weil sie sich ja theoretisch an der Herdplatte verletzen könnten, und in der auch die über 18-jährigen Familienmitglieder, Papa, Mama, Onkel und Oma, nur dann an den Herd dürfen, wenn sie zuvor eine notariell beaufsichtigte Prüfung absolviert haben, die bestätigt hat, dass sie mit Hitze und Feuer angemessen umgehen können, ohne sich oder andere dabei zu gefährden.
Jeder, der in dieser seltsamen Familie mit dem Hund spazierengehen wollte, müsste sich erst einmal in einer Liste eintragen und dann im Wettkampf mit den anderen Bewerbern beweisen, dass er für diese Aufgabe besser geeignet ist als sie.
Und um sicher zu gehen, dass jeder täglich duscht und mindestens einmal in der Woche sein Zimmer aufräumt, müssten alle Familienmitglieder eine Stempelkarte mit sich führen, die beweist, dass sie ihren regelmäßigen Pflichten auch tatsächlich nachgekommen sind.
Das Vergessen des Abstempelns würde hierbei natürlich, genauso wie das Vortäuschen eines Duschvorgangs oder das Blockieren des Badezimmers, mit einer empfindlichen Strafe (wie beispielsweise dreitägigem Hausarest oder zwei Monate Kartoffelschälen) geahndet.

Dass eine solche Familie nicht nur zutiefst gestört wäre, sondern durch die ganzen komplizierten Regeln und Mechanismen auch für die einfachsten Tätigkeiten mindestens dreimal so viel Zeit benötigen würde wie die Nachbarsfamilie, bei der die Kinder vielleicht ab und zu ungewaschen herumlaufen oder einen Verband an der Hand tragen, aber dafür frei über ihr eigenes Leben bestimmen können, müsste doch eigentlich jedermann klar sein...
Und trotzdem befürworten Menschen, die selber nie in einer solchen Familie wie aus dem oben genannten Beispiel leben wollten, einen Staat, der nach genau dem selben Prinzip vorgeht, wenn es darum geht, seine Bürger zu schützen und Unglücksfälle und Unregelmäßigkeiten jeglicher Art zu unterbinden.
Wie gesagt: "Lieber vorsorglich in die Freiheit aller Menschen eingreifen, als dass einer von ihnen etwas tun könnte, wodurch andere in ihrer Freiheit beeinträchtigt werden."
Lieber sollen sich auch die intelligentesten Menschen irgendwelchen schwachsinnigen Kontrollen und Ritualen unterziehen, als dass ein Dummkopf unter ihnen unbemerkt Dummes tun könnte.
Lieber soll die Polizei auf der Suche nach einem Sexualstraftäter alle männlichen Bewohner eines Ortes vorladen und ihnen notfalls mit Gewalt eine Blutprobe abnehmen, als dass draußen ein gesuchter Vergewaltiger weiterhin frei herumlaufen könnte.

Die schweigende Mehrheit der Bevölkerung ist leider immer noch dem einst von der Obrigkeit gesäten Irrglauben verfallen, dass es zum Bändigen des Angst verbreitenden Monsters "Verbrechen" unbedingt ein weiteres, furchteinflößendes Monster namens "Ordnungsmacht" braucht, damit nicht von heute auf morgen die ganze Welt im Chaos versinkt.
Dass sich durch die Existenz von zwei Monstren die Wahrscheinlichkeit, von einem solchen gefressen zu werden, nicht unbedingt minimiert, sehen die Menschen nicht.
Sie vertrauen "ihrem" Monster, dem Staat... versichert es ihnen doch ständig, die Menschenwürde zu achten und zudem von einer starken Kette aus Gesetzen und ausgeklügelten Überwachungsmechanismen im Zaum gehalten zu werden.
Wie lang diese Kette allerdings sein darf, welchen konkreten Regeln das Monster unterworfen ist, und wie man "Menschenwürde" nun eigentlich juristisch definiert, bestimmen dummerweise nicht jene, die im Falle eines Fehlers als erste unter dem Monster zu leiden hätten, sondern bestimmte außerwählte Volksvertreter, die, um ihre zahlreichen politischen Ideen überhaupt gegen Andersdenkende durchsetzen zu können, tagtäglich auf die abschreckende Wirkung dieses Monsters angewiesen sind.
Und auch die Justiz, angeblicher Garant dafür, dass es bei den Entscheidungen der Politiker mit rechten Dingen zugeht, ist keineswegs unabhängig, sondern an bereits zuvor von Politikern erlassene Gesetze gebunden... ganz davon abgesehen, dass sie auch nicht von einer unabhängigen Menschenrechtsorganisation finanziert wird, sondern von ein und dem selben Staat, dessen Rechtschaffenheit sie kritisch und unparteiisch überprüfen soll.
Wir haben also im Grunde ein Überwachungs-System, das sich komplett selbst überwacht und theoretisch ganz für sich selbst festlegen darf, was legitim ist und was nicht.
Dass aber der Kutscher nach eigenem Ermessen bestimmt, welche Geschwindigkeit seiner Kutsche, den Passagieren und dem übrigen Verkehr zuzumuten ist, ist genau das, was der Staat einem jeden Autofahrer mit Hinweis auf die vielen Gefahren, die damit verbunden sind, seit jeher verwehrt.
Mit anderen Worten:
Der normalsterbliche Durchschnittsbürger muss jederzeit damit rechnen, von Polizisten, Finanzbeamten oder sonstigen Staatsdienern beobachtet, kontrolliert und bei bloßem Verdacht wie ein potentieller Straftäter behandelt zu werden... hat aber im Gegenzug nicht das selbe Recht bei denen, die ihn beständig von der Richtigkeit des Sprichwortes "Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser" überzeugen wollen.
Er kann nicht mal eben so, weil er einen schlimmen Verdacht hegt, die Wohnung des Innenministers durchsuchen, oder, um zu sehen, dass alles seine Richtigkeit hat, unangekündigt im örtlichen Polizeirevier auftauchen und die Einsatzpläne, Ausweise und Steuerabrechnungen der dort versammelten Beamten überprüfen.
Denn die Überwachung funktioniert eben, allen Beteuerungen und demokratischen Fassaden zum Trotz, seit jeher nur in eine Richtung: Von oben nach unten nämlich... und man muss schon ein sehr großer Optimist sein, um trotzdem daran zu glauben, dass ein solch hierarchisch organisiertes Rechts-System tatsächlich zu mehr Gerechtigkeit beiträgt, und nicht bloß dazu, die bestehenden Hierarchien und Ungleichheiten weiter zu manifestieren.

Wobei die Idee, dass da Menschen sind, die hauptberuflich auf die Gemeinschaft aufpassen und im Namen der Schwachen und Wehrlosen gegen üble Schurken vorgehen, ja an sich gar nicht mal schlecht ist. Aber dafür müssten sie ganz anders auftreten, als es die Polizisten heutzutage tun... als echte Freunde und Helfer eben, die nur dann eingreifen, wenn Gefahr im Verzug ist, und die den Bürgern ansonsten einfach nur hilfsbereit oder vermittelnd zur Seite stehen.
Doch ein Freund kontrolliert und überwacht einen nicht, er beschützt einen höchstens. Das ist ein gewaltiger Unterschied! Er redet auch ganz normal mit einem, anstatt irgendwelche Paragraphen zu zitieren... und er würde einen nicht präventiv für etwas bestrafen, was vielleicht unter Umständen irgendwann einmal gefährlich werden könnte, sondern einem höchstens mal ordentlich die Meinung geigen.
Die Realität sieht allerdings völlig anders aus... denn vorrangige Aufgabe der Polizei ist es eben nicht, den Bürgern ein echter Freund zu sein und dafür zu sorgen, dass es in der Gesellschaft gerecht zugeht, sondern in erster Linie, die derzeit gültigen Gesetze durchzusetzen.
Das heißt mit anderen Worten: Wenn gerade eine kapitalistisch orientierte Regierung an der Macht ist, werden die Polizisten mit der gleichen Selbstverständlichkeit überschuldeten Sozialhilfeempfängern die Wohnung pfänden, mit der sie unter einer kommunistischen Regierung die Villa eines reichen Industriellen beschlagnahmen oder unter Herrschaft von Nazis die Einhaltung der Rassegesetze überprüfen würden.
Gesetze sind eben nicht gleichbedeutend mit Gerechtigkeit... Das war schon seit Menschengedenken so, und ist auch in einer parlamentarischen Demokratie wie der unseren nicht viel anders geworden.
Zwar darf heute das Volk seine Regierung selbst wählen und damit indirekt auch ein wenig über die Gesetzgebung mitentscheiden... aber was ist diese Wahlmöglichkeit schon wert, wenn man letztlich eh nur die Wahl zwischen verblendeten Fanatikern und machtgeilen Egoisten hat?
Die vielen wirklich anständigen Menschen, die weitaus besser als jeder Politiker wüssten, was echte Gerechtigkeit ist, lassen sich doch erst gar nicht zur Wahl aufstellen... weil sie eben nach dem Motto "Leben und Leben lassen" durch die Welt gehen und überhaupt kein Interesse daran haben, Herrscher über Millionen zu werden und dem ganzen Land ihren persönlichen Stempel aufzudrücken.
Und so kommt es, dass für die Gesetzgebung fast ausschließlich Menschen verantwortlich sind, die solche Skrupel nicht oder nicht in ausreichendem Maß besitzen... Menschen, die ihre Moralvorstellungen und ihre persönliche Weltanschauung so wichtig nehmen, dass sie sie am liebsten für alle zur Pflicht erklären (also gesetzlich festlegen) möchten.

Dass es völlig inakzeptabel ist, jemanden, den man geil findet, einfach anzuspringen und zu vergewaltigen, oder einem lärmendem Kind aus der Nachbarschaft zur Strafe den Kopf abzuhacken, darüber dürfte sich die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung auch ohne gesetzgebende Macht im Klaren sein... und würden Gesetze nur die schriftliche Fixierung solcher moralischer Selbstverständlichkeiten beinhalten, die klassen- und kulturübergreifend von nahezu allen Menschen ähnlich gesehen werden, könnten wohl auch die meisten Anarchisten problemlos mit der Existenz dieser Richtlinien leben.
Dummerweise basiert jedoch nur ein kleiner Teil der Gesetze, aufgrund denen Menschen heutzutage angeklagt, verfolgt und eingesperrt werden können, auf derlei allgemein akzeptierten Grundübereinkünften.
Ein weitaus größerer Teil hingegen schreibt der Bevölkerung pauschal eine bestimmte Verhaltensweise vor, obwohl die Ansichten der Bürger zu diesem Thema oftmals meilenweit auseinandergehen.
Ja, wenn man an politische Debatten über Abtreibung denkt, über Sterbehilfe, oder darüber, ab wann unangemeldete Arbeit Schwarzarbeit ist, und welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit aus einem potentiellen Asylbetrüger ein anerkannter Flüchtling wird, dann sieht man, dass sogar innerhalb einer Partei völlig unterschiedliche Meinungen darüber existieren, welche Regelung nun eigentlich richtig ist und welche nicht.
Im Grunde sieht es jeder Abgeordnete ein wenig anders als seine Kollegen. Keiner von ihnen hat die ultimative Wahrheit gepachtet, und nicht selten kommt es sogar vor, dass ein Politiker den Menschen in seinem Land eigentlich gar keine neuen Vorschriften zumuten möchte, er aber von allen möglichen Interessengruppen regelrecht dazu genötigt wird, deren nicht gerade uneigennützige Vorstellungen von "richtig" und "falsch" zu übernehmen und als angebliche Ideallösung gegen die Meinungen seiner andersdenkenden Politikerkollegen durchzusetzen.
Dann fangen sie an, miteinander zu diskutieren und zu feilschen, nach dem Motto "Wenn du meinem Gesetz zustimmst, dann stimme ich auch deinem zu, auch wenn ich es eigentlich für falsch halte."... Ein Prozess, der sich auch schnell mal über viele Jahre hinziehen kann.
Doch dann, wenn sie nach unzähligen zähen Verhandlungen endlich einen (garantiert faulen) Kompromiss gefunden und ihre Vorstellungen gesetzlich festgelegt haben, erwarten sie auf einmal von der gesamten Bevölkerung, dass die sich an die neuen, mühsam ausgehandelten Spielregeln hält, als wären diese das Selbstverständlichste auf der ganzen Welt.

Wer sich dies nicht gefallen lässt, sei es, weil er andere moralische Grundsätze hat als jene, die gerade an der Regierung sind, oder weil er schlicht und ergreifend davon genervt ist, dass ihm von irgendwelchen eingebildeten alten Säcken schon wieder ein Stück Selbstbestimmungsrecht aberkannt werden soll, wird von der Polizei alsbald mit der gleichen Konsequenz verfolgt, mit der sie sich auch an die Fersen eines Kinderschänders oder Serienmörders heften würde.
Bestes Beispiel dafür, wie im Namen des Gesetzes nicht etwa mehr Gerechtigkeit geschaffen, sondern in erster Linie blindwütige Gesinnungsjustiz verübt wird, ist die Drogenpolitik:
Weil es nun einmal Menschen gab und gibt, die nicht in der Lage sind, in einem vernünftigen Maße mit Drogen umzugehen, so dass sie sich das Geld für ihre Sucht letztlich mit kriminellen Methoden verschaffen müssen, haben es sich die Politiker (die sich moralisch natürlich wie immer völlig im Recht wähnten) einfach gemacht und die allermeisten Drogen gleich generell verboten... mit dem Ergebnis, dass plötzlich auch all die vielen Drogenkonsumenten, die trotz ihrer Vorliebe anständige Menschen geblieben sind und nie im Leben auf die Idee gekommen wären, andere zu betrügen oder einer alten Oma die Handtasche zu klauen, ganz bewusst als rücksichtslose Verbrecher abgestempelt wurden.
Man kriminalisiert also, um die Gesellschaft vor einigen verantwortungslosen Dummköpfen zu schützen, zahllose ehrwürdige, vernunftbegabte Drogengenießer gleich mit, sperrt sie im Namen des Gesetzes in ein und das selbe stinkende Loch... und wundert sich dann auch noch ernsthaft darüber, dass es allen Abschreckungsmaßnahmen zum Trotz am Ende nicht etwa weniger, sondern immer mehr Drogendelikte gibt, mit denen sich die Gerichte zu beschäftigen haben.

Theoretisch könnte man natürlich auch problemlos 100 Prozent der Bevölkerung zu Straftätern machen, wenn man die Gesetze nur streng genug festlegen, die moralischen Ansprüche an jeden Einzelnen weit genug hochschrauben und gleichzeitig ein lückenloses Überwachungssystem installieren würde.
Aber durch immer ausgefeiltere Regeln und Kontrollen immer mehr Bürger in die Illegalität zu treiben, kann ja wohl nicht ernsthaft das Ziel eines demokratischen Rechtssystems sein, das eigentlich dazu da sein will, dass sich die Menschen in ihrem Land sicher und gerecht behandelt fühlen.
Wenn Gesetze nämlich zum Selbstzweck werden (also nicht mehr deswegen eingehalten werden, weil sie für nahezu alle Menschen moralisch nachvollziehbar sind, sondern nur noch deshalb, weil es sie eben gibt), dann werden sie im besten Fall lediglich dazu dienen, den Bürger von seinem Staat und dessen Dienern immer weiter zu entfremden.
Im schlimmsten Fall bewirken sie, dass sich die Menschen so sehr an die Allgegenwärtigkeit von Gesetzen, Regeln und Verbotsschildern gewöhnen, die ihnen bei jeder Gelegenheit vorschreiben, was zu tun und zu lassen ist, dass sie irgendwann gar nicht mehr dazu in der Lage sind, eigenverantwortliche Entscheidungen zu treffen und vom gesetzgebenden Establishment abweichende Moralvorstellungen zu entwickeln.
Solche wie unvernünftige Hunde an der Leine geführte Bürger sind von ihren jeweiligen Machthabern dann natürlich nach Belieben manipulierbar... dermaßen, dass sie selbst das größte menschenverachtende Unrecht noch für eine gute Idee halten werden, so lange es nur richterlich angeordnet oder in einer ordentlichen parlamentarischen Abstimmung von einer Mehrheit der Volksvertreter abgesegnet wurde.

Wie selbstverständlich die ständige Gängelung durch den Staat bereits in den Köpfen der Menschen verankert ist, sieht man zum Beispiel daran, dass sich viele von ihnen nicht im Geringsten an Polizeikontrollen, Ausweispflicht und den überall herumhängenden Überwachungskameras stören.
„Wenn man nichts verbrochen hat, braucht man sich davor ja nicht zu fürchten!", sagen sie, im festen Glauben daran, mit diesem Argument die Logik auf ihrer Seite zu haben.
Doch wie bereits weiter oben erwähnt, entscheidet leider nicht der gesunde Menschenverstand, ein Komitee gerechter, weiser Philosophen oder die Meinung des kleinen Mannes auf der Straße darüber, was heutzutage als Verbrechen bzw. "Ordnungswidrigkeit" gilt, sondern das Verhandlungsgeschick profilierungssüchtiger Politiker und einflussreicher Lobbyisten aus Industrie, Kirche, Medien und sonstigen Organisationen, die natürlich in erster Linie ihre eigenen wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Interessen verfolgen.
Zu was für kranken Auswüchsen diese Art der Gesetzgebung konsequent zu Ende gedacht dann führen kann, lässt sich unter anderem beim Thema "Copyright-Verstöße" erkennen...
Allein die Tatsache, dass für nicht vom Urheber legitimierte Vervielfältigungen überhaupt der Begriff "RAUBkopien" verwendet wird, der ja ein schlimmes Kapital-Verbrechen impliziert, zeigt schon, in welchem Maße sich da die Industrie mit ihrem Verständnis von Gerechtigkeit durchgesetzt hat.
Dass die große Mehrheit der Menschen moralisch überhaupt kein Problem damit hat, Computerspiele, Musik oder Filme zu vervielfältigen, da diese Produkte ohnehin meist zu völlig überteuerten, unverschämten Preisen angeboten werden, interessiert weder Politik noch Justiz.
Gerecht soll angeblich sein, wenn einige wenige Geschäftemacher die Rechte an allem besitzen, und der Rest der Bevölkerung teures Geld an diese wenigen zahlen muss, um in den Genuss von Dingen zu kommen, die eigentlich auch viel billiger verbreitet werden könnten... wenn es der Staat, der angeblich dem ganzen Volk dienen möchte, denn zuließe.
Um die wirtschaftlichen Interessen einer kleinen, elitären Gruppe zu schützen, wurde also die weitaus größere (gesellschaftlich jedoch nicht so einflussreiche) Gruppe der Kopierer kriminalisiert. Viele von ihnen mussten hohe Geldstrafen entrichten oder wurden sogar eingesperrt.
Dabei haben sie doch nur getan, was Menschen seit Jahrtausenden tun, was sogar in früheren Zeiten oftmals ausdrücklich erwünscht war, ja, wodurch sich gewissermaßen Kultur und Wissenschaft überhaupt erst über den ganzen Erdball verbreiten konnte...
sie haben Dinge, die sie sahen und als brauchbar empfanden, nachgeahmt und so gut es die ihnen zur Verfügung stehende Technik eben zuließ, zu imitieren versucht.
Hätte damals schon irgendein Anwalt gesagt: "Du darfst diese Idee nicht weiterverbreiten, weil der Philosoph Soundso die Patentrechte dafür besitzt.", oder "Du darfst die lateinische Schrift nicht benutzen, wenn du keine Lizenzgebühren an die katholische Kirche zahlst." - wer weiß, in was für einer geistig zurückgebliebenen Welt wir heute leben würden.
Doch die gierige Industrie und deren Vertreter wollen uns ernsthaft weismachen, dass die Allgemeinheit durch Raubkopien geschädigt wird... dass die Qualität der Ware nicht mehr gewährleistet ist, ganze Branchen deswegen zu Grunde gehen und schließlich die Chinesen die Weltherrschaft an sich reißen werden.
Sie drücken gewissermaßen den "PANIK"-Knopf in den Köpfen der Menschen.
Die Politiker und Juristen, die schon sabbernd in ihren Startlöchern hocken und nur darauf gewartet haben, sich endlich mal wieder als Retter aus höchster Not in Szene setzen zu können, springen bereitwillig darauf an und erlassen immer absurdere Gesetze.
Text, Noten oder Tonaufnahmen eines Liedes verbreiten, ohne zuvor die Erlaubnis der Plattenfirma einzuholen?
Verboten!
Ein bestehendes Computerprogramm verbessern und es gegen den Willen des Urhebers anderen Menschen zugänglich machen?
Verboten!!!
Ein Kunstwerk oder eine Erfindung mit Namen oder Zeichen versehen, die bereits von anderen rechtlich geschützt worden sind?
Verboten!!!
Wer heutzutage in der Öffentlichkeit irgendetwas Größeres auf die Beine stellen will, begibt sich fast zwangsläufig auf ein gefährliches, aus Behördenverordnungen, richterlichen Verfügungen und potentiellen Unterlassungsklagen bestehendes Minenfeld, das ohne Hilfe von spezialisierten Anwälten oder eigenen fundierten Jurakenntnissen kaum noch unbeschadet überquert werden kann.
Und den ganzen Personal- und Papieraufwand, der für jeden Unternehmer durch das ganze aufgeblasene Rechtssystem entsteht, zahlt am Ende natürlich nicht etwa der reiche Boss oder Vater Staat, sondern jeder einzelne Konsument, auf den diese "Betriebskosten" in Form von Preiserhöhungen abgewälzt werden.
Man bezahlt also in gewisser Weise nicht nur dafür, dass man ein bestimmtes Produkt erwirbt, sondern gleichzeitig auch noch dafür, dass man eine Kopie davon nicht irgendwo anders billiger erwerben kann.

Und das sind nur ein paar wenige Beispiele von vielen, die aufzeigen, wie der um sich greifende Reglementierungswahn die Freiheiten und Möglichkeiten jedes Einzelnen immer weiter einschränkt, nur, damit sich einige wenige daran bereichern können.
Was wird wohl als Nächstes kommen?
Vielleicht, dass es zukünftig verboten sein wird, ohne eingebautes Navigationsgerät mit dem Auto zu fahren? Und zwar mit der Begründung, dass eine Navigationsgerätpflicht die Verkehrssicherheit erhöht? (auch wenn das Gesetz in Wahrheit natürlich nur dazu dienen wird, der Elektroindustrie neue Käuferschichten zu erschließen.)
Oder, dass der Konsum von X (hier darf der Leser ein noch legales Genussmittel seiner Wahl einsetzen) untersagt wird, weil von der Konkurrenz bezahlte Wissenschaftler herausgefunden haben wollen, dass dieses für bestimmte Menschen außerordentlich schädlich ist??
Dass Schüler in Zukunft eine elektronische Fußfessel tragen müssen, um sie beim Schwänzen der Schule "zu ihrem eigenen Wohl" rechtzeitig wiedereinfangen zu können? Vielleicht sogar, dass alle Menschen gleich nach der Geburt einen Mikrochip implantiert bekommen, damit man sie in einem Notfall schnell finden und "retten" kann?
Die Liste der schwachsinnigen Dinge, zu denen ein Staat seine Bürger unter fadenscheinigen Sicherheitsargumenten zwingen kann, ließe sich beliebig fortsetzen.
Im Prinzip kann alles, was uns heute noch das Selbstverständlichste auf der Welt ist, morgen schon verboten sein, weil irgendwelche Organisationen, Firmen und Lobbyisten vor Gericht oder im Parlament ihre egoistischen Interessen durchgesetzt haben... und wenn wir nicht wollen, dass uns irgendwann sogar noch das Betreten der Wälder ohne Wald-Lizenz, das Joggen ohne Helm oder das In-der-Sonne-liegen ohne mindestens Lichtschutzfaktor 50 verboten wird, müssen wir uns allen Versuchen des Staates, noch mehr Einfluss auf unsere Privatsphäre zu nehmen, entschieden widersetzen... so lange wir dazu noch in der Lage sind. So lange wir noch miteinander kommunizieren können, ohne dass bereits der Versuch, staatliche Überwachung und Kontrolle kritisch zu hinterfragen, als terroristischer Akt und Anschlag auf die "freie Weltordnung" angesehen wird.
dian
unregistriert
09.12.2007 18:57 Diesen Beitrag einem Moderator melden Zum Anfang der Seite springen

KAPITEL 5 - Heiliger Schein


Dass sich sterbliche Wesen ab einem gewissen Grad an Intelligenz Fragen nach dem Sinn ihres Daseins und dem, was danach kommt, stellen, ist etwas ganz Natürliches. Man will wissen, wo man her kommt, was für eine Aufgabe man auf dieser Welt hat, und ob es nach dem Tod in irgendeiner Art und Weise weitergeht.
Es gibt so viel Magie, so viele Wunder in unserer Welt, dass es nur richtig sein kann, sich nicht vor dem scheinbar Unerklärlichen zu verschließen und interessiert und mit kritischem Blick die Phänomene des Lebens und Sterbens unter die Lupe zu nehmen.
Bedenklich wird die Sache jedoch, wenn die Menschen den Zugang zur Spiritualität nicht mehr in langen Zwiegesprächen mit sich selbst suchen, so wie es eigentlich angebracht wäre, sondern in den Lehren und Irrlehren von Gurus, Sekten, Kirchen und anderen Organisationen, die ihnen vorgekautes Wissen vorsetzen, um die Suche nach dem Sinn dadurch vermeintlich einfacher und bequemer zu gestalten.

Vor allem die großen monotheistischen Glaubensgemeinschaften haben sich allerdings längst von ihren spirituellen Wurzeln abgewandt. Spiritualität, also das aufrichtige Suchen nach dem Göttlichen in der Welt oder in einem selbst, wurde durch Routine ersetzt... durch alltägliche oder wöchentlich wiederkehrende Rituale, denen sich die Gläubigen wie tumbe Zombies unterziehen, in dem irrwitzigen Glauben, damit irgendeinem mächtigen Wesen im Himmel eine Freude zu bereiten oder diesem besonders nahe zu kommen.
Dazu kommt, dass die Religionen der stetig voranschreitenden Entwicklung der Menschheit zum Trotz stur auf der Stelle treten und Jahr für Jahr immer wieder die gleiche alte Leier anstimmen... womit sie ein bisschen so wirken wie eine in Ehren ergraute Pop-Gruppe, die, obwohl sie vor zweitausend Jahren mal ein oder zwei unglaublich erfolgreiche Nummer Eins-Hits hatte, seither nichts Vergleichbares mehr zu Stande gebracht hat, und die eigentlich nur noch dann in die Schlagzeilen gerät, wenn irgendein Bandmitglied mal wieder empört über den veränderten Musikgeschmack der Leute und den damit einhergehenden Besucherrückgang bei ihren seit Jahrtausenden regelmäßig stattfindenden Tourneen schimpft.

Dabei müsste mittlerweile doch selbst dem überzeugtesten Kirchenanhänger aufgefallen sein, dass der ständige Blick nach hinten, dieses ewige Huldigen von längst irrelevant gewordenen Geschichten aus der fernsten Vergangenheit, irgendwann einfach nicht mehr funktionieren kann...
allein schon deshalb, weil sich vieles, was unsere Vorfahren aufgrund ihres wissenschaftlichen Kenntnisstandes und ihrer geistigen Entwicklung für absolut logisch hielten, im Lauf der Zeit doch ein wenig relativiert hat und somit für die modernen Menschen von heute in einem gänzlich anderen Licht erscheinen muss.
So wurden damals beispielsweise Kranke aus der Gesellschaft ausgegrenzt, weil man ihnen unterstellte, gesündigt zu haben, man war fest davon überzeugt, dass sich die Sonne um die Erde dreht... und wenn einmal ein paar Wochen schlechtes Wetter war, vertrocknete die Ernte und es gab eine Hungersnot, der tausende Menschen zum Opfer fielen.
Es mangelte den damaligen Menschen also eindeutig an Wissen und der nötigen Fachkompetenz, um aus den Naturphänomenen, die sie beobachteten, die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen.
Dennoch glauben viele der heute lebenden, durchaus wissenschaftlich aufgeklärten Gläubigen ihren Vorfahren ohne mit der Wimper zu zucken deren Erlebnisberichte von Begegnungen mit irgendwelchen göttlichen Wesen... wobei doch ganz offensichtlich ein bisschen Technikverständnis und einige simple Spezial-Effekte, wie beispielsweise von Scheinwerfern angestrahlte Discokugeln oder Feuerwerkskörper, genügt hätten, um bei den unbedarften, naiven Bauern und Hirten von damals den Eindruck zu erwecken, einen allmächtigen Gott vor sich zu haben.
Und spätestens, als Hollywood die Zehn Gebote verfilmt hat, müsste eigentlich auch den letzten Zweifelresistenten der Gedanke gekommen sein, dass man vielleicht gar nicht mal unbedingt ein Gott sein muss, um das rote Meer zu teilen. (oder zumindest den Eindruck zu erwecken, als ob es sich teilen würde.)
Das heißt, selbst wenn man mit gutem Willen davon ausgeht, dass die Autoren der Bibel oder des Korans nichts zusammenfantasiert haben, sondern in ihren Berichten von Wunderheilungen, Meeresteilungen und Feuersäulen tatsächliche Begebenheiten schilderten, ist dies nicht mehr Beweis für die Existenz eines Gottes, als es eines Beweis für die Existenz von Außerirdischen, eines Zauberers oder eines Zeitreisenden ist.

Auch die von frommen Eiferern immer wieder gern ins Feld geführte Behauptung, dass Menschen ohne die Gebote ihrer Religion zunehmend an Werten und Moral verlieren würden, kann getrost als nettes, auf purem Wunschdenken basierendes Märchen bezeichnet werden.
Gerade die christliche Kirche versteht sich ja sehr geschickt darauf, so zu tun, als habe sie durch ihre heiligen Schriften die ewigen Patentrechte auf solch positiv besetzte Begriffe wie "Menschenwürde" oder "Nächstenliebe" erworben.
Dass Menschen theoretisch auch ganz ohne die Geschichte vom ans Kreuz geschlagenen Zimmermann zu kennen dazu in der Lage sein können, einander aufrichtig zu lieben und Mitleid mit den Schwachen und Wehrlosen zu empfinden, kommt den in ihrem unfehlbaren Weltbild gefangenen Glaubensbefürwortern offenbar nicht in den Sinn.
Sie verweisen beständig nur auf die positiven Aspekte ihrer Religion... auf die Bergpredigt, auf die Caritas, auf Mutter Theresa und zahllose weitere strenggläubige Menschen, die so gut und edel sind, dass sie ja eigentlich fast schon als personifizierter Beweis für die Existenz des in der Bibel beschriebenen "lieben" Gottes angesehen werden können.
Negative Auswirkungen von Religion, wie Fanatismus, Bigotterie und soziale Ausgrenzung von "Sündern", werden hingegen verharmlost oder halbherzig als "Kollateralschäden" bedauert.
Dabei sind sogar im alten Testament der Bibel, aber auch in den heiligen Büchern anderer Religionen, für jedermann nachlesbar zahllose menschenverachtende, zutiefst rückständige Passagen enthalten, die aber natürlich aufgrund der ewiggültigen Heiligkeit dieser Schriften nicht so ohne weiteres an einen toleranter gewordenen Zeitgeist angepasst werden können.
Da sind dann beispielsweise Stellen zu finden, in denen darüber philosophiert wird, wie man seine Sklaven zu behandeln hat, warum man einem Dieb am Besten die Hand abschlägt, unter welchen Voraussetzungen man seine Kinder steinigen darf und ähnliche Grausamkeiten, die dann auf einmal gar nicht mehr so sehr den Eindruck erwecken, als ob sie den damaligen Menschen tatsächlich vom allwissenden, gütigen Schöpfer des Universums übermittelt worden sind.
Viel eher deuten solche Berichte darauf hin, dass sie ganz bewusst von einigen mächtigen und listigen Köpfen der damaligen Zeit verfasst wurden, um etwaigen kritischen Untertanen eine über alle Zweifel erhabene Legitimation für ihre tägliche Schikanen, unmenschlichen Gesetze und Bräuche präsentieren zu können.
Überhaupt scheint dieser Ort, der im Christentum als "Himmel" angepriesen wird, in seiner streng hierarchischen Struktur und der manchmal erschreckend eindimensionalen Gedankengänge seiner Bewohner eher einem x-beliebigen Fürstenhof der damaligen Zeit zu ähneln, als einem Quell echter Liebe und Weisheit.
Da wäre zum einen einmal Gott, der Herr, der zwar angeblich über allen Dingen steht, aber trotzdem geehrt werden will und eifersüchtig werden kann, so dass es schon mal vorkommt, dass er seine Schöpfung, von der er aufgrund seiner Allwissenheit eigentlich niemals hätte enttäuscht sein dürfen, aus Enttäuschung fast komplett vernichtet.
Dann sind da noch seine Engel, die allseits bereiten Diener, die ihm genauso uneigennützig zur Seite stehen, wie man es von einem guten Diener nunmal erwartet... sein Gegenspieler, der Teufel, der einmal sein Diener war, aber aufgrund von Ungehorsam aus dem Himmel geworfen und geächtet wurde, zur Mahnung an alle zukünftigen aufmüpfigen Diener... und sein Sohn, der neben seinem Vater auf einem Thron sitzt und ihn hin und wieder milde zu stimmen versucht, sich aber letztlich, wenn es hart auf hart kommt, immer dem Willen seines Erzeugers fügt, und sich im Zweifelsfall sogar für ihn ermorden lässt... eben ganz, wie es sich auch ein jeder irdischer Herrscher von seinem Nachwuchs wünschen würde.
Das alles sieht jedenfalls nicht wirklich danach aus, dass ein allwissender, gütiger Gott die Menschen nach seinem Ebenbild erschaffen hat.
Vielmehr legt es die Vermutung nahe, dass sich ganz und gar nicht allwissende Menschen nach ihrem Ebenbild einen Gott schufen. Aus taktischen Gründen, aber sicherlich auch aus einer gewissen Eitelkeit heraus, weil man so von sich selbst und seinem (heute brutal und rückständig erscheinenden) Gesellschaftsmodell überzeugt war, dass man sich gar nicht vorzustellen vermochte, dass es im Jenseits statt der Diktatur eines strengen Patriarchen vielleicht so etwas wie eine demokratische Ordnung oder gar ein anarchistisches Zusammenleben geben könnte.
Eine jede Religion spiegelt eben immer auch den Zeitgeist der Epoche wieder, in der sie entstanden ist.
Kulturhistorisch mag es daher zweifellos interessant sein, sich mit solchen altertümlichen Lehren auseinanderzusetzen, um etwas über Weltbild und Moralvorstellungen der damaligen Zeit zu erfahren.
Wer aber ernsthaft glaubt, dass sich einem durch das Auswendiglernen dieser aus dem damaligen Kenntnisstand der Menschen entstandenen Lehre tatsächlich der Sinn des Lebens offenbart, konserviert gewissermaßen diesen (dürftigen) Kenntnisstand, und stellt damit gleichzeitig auch alle geistigen und ethischen Errungenschaften in Frage, die erst später entstanden sind und aus diesem Grund nicht in den ultimativen Ratgeber mit einfließen konnten. (und die damit wohl unbedeutend sein müssen, da sie Gott in seinen für die Ewigkeit gedachten Worten ja nicht erwähnt hat)
Die Welt dreht sich nun einmal weiter. Es werden neue Dimensionen entdeckt, neue Philosophien, und Kunstformen entstehen, bisher nicht für möglich gehaltene Modelle des Zusammenlebens werden erprobt, von denen manche funktionieren, andere wiederum bloß neue, bisher ungekannte Probleme verursachen. Aber der Geist vieler Menschen hängt weiter beharrlich in der zweitausend Jahre alten Vergangenheit fest, in einer kleinen, überschaubaren Wüstenidylle mit gestrengen Herrschern, Palmen, Ziegen, Hirten und einem Eselchen.
Und genau das ist dann eben keine Spiritualität mehr, sondern einfach nur Konservativismus und ewiggestriges Denken der plattesten Sorte. Die Angst der Menschen, sich weiterzuentwickeln, verpackt in eine Heilslehre, in deren Namen man jene, die fortschrittlicher denken, im Idealfall auch gleich noch auf einen Scheiterhaufen werfen darf.

Wer wirklich an Gott interessiert ist, sollte sich besser selber mal für 40 Tage in die Wüste zurückziehen, anstatt nur Geschichten von anderen, die dies getan haben, nachzubeten und dabei ernsthaft zu glauben, deren Erfahrungen allein durch das aufgenommene Wort nachvollziehen und begreifen zu können.
Wer wirklich an Gott interessiert ist, sollte sich Zeit nehmen, um die Welt und seine Mitmenschen zu beobachten, vielleicht die eine oder andere bewusstseinserweiternde Droge ausprobieren, meditieren, nachdenken... und zwar ohne voreingenommen zu sein und zu glauben, dass man ja ohnehin schon über alles Bescheid weiß, weil man das ja in irgendeinem alten Buch gelesen hat, in dem die ultimative Wahrheit steht.
Starrer Dogmatismus, wie von vielen Religionsvertretern gepredigt, stärkt nicht den Glauben und die Spiritualität der Menschen, sondern pervertiert ihn zu einer bloßen Farce. Eine Farce, die immerhin den Vorteil hat, dass ihr in den wohlhabenderen Ländern dieser Erde immer weniger Menschen auf den Leim gehen... nicht zuletzt auch deshalb, weil es wohl kaum einen größeren Unterschied gibt als zwischen dem in der Bibel geschilderten Stall in Bethlehem und einer modernen Säuglingsstation, zwischen den von den Aufpassern des Pharaos gepeitschten Israeliten und dem sich selbst versklavenden, in relativem Luxus behütet vor sich hinlebenden Durchschnittsdeutschen.
So gesehen könnte man also eigentlich gelassen bleiben und sich sagen, dass sich die Sache ohnehin recht bald von selbst erledigt haben wird.
Doch während hierzulande dank Wohlstand, Informationsfreiheit und Bildung der Einfluss von religiösen Dogmatikern, die anderen ihre eigenen engstirnigen Wertvorstellungen aufzwingen wollen, erfreulicherweise deutlich zurückgegangen ist, scheinen andere Gebiete der Erde, wie beispielsweise der Nahe Osten, dieser Entwicklung leider noch um Jahrhunderte hinterherzuhinken.
Dort werden Menschen noch immer verurteilt und eingesperrt... nicht, weil sie anderen Schaden zugefügt haben, sondern weil sie einfach nicht länger dazu bereit waren, sich irgendwelchen angeblich "göttlichen" Geboten und unnötigen Tabus zu unterwerfen.
Und noch immer gibt es dort Menschen, die bereit sind, für ihre wirren religiösen Ideale zu morden und zu sterben, weil sie allen Ernstes glauben, dann einen besseren Platz im Jenseits zugewiesen zu bekommen als diejenigen, die mit Gottes Schöpfung (der sich beim Schöpfen ja vermutlich auch irgendwas gedacht hat) weniger brutal und zerstörerisch umgegangen sind.

Mit logischen Argumenten lässt sich dieser Wahnsinn wohl kaum bekämpfen... ebenso wenig mit Waffengewalt, da es ja irgendwo auch ein Widerspruch ist, Meinungsfreiheit durchsetzen zu wollen, in dem man erstmal alle, die anderer Meinung sind, abknallt oder ins Gefängnis sperrt.
Und selbst das vielbeschworene "Beseitigt die Armut, dann beseitigt ihr auch den Fanatismus!", wird vermutlich nicht so einfach sein, wie sich das manch überzeugter Kriegsgegner in seinen optimistischen Wunschträumen gerne vorstellt.
Denn die Wurzel des Fanatismus sitzt unglaublich tief. Sie prägt das komplette Gesellschafts- und Familienleben, wird schon den Kleinsten quasi mit der Muttermilch eingeimpft und so von Generation zu Generation weitergereicht. Angesichts dessen ist die Annahme, dass man allein durch ein paar Almosen wie dem Schaffen neuer Arbeitsplätze und dem Ausbau der Infrastruktur Menschen quasi über Nacht vom Mittelalter in die Moderne holen könnte, ungeheuer naiv.
Im Westen lagen zwischen Mittelalter und Moderne viele Jahrhunderte des Umbruchs, der Aufklärung, der Gegenaufklärung... und etliche mittelalterliche Gedankengänge sind heute immer noch nicht aus den Köpfen der Leuten verschwunden.
Aber von der Entwicklung in diversen arabischen Staaten und Ländern der Dritten Welt erwarten die sogenannten Experten anscheinend ernsthaft, dass ein paar wenige Jahre ausreichen würden, um aus in einer strengen patriarchalischen Gesellschaft aufgewachsenen Menschen überzeugte und tolerante Demokraten zu machen.

Wenn man wirklich beabsichtigen würde, den Menschen dort die Freiheit zu geben und den schädlichen Einfluss der Religion zu minimieren, wäre es wohl am sinnvollsten, zunächst einmal ein großes Stück unbewohntes Land zur Verfügung zu stellen, in dem sich dann nur jene ansiedeln dürfen, die in anderen Staaten der Region verfolgt werden oder sich einfach nicht länger irgendwelchen religiösen Zwängen unterziehen wollen.
Eine gigantische Schutzzone, für alle Frauen, Kinder, Atheisten, Regimekritiker, Künstler, Homosexuelle, Kurden und sonstige ungerecht behandelte Minderheiten, die dort dann unabhängig von ihrer ursprünglichen Nationalität ihren eigenen Traum von einer toleranteren Gesellschaft verwirklichen könnten.
Diesen sollte man alle nur denkbare Unterstützung zukommen lassen, finanzielle sowie militärische... damit dieses Land erblüht und selbst die religiösen Hardliner in den umliegenden Ländern zähneknirschend zugeben müssten, dass es den Menschen ohne Gott und unmenschliche Gesetze deutlich besser zu gehen scheint als mit.
Allein die Tatsache, dass ein solches Vorhaben nicht schon längst umgesetzt wurde, obwohl es logistisch auch nicht aufwändiger wäre als einen beliebigen Krieg zu führen, zeigt jedoch schon, dass selbst jene, die angeblich zur Befreiung der Menschen gekommen sind, an einem wirklich freien Land, in dem es keine Religionen, keine Intoleranz und keinen Hass mehr gibt, gar kein sonderlich großes Interesse haben...
Denn was wäre, wenn sich dieses Denken erst einmal ausbreitet? Wenn plötzlich auch in Europa alle, die sich keiner Religion, keiner Nation und keinen ungerechten Gesetzen mehr unterwerfen möchten, eine eigene Schutzzone beantragen würden?
So viel Freiheit und Aufklärung wollen die Verantwortlichen dann lieber doch nicht riskieren. Ein bisschen religiöse Verblendung darf es ruhig sein, damit sich die Menschen nicht zu Nahe kommen... damit sie sich auch weiterhin führen und gegeneinander aufhetzen lassen, wenn es irgendwann wirtschaftsstrategisch mal wieder erforderlich werden sollte.


KAPITEL 6 - Global national


Doch nicht nur der Gottesglaube der Menschen dient den Machthabern seit jeher als guter Vorwand, um die dumme Bevölkerung für ihre eigenen Zwecke einzuspannen, sondern vor allem auch der Glaube der Menschen an ihre Nation... Ein Glaube, der für viele richtiggehend zur Ersatzreligion geworden ist. Nur mit dem Unterschied, dass man beim Nationalismus eben keinen außerhalb der Menschen stehenden Gott angebetet, sondern die Schönheit und Reinheit eines Kollektivs, zu dem man sich auch selbst zugehörig fühlt.
Alles Gute und Wertvolle, was Einzelne in den Bereichen Kultur, Sport oder Wissenschaft geleistet haben, wird dabei immer wieder gerne als Verdienst des Kollektivs bezeichnet. Anstatt der Wahrheit ins Auge zu sehen und zuzugeben, dass es immer nur einzelne, oftmals völlig unverstandene Außenseiter waren, die in dunklen Zeiten gedichtet und gedacht haben, wird das ganze Volk zum Volk der Dichter und Denker hochstilisiert.
Der Erfolg einer 11köpfigen Fußballmannschaft wird schnell mal als Erfolg des ganzen Landes bezeichnet... als ob die Millionen, die nicht selber im Schweiße ihres Angesichts auf dem Platz geackert haben, über das Zahlen ihrer Steuergelder und ein bisschen Herumjubeln hinaus irgendeinen ernsthaften Beitrag dazu geleistet hätten.
Trotzdem klopfen sich alle kollektiv selbst auf die Schulter.
Und wird einer von ihnen gar Papst, freuen sich auf einmal auch viele Nichtgläubigen darüber, dass es ein Mitglied "ihres" Kollektivs so weit gebracht hat.
Nur, wenn ein Mitglied "ihres" Kollektivs auf einmal mit gezogener Waffe in seine Schule läuft und einigen seiner Lehrer in den Kopf schießt, will natürlich keiner auch nur im geringsten etwas damit zu tun haben. Dann war es auf einmal nicht mehr die Nation, das Kollektiv, das andere Menschen mit in den Tod gerissen hat, sondern lediglich ein verwirrter Einzeltäter, der scheinbar weitaus weniger vom Geist der Nation, in der er aufgewachsen ist, geprägt wurde, wie etwa ein genialer Erfinder oder ein sympathischer Ausnahmeathlet.
Schon anhand dieses Widerspruchs lässt sich prima erkennen, wie nationalistisches Denken die Wahrnehmung der Bürger verzerrt und sie an eine Realität glauben lässt, die es so in Wirklichkeit überhaupt nicht gibt.
Da passt es auch ganz gut ins Bild, dass es sich beim Betrachten einer fremden Nation aus der eigenen heraus oftmals genau umgekehrt verhält:. Da neigt man dann auf einmal eher dazu, die negativen Seiten des fremden Kollektivs in den Vordergrund zu stellen und bei den positiven Dingen von außergewöhnlichen Einzelleistungen eines zufällig in dieser Nation geborenen Individuums zu sprechen.
Begeht beispielsweise ein Mitglied einer anderen Nation ein Verbrechen, hat das natürlich immer auch etwas mit der Mentalität der Leute dort zu tun. Baut einer ihrer Politiker Mist, sind alle dran Schuld, die sich an dem System, das dieser Politiker anführt, beteiligen.
Doch wenn dann auf einmal eine andere Nation Fußballweltmeister wird, ist es interessanterweise nicht die Überlegenheit der fremden Nation gegenüber der eigenen, die zu diesem Erfolg geführt hat, sondern lediglich der persönliche Verdienst der Akteure auf dem Platz, oder manchmal auch einfach nur Glück.

Dabei ist an sich ja nichts Verwerfliches dabei, dass man unterschiedlichen Regionen auf der Welt unterschiedliche Namen gegeben hat, dass man Vertreter aus diesen Regionen bei sportlichen und kulturellen Wettkämpfen gegeneinander antreten lässt, und dass die in diesen Regionen lebenden Menschen ihre eigenen Traditionen, Lieder und Gebräuche pflegen.
Doch wenn die Bewohner bestimmter Regionen ihre Verschiedenheit nicht einfach nur als kleine, das Leben bunter machende Unterschiede betrachten, sondern diese Dinge im wahrsten Sinne des Wortes tod-ernst nehmen... so ernst, dass sie dafür bereit sind, andere zu diskriminieren, zu verfolgen, oder gar zu ermorden... dann zeigen sie damit sehr deutlich, dass sie aus der Geschichte der Menschheit nicht das Geringste gelernt haben und einmal mehr die gleichen Fehler begehen wie ihre von nationalistischem Wahn geblendeten Vorfahren.
An dieser Stelle sei auch einmal ausdrücklich darauf hingewiesen, dass "Nationalismus" oder "Patriotismus" etwas völlig anderes ist als Heimatliebe.
Wahre Heimatliebe ist die Verbundenheit mit dem Flecken Erde, in dem man aufgewachsen ist. Sie ist Ausdruck eines freundschaftlichen Verhältnisses zu den Menschen, die dort leben, zu deren Sprache und Kultur, und damit eigentlich etwas ganz und gar Positives... denn wer sich auf diese aufrichtige Weise mit seinen Mitmenschen verbunden fühlt, käme nie auf die Idee, die Nachbarn, die ihm am Herzen liegen, durch Einschüchterung und Gewaltandrohung zu irgendeiner bestimmten Weltanschauung bekehren zu wollen, ihre Kinder in sinnlosen Konflikten zu verheizen oder die Umwelt auszubeuten, um daraus einen kurzzeitigen materiellen Vorteil zu ziehen.
Nationalist zu sein, bedeutet hingegen in erster Linie, sich mit bestimmten politischen Strukturen verbunden zu fühlen, die einem Landstrich irgendwann im Verlauf seiner Geschichte gewaltsam aufgezwungen wurden.
Anders als der wahrhaft Heimatverbundene, der lieber desertieren würde als seine Heimat verlassen zu müssen, um in einem weit entfernt tobenden Krieg irgendein politisches Ideal zu verteidigen, erscheint einem Nationalisten das Leben in seiner Heimat nicht lebenswert, so lange dort nicht genau das Regime herrscht, dem er sich mit Leib und Seele verschrieben hat. Er betrachtet die Heimat und alles, was sich in ihre befindet, Berge, Wälder, Tiere und Menschen, als seinen rechtmäßigen Besitz, und würde wohl im Zweifelsfall lieber einen großen Teil seiner Heimat eigenhändig vernichten, als auch nur einen Meter davon einem politischen Gegner zu überlassen.
Dieser Unterschied ist wichtig, da rechtsgerichtete und nationalistische Parteien ja bis heute immer wieder versuchen, den heimatverbundenen Menschen Angst um die Zukunft zu machen und sich dann als die großen Retter aufspielen, die für alle Probleme die geeignete Lösung im Repertoire haben.
Dabei hat die Geschichte mehr als einmal gezeigt, dass es diesen Leuten letztlich überhaupt nicht um die Heimat als solche geht, sondern nur darum, möglichst viel Macht über ihre Heimat zu erlangen.
Adolf Hitler mag ein besonders abschreckendes Beispiel dieses Menschenschlags darstellen... aber er war nicht der erste, und wird auch ganz sicher nicht der letzte große (Ver-)Führer gewesen sein.
Im Grunde gibt es diese Sorte Menschen schon seit der Steinzeit... daher sollten wir uns erst einmal etwas genauer anschauen, wie Nationen, Grenzen und "Volksgemeinschaften" dereinst überhaupt entstanden sind...

Ursprünglich, als die Menschen gerade erst anfingen, das Feuer zu beherrschen, Werkzeuge zu bauen und miteinander zu kommunizieren, gab es als Kollektiv eigentlich nur die Sippe bzw. den Stamm... eine überschaubare Gruppe von Individuen, die sich alle kannten und gegenseitig unterstützten, weil ein jeder von ihnen genau wusste, wie sehr sie alle voneinander abhängig waren.
Austausch mit anderen Stämmen gab es wenig. Man mißtraute Fremden erstmal grundsätzlich, und wenn man ihnen irgendwann mal nicht mehr mißtraute, dann einzig aufgrund der Tatsache, dass man sie in der Zwischenzeit schon ein wenig besser kennenlernen durfte und dabei zu der Erkenntnis kam, dass man mit ihnen eigentlich auch ganz gut auskommen konnte.
Je ähnlicher diese anderen Stämme dem eigenen waren, und je mehr Gemeinsamkeiten es in punkto Sprache, Gebräuche und Wissensstand gab, desto geringer war die Angst vor ihnen, und desto größer natürlich auch die Chance, aller Vorsicht zum Trotz miteinander ins Gespräch oder gar zu einem Handel zu kommen.
Auch, als die Menschen sesshaft wurden und langsam damit begannen, ihre Siedlungen mit denen ihrer Nachbarn zu verbinden, fühlte man sich in erster Linie denen verbunden, die man persönlich kannte... und vielleicht noch dem einen oder anderen aus der etwas weiteren Umgebung, von dem man durch Hörensagen wusste.
Nie wäre man hingegen auf die Idee gekommen, sich in die Belange eines 100 Kilometer entfernten Dorfes einzumischen... allein schon deshalb nicht, weil es sich völlig außerhalb der eigenen Lebensrealität befand.
Man war ohnehin zu genüge damit beschäftigt, sich selbst etwas aufzubauen, lebte sein eigenes Leben, und ließ andere leben, so lange diese den eigenen Besitz oder die Menschen, die einem etwas bedeuteten, nicht konkret bedrohten oder schädigten.
Alles hätte so schön werden können...
doch dann ging etwas ganz gewaltig schief.
Die Menschen vermehrten sich stark, die Gemeinschaften, in denen man zusammen lebte, wurden immer größer und unübersichtlicher. So unübersichtlich, dass der Einzelne bald nicht mehr den Stellenwert besaß, den er noch in rauheren Zeiten, als das Überleben der gesamten Sippe vom Jagderfolg oder Wachsamkeit eines jeden Einzelnen abhängig war, innegehabt hätte.

Natürlich gab es auch unter den Urmenschen schon, wie überall in der Natur, Hackordnungen und gelegentliche Kämpfe um die Vorherrschaft im Rudel, beispielsweise, um festzulegen, wer sich als Erster ein Stück der erlegten Beute nehmen durfte, und wer erst als Zweiter oder Dritter an der Reihe war.
Doch anders als früher, als sich der Rudelführer mit seinen "Untertanen" die selbe Höhle teilte und schon allein, um nicht irgendwann nachts im Schlaf von einem unzufriedenen Mitbewohner erschlagen zu werden, dafür sorgen musste, dass ein jedes einzelnes Rudelmitglied satt wurde, konnten es sich die Privilegierten, die später in den Siedlungen das Sagen hatten, ab einer gewissen Größe und Anonymität des Ortes durchaus leisten, den einen oder anderen Untergebenen mit knurrendem Magen herumlaufen zu lassen. Schließlich hausten sie ja nun in speziell für sie errichteten Befestigungen und wurden von getreuen Dienern bewacht, so dass es gar nicht mehr so einfach war, sie bei Unzufriedenheit mit ihrem Führungsstil einfach so zu besuchen und totzuschlagen.
Irgendwann hatte das Wachstum der Gemeinschaften dann solche Ausmaße angenommen, dass es selbst dem gewissenhaftesten Anführer überhaupt nicht mehr möglich war, jedes einzelne Gruppenmitglied persönlich zu kennen, geschweige denn, bei seinen Entscheidungen auf dessen individuellen Bedürfnisse Rücksicht zu nehmen.
Doch anstatt dass die Anführer aus dieser Entfremdung die richtigen Konsequenzen gezogen und ehrlich zugegeben hätten, dass sie nicht mehr in der Lage waren, für eine so große Herde die Verantwortung zu tragen, machten sie aus der Not eine Tugend und erzählten ihren Leuten einfach, dass die Bedürfnisse eines Individuums ohnehin unbedeutend waren im Vergleich zu den Bedürfnissen der Gruppe.
Fortan waren sie endlich nicht mehr daran gebunden, es jedermann Recht zu machen ... ja, sie empfingen nicht einmal mehr jeden aus dem gemeinen Volk, der mit ihnen über ihre Entscheidungen reden wollte. Verantwortlich fühlten sie sich nur noch für das große Ganze... für die Idee einer möglichst starken Gemeinschaft, die sich nicht länger dadurch definierte, was sie jedem Einzelnen ihrer Mitglieder an Lebensqualität bescherte, sondern wie gut sie im Vergleich zu anderen, konkurrierenden Gruppen abschnitt... denn auch diese Gruppen hatten ihre machthungrigen Anführer, die sich dem großen Ganzen verpflichtet fühlten, und dafür notfalls auch über Leichen gingen.

Die Mehrheit der Bevölkerung arrangierte sich früher oder später mit den veränderten Bedingungen, sei es aus Angst, von besser organisierten Feinden überrollt zu werden, aus Furcht vor der Bestrafung durch die eigenen Leute oder einfach, weil sie selber auch von der Vergrößerung des Einflussbereichs der Gruppe profitierten. Schließlich behielt ein wirklich cleverer Anführer nie alle neu erworbenen Besitztümer allein für sich, sondern reichte immer auch so viel an seine treuen Gefolgsleute weiter, damit diese schon aus purem Eigennutz kein Interesse an einer Rückkehr zu den alten, übersichtlicheren Gruppenstrukturen hatten.
Und so kam es, dass sich kleine Ansiedlungen zu Städten zusammenfügten, Städte zu Nationen und Nationen zu weltumspannenden Bündnissen.
Der einzelne Mensch hingegen war durch diese Entwicklung längst zum hilflosen Spielball von Gruppendynamiken geworden, auf deren Zustandekommen, Richtung und Auswirkungen er nicht den geringsten Einfluss mehr hatte. Ihm blieb nur die Wahl, entweder mit der von einem größenwahnsinnigen Vorhaben zum nächsten eilenden Masse mitzumarschieren, oder sich gegen die Masse zu stellen und zu riskieren, von der aufgehetzten und von ihren Führern mit Scheuklappen versehenen Menschenmenge rücksichtslos überrannt zu werden.
Seine Gruppe einfach verlassen und irgendwo im nächsten Tal eine eigene gründen, wie es seinem Vorfahren jederzeit zustand, wenn sie mit bestimmten Vorgängen in der Gemeinschaft nicht länger einverstanden waren, konnte er jedenfalls nicht mehr... denn die Mächtigen hatten ganze Arbeit geleistet und den Planeten längst bis zum letzten Zentimeter unter sich und ihren jeweiligen Gruppen aufgeteilt.

Die Konservativen mögen noch so verklärend von ihrer tollen Volksgemeinschaft schwärmen, mögen Rechtssystem, Kultur und Bruttosozialprodukt ihres Landes in den Himmel loben...
Tatsache bleibt, dass die Weltkarte, mit all ihren Nationen und Ländergrenzen, wie wir sie heute kennen, nicht auf einer freiwilligen Übereinkunft der Menschen basiert, sondern vielmehr das Ergebnis jahrtausendelanger Entmündigung des Individuums ist. Zustande gekommen, in dem die Mächtigen ganze Generationen unwissender Menschen wie Schachfiguren aufstellten, gegeneinander antreten ließen und opferten... in dem sie jene, die ihnen nicht in den Kram passten, nach Belieben umsiedelten und Grenzen willkürlich dort zogen, wo sie es sich von ihrer militärischen Macht her eben erlauben konnten.
Auf das Ergebnis all dieser Zwangsmaßnahmen stolz zu sein, bedeutet konsequent zu Ende gedacht immer auch, es gutzuheißen, dass überhaupt irgendwann mal ein Mensch daherkam, sich „Fürst" oder „Führer" nannte und zum Herrscher über alle anderen aufschwang, und kein Problem damit zu haben, dass jene, die damals andere Gruppenmodelle bevorzugten, von den Befürwortern des nationalen Einheitsgedanken totgeschlagen wurden.
Wer also seine Nation anhimmelt und sich furchtbar etwas darauf einbildet, in ihr geboren worden zu sein, der tut im Grunde nichts anderes, als im Nachhinein eine ungeheure Fehlentwicklung zu legitimieren, und damit indirekt auch alles Schreckliche, was aus dieser Fehlentwicklung resultierte... Rassismus, Kriege, Völkermord... als bedauerliches, aber unvermeidbares Übel zu verharmlosen.

Gerade Politiker, die empört aufschreien, wenn irgendwo ein fremdenfeindlicher Überfall, ein Terroranschlag oder ein neuer Bürgerkrieg stattfindet, aber gleichzeitig den Nationalgedanken und damit die Einteilung der Menschen in durch Terror entstandene Kategorien eindeutig befürworten, sprechen in diesem Zusammenhang mit gespaltener Zunge und geben ein denkbar schlechtes Vorbild für den Nachwuchs ab.
Sie sagen dem afrikanischen Asylbewerber: "Nein, du darfst hier nicht bleiben, weil du keiner von uns bist."... den mit Baseballschlägern hinter dem armen Schwarzen herjagenden Eierköpfen rufen sie hingegen mahnend zu: "Lasst ihn in Ruhe. Das ist ein Mensch wie du und ich!"
Doch in einer Gemeinschaft, in der nicht der Charakter eines Menschen darüber entscheidet, ob er ein Bleiberecht bekommt, sondern die Angaben auf seinem Pass und die Verträge, die irgendwelche Diplomaten mit der Regierung seines Heimatlandes ausgehandelt haben... in der gleichzeitig aber jede Menge charakterlose Arschlöcher allein deshalb, weil sie in diese Gemeinschaft hineingeboren wurden und ihr Blut bestimmte Kriterien erfüllt, ein Bleiberecht für alle Ewigkeit haben... in einer solchen Gesellschaft, in der der Nationalität eines Menschen eben letztlich doch mehr Bedeutung beigemessen wird als seiner individuellen Persönlichkeit, kann es gar nicht möglich sein, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit jemals so konsequent zu bekämpfen, wie es die Verantwortlichen nach jedem neuen Anschlag immer tief betroffen zu tun geloben.
Was heute getan wird, um junge Menschen in den Schulen von rassistischem Denken abzuhalten, ist vor allem, ihnen zu zeigen, dass beispielsweise Türken oder Russen auch Menschen sind.
Echter, aufrichtiger Kampf gegen Rassismus würde hingegen bedeuten, den Kindern und Jugendlichen beizubringen, erst gar nicht in solch klischeebelasteten Schubladen wie "Deutscher", "Türke" oder "Russe" zu denken, die irgendwelche Despoten einmal vor langer Zeit für ihre Untertanen zusammengezimmert haben, sondern in den Fremden, denen sie begegnen, zunächst einmal nur das Individuum zu sehen, das man noch nirgendwo einordnen kann, weil man es eben bislang noch gar nicht persönlich kennengelernt hat.
Es müsste also vor allem darum gehen, aus den Köpfen der Menschen diese unglückselige Entwicklung herauszubekommen, die irgendwann vor vielen Jahrtausenden eingesetzt hat, als unsere Vorfahren damit anfingen, nicht länger ihren Instinkten und eigenen Erfahrungen zu vertrauen, sondern den (in der Regel nicht gerade uneigennützigen) Worten ihrer Anführer.
Die Ablehnung von autoritärem Denken und jeder Form von Zwangskollektivismus ist die einzige Möglichkeit, Rassismus dauerhaft zu verhindern, und den im In- und Ausland grassierenden Fremdenhass wieder auf ein gesundes Maß an Mißtrauen allem Fremden gegenüber, wie es in der Natur ganz normal ist, zurechtzustutzen.
Doch welcher Schüler wird einem das jemals glauben, so lange selbst die Schule nach genau diesen uralten Prinzipien des Zwangs und der Autoritätsgläubigkeit aufgebaut ist?
Welcher rechtsradikale Jugendliche wird einem Sozialarbeiter glauben, dass Führer scheiße sind, wo doch in Berlin auch heute noch jede Menge Führer sitzen, die sich jeden Tag über den Willen Einzelner hinwegsetzen, um zum Wohl des großen Ganzen neue Gesetze zu beschließen?

Gerade die Globalisierung, die Vernetzung, die Gleichschaltung aller Nationen unter einem bestimmten Leitgedanken, wird in diesem Zusammenhang weniger zu echter Völkerverständigung beitragen, als vielmehr nur zu neuen Streitigkeiten, neuer Missgunst und damit auch zu einem neuen Erstarken des Nationalismus in den betroffenen Ländern führen.
Die Bürger werden sich darüber ärgern, dass ihr Alltag zunehmend von Quoten und Gesetzen geregelt wird, die irgendwer in einem anderen Land, fernab ihrer eigenen Lebensrealität, im Namen aller Menschen beschlossen hat.
Sie werden sich fragen, wieso Politiker in Washington oder Brüssel Entscheidungen treffen dürfen, die dann bis in den hintersten Winkel der Welt zu gelten haben, obwohl die Verantwortlichen vielleicht ihr ganzes Leben lang keinen einzigen Fuß in ein konkret von ihren Beschlüssen betroffenes Land setzen werden.
Dann werden viele an ihren Stammtischen wieder anfangen zu schimpfen... auf die etablierten Politiker, auf die internationalen Konzerne, und nicht zuletzt natürlich auch auf die bösen Ausländer im Allgemeinen, die sich dank der offeneren Grenzen ja nun angeblich überall ungefragt niederlassen dürfen.
Ein gefundenes Fressen für rechtsgerichtete Parteien, die natürlich schon begierig darauf warten, dass das deutsche Volk statt von Brüssel oder Washington endlich wieder von Berlin aus unterdrückt werden möchte.
Es ist wie die Wahl zwischen Pest und der Vogelgrippe...
Ein Dilemma, dessen Lösung eigentlich nur in einer radikalen Umkrempelung der aktuellen politischen Machtstrukturen liegen kann.
Wir müssen wegkommen von einer zentralen Entscheidungsgewalt, die den Menschen landes- oder gar weltweit Befehle erteilen darf, hin zu einem System, in dem die wichtigsten Fragen nicht länger am anderen Ende der Welt beschlossen werden, sondern dort, wo die Bürger ganz konkret davon betroffen sind.
Natürlich spricht rein gar nichts gegen eine flächenübergreifende Vernetzung der Bürger, um größere Projekte, die die einzelnen Gemeinden überfordern würden, planen und realisieren zu können. Doch letztlich sollte die Entscheidung darüber, was gemacht werden kann und was nicht, immer bei den Betroffenen vor Ort liegen.

Statt beispielsweise irgendwo in der weit entfernten Landeshauptstadt zu beschließen, dass in einem bestimmten Dorf ein neues Asylbewerberheim gebaut wird, weil man unbeeindruckt von allen Bedenken der Dorfbewohner eine bestimmte Quote zu erfüllen hat, sollten sich die betroffenen Anwohner zusammensetzen und für sich selbst entscheiden, ob und wenn ja, wie vielen Ausländer sie gern in ihre Nachbarschaft Quartier bieten möchten.
Es gibt genug Gegenden, in denen integrationsbereite Ausländer willkommen sind... wo sogar ganz normale Bürger Unterschriften sammeln, um für abgelehnte Asylbewerber, die trotz ihres guten Verhältnisses zu ihren neuen Nachbarn abgeschoben werden sollen, ein dauerhaftes Bleiberecht zu erkämpfen.
Und dort, wo die Menschen keine Ausländer möchten, gibt es dann eben statt Döner, Chop Suey und Pizza in Zukunft jeden Tag nur noch Bockwurst und Sauerkraut zu essen... dann können sie ja sehen, was sie von ihrer Abneigung allem Fremden gegenüber haben.
Letztlich wären durch solche individuell vor Ort getroffenen Entscheidungen jedenfalls alle ein bisschen zufriedener...
Die Ausländerfreunde genauso wie die Ausländerfeinde, und die Ausländer selber, die nicht mehr zwangsweise in einer Gegend leben müssten, in der man sie wie unerwünschten Dreck behandelt, garantiert auch.
Aber trotzdem man macht es nicht. Und warum?
Weil Bürger, die gelernt haben, alle Dinge, die sie betreffen, selbst zu beschließen, keine bürokratischen Wichtigtuer mehr brauchen... weil eine Menge Arschlöcher dann arbeitslos wären... und weil jene, die bisher immer davon profitiert haben, dass die geschäftlichen Interessen einiger weniger wichtiger genommen werden als das Wohl des kleinen Mannes, dann plötzlich ganz schön dumm aus der Wäschen schauen würden.

Anderes Beispiel:
Ein Politiker will moderne Kampfflugzeuge anschaffen, um in einem eventuellen Kriegsfall nicht auf veraltetes Equipment angewiesen zu sein.
Dann soll er doch machen... aber gefälligst mit seinem eigenen Geld und dem Geld anderer Kriegsbefürworter, und nicht mit den Steuergeldern der vielen Menschen, die eine solche Investition für völlig schwachsinnig halten!
Genau wie der Unternehmer, der unbedingt eine neue Autobahn haben möchte, um seine Güter besser transportieren zu können, dann eben so lange Spenden von Gleichgesinnten sammeln muss, bis er die nötigen Milliarden für ein solches Großprojekt zusammengeklappert hat.
Sollten sich die betroffenen Anwohner allerdings gegen das Projekt in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft aussprechen, müsste die Straße wohl oder übel wo anders gebaut werden, wo sich niemand daran stört. Und wenn es einen solchen Platz nicht gibt, wird die Straße eben überhaupt nicht gebaut. Dann haben jene, die für ihre eigenen Interessen anderen etwas vor die Nase setzen wollten, was diese gar nicht haben möchten, eben Pech gehabt.
Natürlich würde der Alltag unter solchen Voraussetzungen wesentlich beschaulicher ablaufen. Viele Vorhaben, die heute problemlos gerichtlich durchgesetzt werden, obwohl bis auf ein paar wenige keiner so recht Lust darauf hat, würden am Widerstand der Betroffenen scheitern und nie über die bloße Planungsphase hinauskommen.
Als Resultat davon würde das Land zweifellos bald hinter der technologischen Entwicklung seiner Nachbarländer hinterherhinken... aber das wäre nicht weiter tragisch, sondern im Gegenteil sogar ein äußerst wünschenswerter Nebeneffekt des neuen Selbstbestimmungsrechtes.
Es ist schließlich, anders als es uns die Kapitalisten und deren "Experten" weismachen wollen, keine Schande, in einer immer verrückter werdenden, globalisierten Welt zu den starrköpfigen Hinterwäldlern zu gehören. Diese Option ist vielmehr unsere einzige Chance, vielleicht doch noch den Absprung zu schaffen von diesem jahrtausendewährenden Wahnsinn, der spätestens mit dem Tag begann, an dem der erste Führer einem Untertanen einen Befehl gab, ohne diesen Untertan persönlich zu kennen, und in dessen Verlauf sich die Menschheit von einem genügsamen, in Einklang mit anderen Lebewesen existierenden Naturvolk zu einem größenwahnsinnigen, hochtechnologisierten Zwangskollektiv entwickelt hat.
Zur Rückbesinnung auf unsere eigentliche Natur gibt es auf Dauer keine Alternative... auch wenn man natürlich einige Annehmlichkeiten der modernen Zeit beibehalten und sinnvollen Weiterentwicklungen gegenüber offen sein sollte. Doch das müsste in Zukunft mit viel mehr Demut geschehen, behutsamer, und vor allem gemeinsam statt auf Kosten anderer.
Denn entweder, wir Menschen stutzen uns in absehbarer Zeit einmal gründlich selbst zurecht... oder wir werden früher oder später mit Gewalt zurecht gestutzt werden.


KAPITEL 7 - Abstand


Nun ist das alles aber ja nicht erst seit gestern bekannt...
An den Stammtischen im Land wird nahezu täglich über die Unfähigkeit und Verlogenheit der gewählten Volksvertreter geschimpft. Dass man Politikern, die immer mehr Macht bekommen wollen, nicht über den Weg trauen darf, wussten sogar schon die alten Griechen.
Anarchisten warnen seit mehreren hundert Jahren vor der Bösartigkeit eines jeden hierarchisch organisierten Systems, wobei ihre Befürchtungen im Nachhinein sogar oft noch von der grausamen Realität übertroffen wurden.
Und auch die Erkenntnis, dass Kriege nichts Heroisches an sich haben, sondern letztlich nur den Machtinteressen einiger weniger dienen und millionenfaches Leid über die Bevölkerung bringen, dürfte inzwischen dank zahlloser Zeitzeugenberichte in den Medien, kritisch hinterfragenden Journalisten und aufrüttelnden Antikriegsfilmen auch bis zum letzten Naivling durchgedrungen sein.
Wie kann es also sein, dass allen Warnungen zum Trotz rund um den Globus immer noch so viele Menschen dazu bereit sind, sich für andere abknallen zu lassen, korrupte Politiker zu wählen oder einfach nur durch ihren Job und ihr gleichgültiges Verhalten im Alltag ihren bescheidenen Teil dazu beizutragen, dass sich an der grundlegenden Weltordnung so schnell nichts ändern wird?
Wieso ist die Menschheit scheinbar nicht dazu in der Lage, aus den Fehlern der Vergangenheit die richtigen Schlüsse zu ziehen und endlich mal radikal etwas an den gesellschaftlichen Strukturen zu verändern?

Es ist ja nicht so, dass sich nicht nahezu alle Menschen nach einem besseres Leben und einer gerechteren Welt sehnen würden... sie setzen nur leider auf dem Weg dorthin viel zu oft die völlig falschen Prioritäten.
Gerade die Jugend, von der eine wirkliche, radikale Erneuerung der Gesellschaft eigentlich ausgehen müsste, passt sich schon ganz unbewusst, durch jahrelanges Beobachten und Nachahmen, dem Lebensstil der Erwachsenen an. (So ist es beispielsweise keine Seltenheit, dass HipHopper zwar das spießige Karrieredenken ihrer Elterngeneration ablehnen, aber gleichzeitig zur Darstellung der eigenen Macht auf kapitalistische Statussymbole wie teure Autos, wertvollen Schmuck und Designerklamotten zurückgreifen.)
Und selbst, wenn eine Jugendgeneration einmal ernsthaft rebellieren sollte, wie es etwa damals die 68er- Bewegung tat, so wird sie dies höchstwahrscheinlich mit der gleichen Ignoranz und Selbstverliebtheit tun, die ihnen die spießigen Alten von Kindesbeinen an vorgelebt haben.
Genau wie ihre Vorväter werden auch sie einen Dresscode haben, der vorschreibt, wie man sich zu kleiden hat, um zu ihnen dazugehören zu dürfen. Sie werden Tabus und Denkverbote abschaffen, die für die vorangegangene Generation selbstverständlich gewesen waren... und diese dann durch neue Denkverbote ersetzen, die ihnen aus ihrem eigenen Weltbild heraus wiederum ganz selbstverständlich und unantastbar erscheinen werden.
Die Art der Fehler, die die Menschen begehen, mag sich im Lauf der Zeit gewandelt haben. Aber das Grundprinzip, das hinter all diesen schädlichen Verhaltensweisen steckt, ist eigentlich seit Menschengedenken das Gleiche geblieben:
Es ist der mangelnde Abstand zu der Herde, in der man aufwächst und sozialisiert wird... aber vor allem auch der mangelnde Abstand zu sich selbst. Man ist so sehr in sein Leben involviert, hetzt von einem Termin zum Nächsten, will die Forderungen der Alten erfüllen, den maximalen Spaß haben, und gleichzeitig auch noch seinen Kumpels in der Clique beweisen, was man für ein toller Hecht ist... da bleibt nicht mehr viel Zeit für Objektivität, für eine kritische Bestandsaufnahme des eigenen Daseins, für aufrichtiges Hinterfragen all jener Dinge, die man dermaßen sicher zu wissen glaubt, dass man als ständig beschäftigtes, mitten im Leben stehendes Individuum erst gar nicht auf die Idee kommt, sich darüber ernsthaft Gedanken zu machen.

Viele haben sogar regelrecht Angst vor den Stunden, in denen sie einmal alleine mit sich selbst sein müssen. (und damit ist gemeint: Ohne Fernseher, ohne Playstation, ohne PC etc.)
Denn dann kriecht nach einer Phase der Langeweile irgendwann ein Gefühl der Leere und Ohnmacht in ihre Glieder. Und diese Fragen: „Wer bin ich? Was mache ich eigentlich auf dieser Welt? Was für einen Sinn hat das alles?"
Spätestens an diesem Punkt würden sich die meisten schreiend an den Schädel fassen und so schnell wie möglich die nächste Unterhaltungs- bzw. Ablenkungsmöglichkeit aufsuchen, aus Angst davor, von der großen Ungewissheit, die hinter sämtlichen Fassaden des scheinbar so gewissen Alltags lauert, verschlungen zu werden.
Doch genau das ist der große Fehler... der Grund, warum selbst studierte, scheinbar gebildete Menschen oft nicht in der Lage sind, die großen Zusammenhänge unserer Welt zu verstehen.
Man darf vor diesen (selbst-)kritischen Gedanken, die von der Gesellschaft gerne als „unproduktiv", „sinnlos" oder gar „depressiv" verleumdet werden, nicht davonlaufen.
Man muss sich ihnen vielmehr stellen, auch wenn es weh tut... auch und gerade dann, wenn diese Zweifel, die allmählich in einem aufzusteigen beginnen, dazu führen, dass man sich manch unbequeme Wahrheit über die eigene Entwicklung eingestehen muss.
Vielleicht findet man heraus, dass man in der Vergangenheit den einen oder anderen schwerwiegende Fehler begangen hat, dass man sich mit Freunden umgibt, denen man eigentlich gar nicht vertrauen kann, oder dass einem die Sehnsüchte, die man immer als seine ureigenen angesehen hat, letztlich doch bloß von der Werbeindustrie oder dominanten Personen im privaten Umfeld zugeflüstert worden sind.
Vielleicht kommt man auch irgendwann dahinter, dass man im falschen Milieu lebt, in der falschen Zeit, oder einfach in einer Gesellschaft, in der so viele Dinge verkehrt laufen, dass man sich ihr eigentlich gar nicht länger zugehörig fühlen möchte, wenn man denn eine echte Wahl hätte.
Einsehen zu müssen, dass man weniger der König der Welt ist, als den man sich selbst immer wahrgenommen hat, sondern eher ein verformbarer Spielball fremder Interessen... ein Hamster, der in seiner Jugend die Wahl zwischen verschiedenen Laufrädern hatte, und der nun ganz stolz darauf ist, sich zufrieden und individuell in dem Laufrad seiner Wahl abstrampeln zu dürfen... das ist zweifellos eine bittere Erkenntnis, die auf den ersten Blick nicht all zu viel Positives an sich hat, sondern eher dazu geneigt scheint, einen ohnehin schon nahe am psychischen Abgrund stehenden Menschen vollends mit sich in die Tiefe zu reißen.
Doch nur, wenn man diesem Sog standhält und mit schier übermenschlicher Kraft trotzig weiterbohrt, besteht die Chance, irgendwann Klarheit über seine wahre Identität zu gewinnen... darüber, wer man war, bevor andere damit begonnen haben, einen zu manipulieren, und darüber, wie diese Manipulations-Mechanismen, denen wir überall ausgesetzt sind, überhaupt funktionieren, und wo sie uns bereits fest in ihrem Würgegriff halten.

Zum kritischen Umgang mit dem eigenen Ich gehört allerdings nicht nur, ungesunde Abhängigkeitsverhältnisse und falsche Prioritäten zu entlarven, denen man sich irgendwann im Lauf des Heranwachsens untergeordnet hat, sondern vor allem auch das Erkennen und Abstellen von eigenem Fehlverhalten.
Viele Menschen sind dermaßen in ihrer engen, begrenzten Wahrnehmung gefangen, dass sie es oft gar nicht mitbekommen, wie sie ihren Mitmenschen gegenüber ein Verhalten an den Tag legen, das sie selber bei anderen niemals tolerieren würden.
Sie achten nur auf den schnellen Vorteil, auf das, was ihnen für sich selbst oder die Gruppe, in deren Namen sie handeln, sinnvoll erscheint. Den Schaden, den sie dabei eventuell anderen Menschen zufügen, nehmen sie billigend in Kauf, und rechtfertigen ihn vor sich selbst nicht selten durch irgendwelche moralischen oder weltanschaulichen Konstrukte, die ihnen die nötige Legitimation für ihr Tun verleihen sollen.
Doch was nur die wenigsten begriffen haben, ist, dass alles miteinander zusammenhängt, und dass die Dinge, die man tut, letztlich allesamt auf einen selber zurückfallen werden.
Um das zu verstehen, muss man eigentlich weder religiös sein noch an Karma- und Reinkarnationstheorien glauben. Es ist schlicht und ergreifend eine Sache der Logik. Schließlich leben wir alle auf ein und dem selben Planeten. Wir alle sind ein Teil dieser Welt... und wenn wir nun anderen Schaden zufügen, so mögen wir vielleicht kurzfristig einen Vorteil daraus ziehen. Langfristig betrachtet haben wir jedoch nichts anderes getan, als Teile dieser einen Welt, in der auch wir zu leben haben, beschädigt... was letztlich zwangsläufig auch unsere eigene Lebensqualität beeinträchtigen wird.
Wenn ich also beispielsweise meinen Nachbarn, einen Mitschüler oder einen Arbeitskollegen mies behandle, wird sich in meiner Nähe zukünftig immer mindestens ein Mensch aufhalten, der schlecht über mich denkt und der vielleicht nur auf die passende Gelegenheit wartet, um mir ein Messer in den Rücken stoßen zu können. Dass dies nicht gerade eine Verbesserung meiner eigenen Lebensqualität darstellt, dürfte selbst dem dümmsten Egoisten klar sein (Es sei denn, man empfindet es als angenehm, wenn man immer mit einem offenen Auge und dem Gewehr im Bett schlafen muss, um auf eventuelle Racheakte vorbereitet zu sein...)
Ein Prinzip, das übrigens nicht nur im privaten Bereich seine Gültigkeit hat, sondern genauso in der großen Weltpolitik, wo es nicht selten vorkommt, dass ein Staat auf Kosten anderer Staaten Profite erwirtschaftet oder gar militärisch in Gegenden eingreift, die überhaupt nicht zu seinem Hoheitsgebiet gehören, und sich dann hinterher auch noch ernsthaft wundert, wenn er für sein "Engagement" statt Dankbarkeit nur Hass und Terrorismus erntet.

Dennoch gibt es noch immer viel zu viele Menschen, die sich ganz selbstverständlich in die Angelegenheiten anderer einmischen... die glauben, grundsätzlich immer im Recht zu sein, die nicht kapieren, dass andere Individuen eben andere Vorlieben und Abneigungen haben, und die nicht davon lassen können, alles, was von ihren eigenen Ansichten abweicht, gleich ohne jede objektive Grundlage als "unmoralisch" oder "böse" zu verdammen.
Interessant dabei ist, dass überzeugte Individualisten, die sich von den gruppendynamischen Prozessen, denen sie von Jugend an ausgeliefert waren, weitestgehend gelöst haben, deutlich toleranter im Akzeptieren anderer Lebenseinstellungen sind als jene, die sich als Mitglied einer bestimmten Herde sehen und aus der Weltsicht ihrer Herde heraus argumentieren.
Oder anders formuliert: Erst durch die nötige kritische Distanz zu uns selbst und den prägenden Einflüssen unserer Umgebung sind wir überhaupt in der Lage, unseren Mitmenschen aufrichtigen Respekt entgegen zu bringen.
Was auf den ersten Blick wie ein Widerspruch erscheinen mag, der sich für pädagogisch engagierte Gutmenschen, die sich seit hunderten von Jahren darum bemühen, die Jugend zu mehr Gemeinschaftsgeist, Solidarität und Nächstenliebe zu erziehen, wie ein Schlag ins Gesicht anfühlen muss, ist bei genauerer Betrachtung eigentlich nur folgerichtig und konsequent.
Denn nur, wer verstanden hat, wie stark er selbst seit frühester Kindheit von Elternhaus, Freundeskreis, Medien und staatlichen Institutionen beeinflusst, ja oft sogar regelrecht fehlgeleitet worden ist, kann aufrichtiges Verständnis dafür aufbringen, dass Menschen außerhalb der eigenen Herde, die völlig anderen Bedingungen ausgesetzt waren, auch fast zwangsläufig ein völlig anderes Weltbild inklusive völlig unterschiedlicher Wertvorstellungen entwickeln mussten.
Und erst aus diesem Verständnis heraus können sich fremde Menschen auf Augenhöhe begegnen, abseits aller sozialen Rangordnungen, Nationalität, Religion oder der politischen Großwetterlage.
So lange der Israeli jedoch überzeugter Israeli ist und der Palästinenser überzeugter Palästinenser... beide fest in ihre jeweiligen Herden integriert und festen Glaubens daran, dass ihre jeweilige Herde im Recht ist... so lange werden sie nicht in echtem Frieden miteinander koexistieren können. Nur die Erkenntnis beider Seiten, dass man im Grunde gar nicht so unterschiedlich tickt, wie man dank seiner jeweiligen Lebensumstände im Lauf des Heranwachsens zu ticken gelernt hat... die konsequente Abschüttelung der eigenen religiösen und politischen Prägung zugunsten eines weniger engstirnigen, universaleren Weltbildes... könnte zu einem dauerhaften harmonischen Zusammenleben aller Menschen in der Region führen.
Aber auf die Idee, dass sie alle erstmal ihre eigenen Fahnen verbrennen, bevor sie die des Gegners anzünden, weil beides Symbole ein und des selben beschränkten Denkens sind, kommen leider nur die wenigsten. Ihre Fahne ist ihnen nämlich heilig...
im Zweifelsfall sogar heiliger als alle Vernunft.

Auch die meisten Menschen hierzulande haben eine Fahne, die sie anbeten. Auch hierzulande sind viel zu viele nicht in der Lage, über den Tellerrand ihrer Sozialisation hinauszublicken und kritisch mit allem ins Gericht zu gehen, was ihnen von klein auf über die Gesellschaft und ihre ganz persönliche Rolle darin beigebracht wurde.
Und so leben sie weiter mit politischen und religiösen Überzeugungen, auf die sie von alleine, ohne durch die Leute in ihrer Umgebung oder geschickte Propaganda manipuliert zu werden, wahrscheinlich nie gekommen wären.
Aus Macht der Gewohnheit verbringen sie ihre Freizeit mit Menschen, mit denen sie im Grunde kaum etwas verbindet außer ihrer gemeinsamen Prägung, passen sich in punkto Sprache, Kleidung und Musikgeschmack chamäleongleich ihrer Umgebung an, haben nie gelernt, über das in ihrem sozialen Umfeld geduldete Maß hinaus Individualität zu zeigen... und sind trotzdem felsenfest davon überzeugt, allein deshalb so zu sein, wie sie sind, weil dies ihrem wahren Naturell entspricht.
Sie würden sogar ihr Leben darauf verwetten, so sehr glauben sie daran, sich selbst zu kennen.
Doch erst, wenn sie einmal wirklich in der Scheiße stecken sollten, merken sie, dass sie nichts wissen.... dass sie ohne psychologische Hilfe, ohne die Bestätigung ihrer Herde oder einen Führer, der ihnen die Richtung weist, in diesem Leben, das nie ihres war, völlig aufgeschmissen sind.
Dann werden sie sich vielleicht zum ersten Mal ernsthaft auf die Suche nach ihrem wahren Ich begeben... bei der sie aber natürlich auf die Schnelle keinen nennenswerten Erfolg erzielen werden, weil man nicht von einem Tag auf den anderen nachholen kann, was man über Jahre hinweg sträflich vernachlässigt hat.
Dabei ist es im wahrsten Sinne des Wortes kinderleicht. Jedes Kind beherrscht es, sich selbst zu kennen und genau zu wissen, was es will... zumindest so lange, bis es ihm von den Alten ausgetrieben wird.
Eine Tatsache, die auch schon Antoine de Saint-Exupéry erkannt hatte, als er in seinem Buch "Der kleine Prinz" mit der vernunftorientierten Denkweise der Erwachsenen überaus kritisch ins Gericht ging.
"Man sieht nur mit dem Herzen gut", lautet einer der bekanntesten Sätze aus diesem trotz seiner gesellschaftskritischen Aussage von vielen immer noch als reines Kinderbuch missverstandenem Meisterwerk.
Wenn das Herz allerdings längst unter Tonnen von Regeln, Abhängigkeiten und schlechten Erfahrungen verschüttet ist, wie will man sich je zu ihm durcharbeiten, so lange man nicht dazu bereit ist, sich die Hände schmutzig zu machen und konsequent alles umzugraben, was andere im Lauf des Lebens wie selbstverständlich auf einem abgeladen haben?
Erst, wenn wir begreifen, dass uns die Sozialisation, die wir genossen haben, nicht nur viele nützliche Fähigkeiten gegeben, sondern auch eine Menge wunderbare Talente geraubt hat, können wir erahnen, wieso kein noch so ausgeklügeltes System jemals in der Lage sein wird, der Menschheit wahren Frieden zu schenken... und erst dann können wir unseren Teil dazu beitragen, dem strengen, hierarchischen Denken der Erwachsenen, das so viele alte Probleme gelöst und dabei gleichzeitig so viele neue geschaffen hat, jenen gesunden anarchischen Geist entgegenzusetzen, der den Kindern (und mit ihnen eigentlich dem gesamten Universum) innewohnt.
dian
unregistriert
09.12.2007 19:00 Diesen Beitrag einem Moderator melden Zum Anfang der Seite springen

KAPITEL 8 - Das Kind in uns


In jedem von uns steckt von Geburt an ein stolzer, unbeugsamer Kern. Ein Kern, der ganz genau weiß, was gut für uns ist, und der uns den Weg zu unserer wahren Bestimmung weisen könnte.
Am besten in Aktion erleben lässt sich dieser Kern noch bei kleinen Kindern, die einen Wutanfall bekommen, weil sie noch nicht ins Bett wollen, keine Lust auf die Schule haben oder ihr Zimmer nicht aufräumen möchte. Und mit den von der gesellschaftlichen Realität noch unverdorbenen Augen eines Kindes betrachtet ist es ja auch Schwachsinn, dass gerade das Zimmer, das einem angeblich selber gehört, nach den Regeln anderer aufgeräumt werden muss, oder dass man zu Schlafen hat, ohne wirklich müde zu sein.
Aber unsere Gesellschaft besteht nunmal aus unzähligen solcher Regeln, die befolgt werden müssen, auch wenn sie dem Einzelnen noch so unfair und schwachsinnig erscheinen mögen.
Nur wer die Regeln achtet, hat eine Chance auf einen Platz auf der Sonnenseite der Gesellschaft... wer hingegen beständig die Regeln bricht, gilt als asozialer Abschaum, der keinem nutzt und es auch nie zu irgendwas bringen wird.
Kein Wunder also, dass die Erziehung der Menschen seit jeher darauf bedacht war, diesen trotzigen Kern in uns zu eliminieren, damit aus eigensinnigen Kindern einmal anpassungsfähige, in die Gemeinschaft integrierte Erwachsene werden.
Doch ohne ihren kindlichen Instinkt... ohne die von den Alten stets verteufelte "Nein, meine Suppe ess ich nicht!"-Mentalität, waren die Menschen auf einmal dazu verdammt, orientierungslos durch ihr Leben zu irren und letzten Endes jeden Müll zu schlucken, der ihnen von ihren Mitmenschen vorgesetzt wurde.
Man hatte ihnen von klein auf ja auch nie etwas anderes beigebracht, als ungeliebte Gegebenheiten so hinzunehmen, wie sie halt nunmal sind.
Sich eine eigene Welt zu basteln, wenn einem die der anderen nicht gefällt... notfalls einfach zu streiken und gar nichts mehr zu tun, wenn man merkt, dass man gerade dabei ist, sich selbst zu verraten... solche Verhaltensmuster des Widerstands mögen sich einige wenige Kinder vielleicht instinktiv bewahrt haben (und sich damit jede Menge Ärger einhandeln). Der Großteil wird jedoch irgendwann resignieren, den Erwachsenen ihre Version der Wahrheit glauben und alle "unvernünftigen" Träume und Sehnsüchte aus Kindertagen den Anforderungen der grauen Realität unterordnen.
Die fatalen Folgen dieser teilweisen Selbstaufgabe sind dann eben unter anderem, dass diese angepasst gewordenen Menschen, anders als ihre aufmüpfigen, im Geiste kindgebliebenen Altersgenossen, nicht schon nach ein paar Tagen Arbeit merken, dass ein bestimmter Job nicht gut für sie ist, sondern vielleicht erst, wenn ihr gestresster Körper nach vielen Jahren des Ignorierens sämtlicher Warnsignale kollabiert und jegliche weitere Zusammenarbeit verweigert.
Sie werden nicht gleich am Gesichtsausdruck eines Politikers erkennen, dass dieser ein machtgieriges Schwein ist, sondern erst, wenn dessen Politik bereits eine Menge Unheil angerichtet hat und schon sämtliche Medien darüber berichten.
Und auch in ihrem Privat- und Liebesleben werden sie es schwer haben, weil sie vielleicht selbst dann, wenn der Partner, mit dem sie zusammenleben, sie schlägt, hintergeht oder krankhaft eifersüchtig ist, nicht in der Lage sind, ihm seine scheiß Suppe ins Gesicht zu kippen und einfach zu gehen.

Immer wieder ist von Seiten der gesellschaftlich Verantwortlichen zu hören, dass sie ihre Kinder stark machen wollen. Stark gegen Drogen, stark gegen Gewalt, Faschismus und sonstige gesellschaftsschädigende Einflüsse.
Doch wirkliche Stärke liegt nicht darin, Dinge abzulehnen, von denen man ganz genau weiß, dass sie von der breiten Mehrheit der Gesellschaft sowieso nicht gern gesehen werden.
Wirkliche Stärke bedeutet vielmehr, seinen Ansichten notfalls auch dann treu zu bleiben, wenn man damit in seiner gesamten Umgebung auf Ablehnung und Unverständnis stößt.
Ein Kind, das zu Hause jedoch immer nur gelernt hat, das zu machen, was man von ihm erwartet, wird dieses Verhalten dermaßen verinnerlicht haben, dass es auch später im Kreis übereifriger Kameraden oder im Berufsleben gar nicht mehr anders kann, als sich von den Alphatieren der Herde mitreißen zu lassen.
In einer immer undurchsichtiger werdenden Welt, in der einem nahezu jeder etwas aufschwatzen möchte und das Designen von Werbung (also das bewußte Manipulieren von Menschen zu Profitzwecken) sogar als angesehener Beruf gilt, wäre es eigentlich wichtiger denn je, die Heranwachsenden, anstatt sie nach eigenen Vorstellungen umzuformen, in erster Linie dazu anzuleiten, sich eben nicht so einfach von anderen verformen zu lassen.
Dazu gehört, dass man ihnen das Recht zugesteht, öfters mal aus der Reihe zu tanzen und ihrem eigenen Kopf zu folgen... aber auch, dass man ihnen die Mechanismen dieser Welt erklärt und ihnen hilfreich (und uneigennützig!) dabei zur Seite steht, das, was sie wirklich wollen, von dem zu unterscheiden, was sie nur wollen sollen.
Doch was ist die gesellschaftliche Realität?
In vielen Elternhäusern wird den Kids nur beigebracht, was sie alles nicht tun dürfen, und dass sie erstmal älter werden sollen, bevor sie eigenverantwortliche Entscheidungen treffen können. In der Schule lehrt man ihnen als Ausgleich dazu mehrere Stunden täglich Rechnen, Schreiben und sonstige Fertigkeiten, die sich im späteren Leben als nützlich erweisen dürften.
Wie viele Stunden am Tag verwendet die Gesellschaft hingegen dafür, den jungen Menschen zu erklären, was echte Freundschaft bedeutet, wie man sich angemessen gegen die Attacken aggressiver Mitschüler verteidigt, oder wie man den nötigen Abstand zu sich selbst gewinnt, um auch mal die eigenen Eltern, die eigene Nation oder die eigene Clique mit den Augen eines objektiven, kritischen Beobachters betrachten zu können?
Kenntnisse, die eigentlich von viel größerer Bedeutung für die gesunde Entwicklung eines Kindes wären als das Beherrschen einer Fremdsprache oder irgendwelcher mathematischer Gleichungen... dennoch spielt das Gespräch darüber in den meisten Familien, Kindergärten und Schulen nur eine äußerst untergeordnete Rolle.
Die Erwachsenen erzählen den Kids zwar beständig vom "Ernst des Lebens", auf den sie vorbereitet werden sollen, lassen sie aber gleichzeitig mit ihren wirklich elementaren Sorgen und Wissensdefiziten sträflich allein, und machen es auf diese Weise regelrecht vom Zufall abhängig, ob ihr Nachwuchs bei seiner Suche nach Antworten dann über die richtigen oder die völlig falschen Informationsquellen stolpert.
Wer wissen will, wie man sich verteidigt, kann ja einen Karatekurs besuchen. Wer etwas darüber erfahren möchte, was wahre Liebe ist, kann ja seine geschiedenen Eltern fragen, der Jugendgruppe seiner Kirche beitreten oder die BRAVO kaufen. Wer Stolz und kritisches Denken lernen will, kann sich in Büchern darüber informieren oder sich seine Inspirationen sonstwo her holen.
Das alles ist eine quer durch alle sozialen Schichten gehende Gleichgültigkeit, die auf einen Heranwachsenden ja fast zwangsläufig so wirken muss, als ob ihm die Erwachsenen zurufen:
"Wie du in deiner Clique zurecht kommst, ob du deine Freundin hintergehst und was für Zweifel und Ängste du vor dem Einschlafen hast, ist uns scheißegal, so lange du dabei keine bestehenden Regeln brichst, nicht zu laut bist und immer artig deine Schulaufgaben erledigst."
Oder anders formuliert: "DU bist nebensächlich! Deine Freunde sind nebensächlich! Und deine Seele ist nur ein Hobby, dem du dich widmen kannst, wenn du gerade sonst nichts zu tun hast. Was wirklich zählt, sind deine Schulnoten, dein zukünftiger Arbeitsplatz und dein Ansehen in der Gesellschaft!"

Da überrascht es nicht, dass die meisten der in diesem Geist herangezogenen Jugendlichen irgendwann an der Schwelle zum Erwachsenwerden dazu übergehen, sich von den Dingen, die ihnen früher einmal viel bedeutet haben, loszusagen und komplett neue Prioritäten in ihrem Leben zu setzen.
Sie werden beginnen, anders zu reden als sie es noch mit ihren Kumpels taten, weil sie mitbekommen haben, dass man mit Höflichkeitsfloskeln und dem Wahren einer gewissen Distanz zueinander in der Welt da draußen mehr erreicht, als wenn man immer frei heraus sagt, was man denkt.
Sie werden sich anders kleiden, werden sich an Schmutzflecken stören, die ihnen als Kind völlig egal gewesen wären... die Spiele, die sie einst so gern gespielt haben, werden nur noch zu besonderen Anlässen hervorgeholt werden, allerdings mehr aus Nostalgiegründen, als dass sie sich noch einmal so richtig darin verlieren könnten... und die Clique, der Freundeskreis, der einst eine Art Lebensmittelpunkt war, und ohne den einem das Leben fad und sinnlos erschienen wäre, wird sich nach dem Schulabschluss wie selbstverständlich in alle Winde zerstreuen.
Aber natürlich würde ein jeder von ihnen vehement bestreiten, Opfer einer perfiden, jahrelang andauernden Gehirnwäsche geworden zu sein.
"So ist das nun mal, wenn man erwachsen wird.", werden sie stattdessen sagen... und das wird ein bisschen so klingen wie der pflichtbewusste Soldat, der in die Schlacht zieht und seine zurückbleibende Familie mit den Worten tröstet: "So ist das nun mal im Krieg."
Darüber, dass vieles nur deshalb so ist, wie es ist, weil es genügend Narren gibt, die das alles mit sich machen lassen, sieht man großzügig hinweg. Schließlich will man, wenn man schon seine Kinderträume für die gesellschaftliche Realität opfert, dies wenigstens in der Gewissheit tun, aufgrund eines persönlichen Reifeprozesses zu diesem Prioritätenwechsel gekommen zu sein, und nicht bloß deshalb, weil man sich eben wie so viele andere auch für den Weg des geringsten Widerstands entschieden hat.
Doch wäre es nicht sowohl für die Gesellschaft als auch für die Psyche eines jeden Einzelnen besser, man würde mit zunehmendem Alter zwar erfahrener, weiser und selbstkritischer werden, sich aber gleichzeitig auch die vielen positiven Eigenschaften bewahren, die ein Kind dem durchschnittlichen Erwachsenen voraus hat?
Die Rede ist von solch wichtigen, der Gesellschaft aber immer mehr abhanden kommenden Dingen wie entwaffnender Ehrlichkeit, Neugier, Offenheit, Fantasie, sowie nicht zuletzt von der Fähigkeit, noch echte, aufrichtige Freundschaft empfinden zu können... eine Freundschaft ohne Einschränkungen, ohne selbstsüchtige Hintergedanken, und ohne dass man dabei eine Maske trägt, wie es so viele ältere Jugendliche und Erwachsene beim gelegentlichen Zusammensein mit ihren Freunden zu tun pflegen.

In früheren Zeiten war es zuweilen überlebenswichtig, gute Freunde zu haben, auf die man sich bedingungslos verlassen konnte... die einem bei Gefahr den Rücken freihielten und einfach zur Stelle waren, wenn man mal krank wurde oder sonst in irgendeiner Weise Hilfe benötigte.
Auch heute noch ist es in vielen ärmeren Regionen der Erde ganz selbstverständlich, dass man mit seinen Freunden teilt, sie mit Rat und Tat unterstützt, und dabei oft mehr an das Wohl der anderen denkt als an das eigene... sicherlich nicht zuletzt auch deshalb, weil man genau weiß, dass sich die Gunst des Schicksals jederzeit ändern kann, und man dann vielleicht auf einmal selbst auf den helfenden Arm eines Freundes angewiesen ist.
Diesen hohen Stellenwert haben Freunde in unserer materiell relativ abgesicherten Gesellschaft längst nicht mehr.
Wer Angst vor einem Überfall hat, ruft die Polizei, wer krank ist, geht ins Krankenhaus, und wer finanzielle Unterstützung braucht, hat gelernt, sich an das Sozialamt zu wenden, weil ihm eh kein Nachbar oder Bekannter ein so wichtiges Gut wie das eigene Geld zur Verfügung stellen würde.
Freundschaft erfüllt für die meisten keinen wirklichen Zweck mehr. Sie ist nicht länger ein heiliger, hochgehaltener Wert, sondern einfach nur noch eine von unzähligen Möglichkeiten, sich zu entspannen und mit möglichst geringem Kostenaufwand ein paar unterhaltsame Stunden zu verbringen.
Der Satz "Bei Geld hört die Freundschaft auf" war wohl nie so zutreffend wie heutzutage.
Wenn man mit Freunden essen geht, wird peinlich genau darauf geachtet, dass jeder sein Essen selbst zahlt, um ja nicht in irgendeiner Weise benachteiligt zu werden oder gar in den schädlichen Ruf zu geraten, andere über den Tisch ziehen zu wollen.
Lockt nach der Schule ein guter Studien- oder Arbeitsplatz in einer weit entfernten Stadt, sind die Freunde das Letzte, über das man sich bei der Planung eines Umzugs Gedanken machen würde. Freunde sind austauschbar... und anders als ein Kind, das bittere Tränen vergießen würde, wenn einer seiner besten Freunde plötzlich fortziehen müsste, akzeptiert der erwachsene Freund eine solche Entscheidung in der Regel auch ohne zu murren, weil auch er die freundschaftliche Verbundenheit zu einem anderen Menschen nicht unbedingt als wichtigste Sache in seinem Leben bezeichnet.
Diejenigen hingegen, die dies auch nach dem sie den Kinderschuhen entwachsen sind nicht hinnehmen wollen, die lieber ihren Job oder ihr Studium hinschmeißen würden, um näher bei ihren Freunden zu sein als umgekehrt, werden angesichts der erdrückenden Übermacht an Menschen, die sich nur für unverbindliche Schönwetterfreundschaften interessieren, ein ums andere Mal an die Falschen geraten und mit hoher Wahrscheinlichkeit immer mal wieder ausgenutzt werden... so lange, bis auch sie schließlich an der Existenz wahrer Freundschaft zu zweifeln beginnen und sich dazu entschließen, zukünftig andere Prioritäten zu setzen und niemanden mehr näher als unbedingt nötig an sich ranzulassen.
Ein Teufelskreis, der dazu führt, dass sich die Menschen, obgleich sie aufgrund ansteigender Bevölkerungsdichte räumlich immer enger zusammenrücken, emotional zunehmend voneinander entfremden.
Ersatzweise bauen sie dann emotionale Beziehungen zu unerreichbaren Mediengestalten auf. Der sympathische Showmaster aus dem Fernsehen wird zum guten, verlässlichen Kumpel, das Ensemble aus der Daily-Soap zur Ersatzfamilie, mit denen man mitleidet und bangt wie mit echten Menschen... um genau zu sein, sogar mehr als mit echten Menschen, da sie echten Menschen gegenüber den entscheidenden Vorteil haben, jederzeit per Knopfdruck ausschaltbar zu sein, wenn man von ihrer Anwesenheit irgendwann doch einmal genervt sein sollte.
Eben alles ganz unverbindlich und anonym. Und so ist es auch nur konsequent, dass Millionen Menschen im ganzen Land Anteil nehmen, wenn mal wieder die schockierende Geschichte eines missbrauchten oder entführten Kindes über die Bildschirme flimmert. Sie wissen im Grunde nichts von dem Fall, außer den wenigen Bruchstücken, die ihnen von den Medien auf dem Silbertablett präsentiert werden. Trotzdem bauen sie eine emotionale Bindung zu dem Opfer und seiner omnipräsenten Familie auf, fühlen sich betroffen, wütend, persönlich angesprochen...
Die Schreie aus der Nachbarwohnung ignorieren sie hingegen beharrlich. Wird ja vermutlich nur ein zu laut aufgedrehter Fernseher sein. Außerdem hat man mit denen, die da wohnen, ja sowieso nichts zu tun, und man will auch keine Scherereien haben. Soll sich doch das Jugendamt darum kümmern... etc.

Wir leben heute in einer Welt voller oberflächlicher Pseudo-Freundschaften... in einer heuchlerischen Gemeinschaft, in der das Wort "solidarisch" nur noch von Politikern im Zusammenhang mit Steuererhöhungen und Zusatzabgaben in den Mund genommen wird. Im Wortschatz des Durchschnittsbürgers dürfte es hingegen kaum eine Rolle spielen... ja, es hat sogar einen eher negativen Beigeschmack, da der Bürger aus jahrelanger, schmerzlicher Bürokratie-Erfahrung weiß, dass das Wort "Solidarität" in der Regel nur dann fällt, wenn er für irgendetwas zahlen soll, was ihm eigentlich komplett am Arsch vorbei geht.
Trotzdem wird immer wieder der Geist des Zusammenhalts beschworen... die vielzitierten christlich-abendländischen Werte, die uns angeblich alle miteinander verbinden... die Nation, die wie eine große Familie zusammenhält und keinen durchs soziale Netz fallen lässt...
Alles Blödsinn! Alles Verarsche!
Da ist nichts, was die Menschen in unserem Land miteinander verbinden würde, außer ihrer Sprache und dem Wunsch, für sich selbst immer den größtmöglichen materiellen Vorteil herauszuholen.
Das ist keine Wertegemeinschaft... es sei denn, man möchte die Absicht, mit Hilfe der Gemeinschaft möglichst viel Gewinn zu erzielen und diesen dann hinter dicken Mauern ohne die Verlierer der Gemeinschaft auszukosten, ernsthaft als "Wert" bezeichnen.

Wenn wir schon gezwungen sind, aufgrund von Überbevölkerung und praktischer Zwänge mit anderen Menschen zusammenzuleben, Teil einer "Herde" bzw. großen Familie zu sein, so sollte es doch wenigstens eine Familie von Seelenverwandten und verständnisvollen Freunden sein, die einem das Gefühl echter Geborgenheit vermittelt... und kein Zusammenschluß kaltherziger Futterneider, die nur deshalb in der Gruppe zusammenleben, weil es so für jeden Einzelnen sicherer und profitabler ist.
Doch um die Gesellschaft dahingehend zu verändern, ist es zwingend notwendig, erst einmal von gewissen Verhaltensmustern wegzukommen, die sich im Lauf jahrhundertelang praktizierter Abgrenzung voneinander entwickelt haben.
Beispielsweise von dem Irrglauben, dass es etwas mit gegenseitigem Respekt zu tun hätte, sich als Erwachsener zu siezen, im Berufsleben mit ebenso farb- wie geschmacklosen Anzügen und nem Stock im Arsch rumzulaufen, und auch sonst jede Menge roboterhafte Verhaltensweisen an den Tag zu legen, die in keinster Weise natürlichen Ursprungs sind, sondern in erster Linie auf einer verlogenen Stände-Gesellschaft basieren, in der man sich ständig gegenseitig verkrampft zu beweisen versuchte, wie wohlerzogen man ist. So wohlerzogen, dass man beispielsweise miteinander Smalltalk betreibt, obwohl man sich eigentlich nur gegenseitig das Geld aus der Tasche ziehen möchte... dass man angestrengt versucht, alles richtig zu machen und sich beim Essen nicht zu bekleckern, auch wenn man eigentlich viel lieber auf den Tisch hauen und den anderen mal ordentlich die Meinung geigen würde.
Aber man tut es nicht. Und weil man es nicht tut, weil man stets um Wahrung der Etikette und einer gewissen Distanz bemüht ist, so dass man weder seinen Freunden sagen kann, wie sehr man sie mag, noch seinen Feinden, wie sehr sie einen ankotzen, weiß irgendwann keiner mehr, woran er am jeweils anderen überhaupt ist.

Um zu erkennen, wie richtiger, ehrlicher Umgang miteinander aussieht, der noch nicht zu einem antrainierten Schauspiel entartet ist, bräuchte man sich eigentlich nur einmal unvoreingenommen das Verhalten von Kindern anzuschauen.
Kinder (zumindest jene, die noch nicht übermäßig von der Erwachsenenwelt traumatisiert worden sind) können mit einem Ball in der Hand auf fremde Menschen zugehen und einfach frei heraus fragen: "Du, magst du mit mir spielen?" Sie können Menschen, die sie erst seit wenigen Minuten kennen, bereits so in ihr Herz geschlossen haben, dass sie ihnen ihre intimsten Geheimnisse anvertrauen.
Aber Kinder können auch ziemlich schnell misstrauisch werden und schonungslos ehrlich sein... können der ungeliebten Erbtante etwa direkt ins Gesicht sagen: "Ich mag dir kein Bussi geben, weil du so arg aus dem Mund stinkst!"
Anwesende Erwachsene würden in solch einer Situation beschämt die Hände über dem Gesicht zusammenschlagen... dabei ist es doch eigentlich höchst bewundernswert, wie offen Kinder über ihre Empfindungen und Gefühle reden können.
Doch noch während sie heranwachsen wird sich das alles grundlegend ändern.
Die jungen Menschen bekommen mit, dass es in der Welt da draußen längst nicht jeder gut mit ihnen meint... dass Offenheit immer auch bedeutet, Schwachstellen von sich selbst zu offenbaren und sich dadurch angreifbar zu machen.
Und so beginnen sie früher oder später damit, ihr wahres Ich hinter Masken zu verbergen. Aus den einstmals so offenen Jungen und Mädchen werden coole Macker und unnahbare Schönheiten... Souveränität ausstrahlende Kunstfiguren, die durch jedes mit Hilfe ihrer Tarnung erzielte Erfolgserlebnis noch ein Stück mehr mit ihrer Maske verschmelzen, bis sie schließlich selbst zu einem jener unsympathischen Erwachsenenzombies mutiert sind, vor denen sie sich als Kind einfach nur geekelt hätten.
Würden die Menschen hingegen lernen, sich bei aller berechtigter Vorsicht auch über die Pubertät hinaus den unverdorbenen Blick und die ehrliche Zunge eines Kindes zu bewahren, könnte das zwischenmenschliche Zusammenleben in der Gemeinschaft viel harmonischer ablaufen.
Sie könnten Freundschaften knüpfen, die weitaus intensiver sind als alles, was sich der durchschnittliche Jugendliche von heute vorstellen kann. Freundschaften, in denen man sich dermaßen gut kennt, dass einem das Wohl des Freundes mindestens genausoviel bedeutet wie das eigene.
Aber dazu muss man eben auch bereit sein, sich selbst voll und ganz zu erkennen zu geben, anstatt wie ein gewiefter Stratege nur jenen Teil von sich zu offenbaren, von dem man zu wissen glaubt, dass er bei den anderen gerade gut ankommt.
Man muss Gefühle zeigen und innere Ansichten preisgeben, die über momentane Bestandsaufnahmen wie "Ich find's geil hier" oder "Heute ist ein scheiß Tag." hinausgehen.
Nur wenn man mit Freunden auch über die komplexeren Vorgänge, die sich im eigenen Gehirn abspielen, reden kann, kann aus oberflächlichem Beisammensein, bei dem trotz aller gemeinsamen Vergnügungen letztlich doch jeder in seiner eigenen Welt lebt, eine tiefere Verbundenheit entstehen.

In einer Gesellschaft, in der die Menschen jedoch von klein auf gelernt haben, den größten Teil des Tages einfach nur zu funktionieren, und nur in Ausnahmefällen einmal sie selbst zu sein, hat "Gefühle zeigen" immer noch etwas Anrüchiges, Abnormes an sich.
Man handelt sich ja schon Unannehmlichkeiten ein, wenn man es wagt, im Unterricht oder während einer Geschäftsbesprechung zu auffällig zu gähnen.
Und wenn man im falschen Moment aus Sympathie seinen Arm um einen anderen Menschen legt, kann man davon ausgehen, dass das sofort als sexuelle Annäherung oder Taktlosigkeit missverstanden wird.
Egal, ob es das Suchen nach Nähe und Körperkontakt ist, das aufrichtige, undiplomatische Ausdrücken der eigenen Stimmung, oder das Sagen eines so simplen Satzes wie "Ich mag dich total gern und will dich nie verlieren."... Dinge, die Kindern wie selbstverständlich von der Hand gehen, sind im Kreis älterer Jugendlicher oder Erwachsener oftmals ein unausgesprochenes Tabu. Wer es bricht, braucht sich nicht zu wundern, als "Weichei" abgestempelt oder gar für einen Psychopathen gehalten zu werden, der sich nicht einmal an die einfachsten gesellschaftlichen Verhaltensregeln halten kann, und dem man daher besser aus dem Weg gehen sollte.
Dabei müsste es eigentlich eher Respektsbekundungen statt Vorwürfe hageln, wenn es ein Mensch wagt, in einem Umfeld, in dem üblicherweise jeder nur mit einem gestachelten Schutzpanzer herumläuft, seinen Schutz abzunehmen und sein wahres Ich zu erkennen zu geben. Denn ein solches Verhalten ist kein Zeichen von Weichheit, sondern vielmehr von Mut und psychischer Stärke.
Es erfordert großen Mut, in einer aus faulen Kompromissen bestehenden Welt ehrlich und aufrichtig zu bleiben.
Trotzdem ist ein Leben in Ehrlichkeit nichts, was nur für Masochisten oder unverbesserliche Altruisten in Frage käme.
Im Gegenteil. Ehrlichkeit bringt einen auch selber voran.
Etwa, wie bereits erwähnt, bei der Suche nach tiefergehenden menschlichen Verbindungen, die ohne Ehrlichkeit zu sich selbst und anderen gar nicht möglich sind... aber auch, wenn es darum geht, falsche Freunde zu verlieren und sich von denen abzugrenzen, die in ihrem Leben die falschen Prioritäten gesetzt haben, kann einem ein ehrlich ausgesprochenes Wort ungeheuer nützliche Dienste leisten.
Man ist einfach schneller aus einem verlogenen Umfeld draußen, wenn man ehrlich sagt, was man denkt... und eine solche Befreiung kann dem eigenen Seelenfrieden eigentlich nur zu Gute kommen, auch wenn man dadurch auf den ersten Blick sozial isolierter werden mag oder materielle Einbußen erleidet.
Langfristig gesehen wird aber nur Ehrlichkeit Ehrlichkeit erzeugen, während Lügen immer nur weitere Lügen nach sich ziehen werden. Wer also in einer ehrlichen Welt leben möchte, muss selbst den ersten Schritt dazu tun und ehrlich sein... wer es hingegen gut findet, andere zu belügen und hin und wieder auch selbst belogen zu werden, soll ruhig so weitermachen und sehen, was er am Ende seiner Tage davon hat.
Es dürfte jedenfalls kein sehr angenehmes Gefühl sein, wenn man auf dem Sterbebett liegt und endlich keinen Grund mehr hat, anderen etwas vorzumachen... wenn man einfach nur noch ein letztes Mal frei atmen möchte, wie man es als Kind getan hat... ohne Maske, ohne sich verstellen zu müssen... und dann greift man nach der Maske, aber man kriegt sie nicht mehr ab... ja, man kann sich nicht einmal mehr daran erinnern, was sich ursprünglich dahinter befunden hat.
Das wird weh tun. Weitaus mehr weh, als es Ehrlichkeit in all ihren Konsequenzen jemals tun könnte.


KAPITEL 9 - Verweichlichung


Wie unaufrichtig die Menschen heutzutage sich selbst und anderen gegenüber sind, kann man auch prima daran erkennen, wie in unserer Gesellschaft mit Gewalt, Tod und anderen negativen Begleiterscheinungen des irdischen Daseins umgegangen wird.
Beispielsweise, wenn mal wieder in einer Talkshow eine Gruppe Erwachsener über die Jugend und deren als bedrohlich empfundenen Medienkonsum diskutiert....
Getreu dem Motto "Wenn wir unsere Kinder nicht an die falschen Götter verlieren wollen, müssen wir ihnen manchmal die Augen zuhalten.", verteufeln sogenannte Experten (die in der Regel weniger Ahnung von der Materie haben als ein durchschnittlicher Zwölfjähriger) fiktive und reale Gewaltdarstellungen jeglicher Art, sprechen von einer zunehmenden Verrohung der Sitten, und fordern vom Staat und den Eltern ein härteres Durchgreifen, um die jungen Leute vor unmoralischem, menschenverachtenden Schund zu schützen.
Schließlich möchte man eine (zumindest vordergründig) friedliche und zivilisierte Gesellschaft haben... da passen Jugendliche, die brutale Ego-Shooter spielen oder sich auf ihrem Handy anschauen, wie eine Prostituierte von einem Hengst vergewaltigt wird, einfach nicht so recht ins Bild.
Man will sich als verantwortungsbewusster Erwachsener an Mord und Vergewaltigungen nicht ergötzen... Nein, man will solche Dinge vielmehr ausrotten. Notfalls auch mit Gewalt. Aber das ist dann natürlich eine ganz andere Gewalt als die Gewalt, die Jugendliche in ihrer Freizeit zum Spaß konsumieren. Es ist in den Augen der Verantwortlichen eine positive, beschützende, saubere Gewalt. Eine Gewalt, die durch ausgeklügelte Dienstvorschriften und Paragraphen geregelt ist, und die im Normalfall ganz dezent im Hintergrund ausgeübt wird, ohne dass die breite Öffentlichkeit all zu viel davon mitkriegt.
Aber nichts desto trotz ist Gewalt natürlich allgegenwärtig, denn ohne die ganze "positive" Gewalt in unserer Gesellschaft, ohne die Zensur, ohne die bewaffneten Beamten, die die Autorität des Richters bei einer Gerichtsverhandlung durchsetzen, ohne die Bodyguards, die verhindern, dass aufgebrachte Bürger ihre Politiker totschlagen, ohne die Friedenstruppen, die im Ausland die Interessen der freien Welt verteidigen... ohne all diese Gewalt wäre unser System schlicht und ergreifend nicht überlebensfähig, da es viel zu viel Unzufriedenheit produziert, als dass man auf massive Gewaltanwendung zu dessen Schutz verzichten könnte.
Strenggenommen gilt in unserer Gesellschaft also nach wie vor das Recht des Stärkeren. Aber außer den Stärkeren, sprich: den gesellschaftlichen Eliten und deren uniformierten Handlangern, soll das keiner wissen. Erst recht nicht die Heranwachsenden.
Sie sollen nicht wissen, wie man einem anderen Menschen in den Kopf schießt, da dieses Wissen den Staatsdienern vorbehalten bleiben soll, die für solche Situationen ausgebildet werden.
Am liebsten wäre es den Verantwortlichen wohl, wenn die Jugendlichen nicht einmal darüber nachdenken würden, dass es theoretisch möglich ist, einem anderen in den Kopf zu schießen. Noch besser, sie wüssten überhaupt nichts von den Waffen und der ganzen Gewalt, durch die sich unsere zivilisierte Gesellschaft vor ihren Feinden im In- und Ausland schützt, und erführen dadurch erst, wenn sie ihre Ausbildung bei der Bundeswehr beginnen, oder wenn sie sich bei einer Demonstration weigern, ein besetztes Gebäude zu räumen, obwohl der freundliche, sympathische Beamte mit dem merkwürdigen Apparat in der Hand sie doch mehrmals dazu aufgefordert hat...

Genug der Ironie.
Gewalt ist möglich. Gewalt regiert die Welt, gut versteckt hinter demokratischen Fassaden und kultivierten Umgangsformen. Und Gewalt ist faszinierend, weil es kurzfristig tatsächlich funktioniert, einem nervenden Menschen die Birne wegzublasen, und der dann auch wirklich tot ist und Ruhe gibt.
Was ist so falsch daran, wenn Menschen schon im Jugendalter über so etwas Bescheid wissen?
Das Wissen über Aussehen und Wirkung von Gewalt ist im Prinzip kein Zeichen von Verrohung, sondern ein Zeichen, dass man sich mit der Welt, in der man lebt, und deren Mechanismen auseinander gesetzt hat. Ein Zeichen, dass man mit offenen Augen durch die Welt läuft und das Märchen vom völlig gewaltfreien und einverständigen Zusammenleben aller Menschen in unserer heutigen Gesellschaft einfach nicht glauben kann.
Natürlich sollte man auch darüber Bescheid wissen, dass Gewalt immer Gegengewalt auslösen wird, und dass es somit letzten Endes nichts bringt, sich mittels Gewaltanwendung einen Vorteil gegenüber anderen zu verschaffen. Keine Frage.
Aber grundsätzlich kann Wissen niemals schaden... auch nicht das Wissen über die Funktionsweise einer Pumpgun oder die Kenntnis von brutalen Verstümmelungsfantasien.
Das Sich-Auseinandersetzen mit Filmen, Musik und anderen künstlerischen Erzeugnissen, welche die dunklen Seiten der menschlichen Psyche ausloten und erforschen, macht die Menschen weder blöd, böse noch grundlos gewalttätig. Es relativiert lediglich den Bann, den die pseudo-pazifistische, letztlich jedoch auch nur durch Unterdrückung, Gehirnwäsche und Gewalt am Laufen gehaltene moderne Zivilisation über ihren Nachwuchs gelegt hat.
Es relativiert das pädagogisch wertvolle Holzspielzeug, das Eltern ihren Kindern kaufen, um diese zu friedfertigen, höflichen Menschen zu erziehen, während an der Grenze schwerbewaffnete Kampfmaschinen patrouillieren, die jeden, der unerlaubt in das Land mit dem vielen pädagogisch wertvollen Holzspielzeug und den glücklichen Kindern einreißen möchte, mittels Gewaltanwendung zurückschicken (und notfalls auch abknallen, wenn derjenige sich gegen die Gewaltanwendung mit Gegengewalt zur Wehr setzen sollte).
Dass ohne diesen moralischen Bann dann vernachlässigte Jugendliche, denen niemand Liebe und echten Respekt vorgelebt hat, ausrasten und sich zu Grausamkeiten hinreißen lassen, ist bedauerlich... hat sich die Gesellschaft durch ihre Lieblosigkeit aber letztlich komplett selbst zuzuschreiben.

Vielleicht ist das Verhalten, das einem Teil der Jugendlichen den Vorwurf der Verrohung eingebracht hat - dieses Sich-Aufgeilen an Gewalt und Todesbildern - auch einfach eine völlig normale Reaktion auf eine Gesellschaft, die immer verweichlichter und wohlstandsverblödeter wird.
Verglichen mit früheren Zeiten, in denen Tod, Elend und Gewalt zum ganz normalen Alltag der Menschen gehört haben, hat man diese Dinge heute dermaßen an den gesellschaftlichen Rand gedrängt, dass es den (trügerischen) Anschein hat, sie würden überhaupt nicht mehr existieren.
Selbst die negativen Aspekte eines ganz normalen biologischen Vorgangs wie des Alterns werden so gut wie eben möglich aus dem Alltag der Menschen herausgefiltert.
So steckt man geistig oder körperlich nicht mehr fitte alte Menschen zum Sterben in speziell dafür vorgesehene Einrichtungen... natürlich wie immer in unserer Gesellschaft unter dem Vorwand der Humanität.
Es sei zu ihrem Besten, sagt man, weil sie ja rund um die Uhr versorgt werden müssten und sie sich in der "großen" Welt ja ohnehin nicht mehr zurecht finden würden. Doch wenn wir einmal ehrlich sind, dienen Altenheime weniger den darin versorgten Menschen (denn die würden, wenn man ihnen die Wahl ließe, oftmals lieber in ihrer vertrauten Wohnung verhungern wollen, anstatt künstlich ernährt und von Fremden zu Tode gepflegt zu werden), als vielmehr den Menschen draußen, damit diese weiter ungestört ihrem Konsum- und Arbeitsleben nachgehen können, ohne ständig mit der Sinnlosigkeit all ihren Strebens in Form eines körperlich und geistig verfallenden Vorfahren konfrontiert zu werden.
Auch Krankenhäuser und Anstalten üben neben ihrer offiziellen, medizinischen Funktion noch eine weitere, gesellschaftlich bedeutsame Funktion aus (auch wenn dies keiner der Beteiligten gerne zugeben möchte.)... nämlich das Elend/ die Kranken/ die suizidal Veranlagten, etc. von der Straße zu holen und zu verwahren... die Schattenseiten des Lebens so gut es geht aus der Öffentlichkeit herauszuhalten, in dem man die Dahinsiechenden einfach hinter verschlossenen Türen weiterleben (bzw. sterben) lässt, wo niemand außer den engsten Angehörigen etwas davon mitbekommt.
Kaum ist dann schließlich, abgeschirmt von Fachkräften, weißen Tüchern und Sicherheitsschleußen, ganz steril der Tod eingetreten, kommt auch schon der Leichenbeschauer und nimmt die sterblichen Überreste in seine professionelle Obhut.
Im Gegensatz zu früheren Zeiten, wo der Verstorbene oftmals noch für einen oder mehrere Tage in der Wohnung aufgebahrt wurde, damit sich alle Familienangehörigen und Freunde von ihm verabschieden konnten, zeigt man den Leichnam heute meist überhaupt niemandem mehr. Vor allem nicht den neugierigen Kindern, weil man Angst hat, dass sie durch den Anblick der toten Oma psychischen Schaden erleiden könnten.
Dass sie vielleicht eher dadurch psychisch geschädigt werden, dass man ihnen einen wichtigen und eigentlich zutiefst natürlichen Aspekt des menschlichen Daseins vorenthält, kommt den Erwachsenen nicht in den Sinn.

Tod, Gebrechlichkeit und Behinderung werden von der auf Leistungsfähigkeit und Konsum fixierten Gesellschaft tabuisiert. Oft mit fatalen Folgen.
Denn je weniger der Einzelne in seinem Alltag von Tod, Leid und der Vergänglichkeit mitbekommt, um so größer und überwältigender ist der Schock, wenn dann doch einmal etwas passiert. (und das wird es früher oder später unausweichlich...)
Während die Menschen im finsteren Mittelalter daran gewohnt waren, die halbe Familie im Krieg, durch marodierende Söldnerheere oder irgendwelche Seuchen zu verlieren, so dass sie vom Tod eines weiteren Familienmitgliedes nicht übermäßig aus der Bahn geworfen werden konnten, bricht heute oft schon wegen eines einzelnen Schicksalsschlages für die Angehörigen die komplette Welt zusammen.
Und das nicht nur bei unerwarteten Todesfällen.
Egal, ob Vergewaltigung, das Beobachten eines Selbstmordes oder der Verlust eines Beines...
Der heutige Durchschnittsmensch braucht oft jahrelange psychologische Betreuung, um mit etwas fertig zu werden, was seine Ahnen überspitzt formuliert mit einem Schulterzucken und einem dahingeseufzten "Gottes Wege sind unergründlich." abgehakt hätten.
Geschieht beispielsweise an einer Schule ein tödlicher Unfall oder eine Geiselnahme, kommt gleich ein ganzes Kriseninterventionsteam mit Notfallseelsorgern und sonstigen Spezialisten herbeigeeilt, mit dem Ziel, die Heranwachsenden so gut wie möglich vor dem Abdriften in dunkle, destruktive Gedankenwelten abzuhalten und zurück zu führen in den Schoß der (vermeintlich) heilen Welt, aus dem sie so unvermittelt herausgerissen worden sind.
Natürlich haben diese Helfer in der Regel nichts Böses im Sinn, sondern handeln ganz aufrichtig im Namen solch edler Motive wie "Menschlichkeit" und "Nächstenliebe"...
Doch wenn man in einer zuweilen gnadenlosen Welt, in der alles früher oder später zu Grunde geht und Gewalt oder deren Androhung oftmals der einzige Leim ist, der das ganze Gefüge noch zusammenhält, zu verhindern versucht, dass sich junge Menschen diesen Bedingungen anpassen und aus eigenem Antrieb heraus eine gesunde psychische Härte und Widerstandskraft entwickeln, erweist man ihnen letztlich einen Bärendienst.
Natürlich kann man sie trösten und ihnen seine Unterstützung anbieten, um sie seelisch wieder aufzurichten... aber wenn dieses Wiederaufrichten bedeutet, sie dazu zu bringen, das Erlebte ein für alle Mal abzuhaken und mit ihrem Alltagsleben genauso weiter zu machen wie bisher, dann wird man nichts anderes bewirken, als dass sie auch wieder zu ihrer alten Hilflosigkeit zurückfinden... dazu verdammt, beim nächsten Einbruch der Wirklichkeit abermals den Boden unter den Füßen zu verlieren und wieder ohnmächtig auf den Beistand anderer angewiesen zu sein.

Vor allem der weibliche Teil der Bevölkerung wird von klein auf regelrecht systematisch verweichlicht.
Zwar hat sich durch die Emanzipation im Lauf der letzten Jahrzehnte schon das eine oder andere zum Besseren gewendet, aber grundsätzlich wird den Mädchen von der erwachsenen Gesellschaft immer noch eingetrichtert, dass sie, wenn sie echte Frauen sein wollen, mit ihren Reizen spielen müssen und sich auch sonst typisch weiblich (und das bedeutet vor allem: aufgetakelt und auf männlichen Schutz angewiesen) zu präsentieren haben.
So kleiden sich schon 12jährige wie Bahnhofsnutten, auch wenn sie nicht im geringsten über die Abgeklärtheit und psychische Belastbarkeit einer echten Bahnhofsnutte verfügen... und werden damit ein geradezu ideales Opfer für Vergewaltiger, denen die Kombination aus ruchloser Optik und zartem Gemüt natürlich äußerst gelegen kommt.
Für betroffene Frauen ist ein solches Verbrechen dann auch entsprechend doppelt belastend:
Nicht nur, dass ihnen ihre eigene Wehrlosigkeit auf grausame Weise vor Augen geführt wird... sie werden von ihrem Umfeld auch indirekt unter Druck gesetzt werden, möglichst schnell nach der Tat wieder zu ihrer früheren Unbeschwertheit zurückzufinden und sich wieder genau so typisch weiblich zu verhalten wie zuvor . Jedes Verhalten, das dauerhaft von dieser gesellschaftlich erwarteten Rückkehr zur Normalität abweicht, gilt als psychisch gestört... auch wenn es oftmals gar keine psychische Störung ist, sondern einfach nur eine ganz folgerichtige Anpassung des eigenen Verhaltens an eine Welt, die man nach dem schmerzhaften Einbruch der Realität plötzlich mit völlig anderen Augen wahrnimmt.
Aber sogar dieses "mit anderen Augen wahrnehmen" ist bereits unerwünscht. Die Gesellschaft will keine jungen Frauen, die mit einem Revolver in der Tasche unterwegs sind und nur darauf waren, dass sie mal wieder von jemandem überfallen werden.
Die Gesellschaft will Frauen, die an so etwas Barbarisches überhaupt nicht denken, die stattdessen brav ihren alltäglichen Sorgen vom Kaliber eines "Ich weiß noch immer nicht, welches Kleid ich heute abend auf der Party anziehen soll!" nachgehen.
Unvorbereitet- und gedankenlos sein wird quasi zur Tugend erklärt... und genau deshalb haben es potentielle Vergewaltiger auch so leicht, immer wieder unvorbereitete Opfer zu finden.

Wie viele solcher Taten ließen sich hingegen vermeiden, wenn man junge Mädchen nicht länger zu Eleganz, Anmut und Hilflosigkeit erziehen würde, sondern zu kämpferischen Amazonen, die jedem, der ihnen ungefragt an die Wäsche will, ohne Skrupel die Kehle aufschlitzen könnten?
Wie viele Fälle von Mobbing am Arbeitsplatz oder in der Schule, welche die Öffentlichkeit ja angeblich so betroffen macht, könnte man verhindern, wenn man kleinen Kindern nicht nur beibrächte, wie man still sitzt und dem Lehrer gehorcht, sondern wie man im Zweifelsfall auch mal jemandem, der einem Böses will, die Fresse poliert?
Wie viele körperlich Unterlegene würden von Stärkeren in Zukunft nicht mehr überfallen werden, wenn man ihnen das Recht zugestehen würde, Waffen zu tragen und diese im Notfall auch einsetzen zu dürfen?
Ja, man muss sich in diesem Zusammenhang sogar die Frage stellen, wie viele diktatorischen Unrechts-Regime in der Vergangenheit gleich im Keim erstickt worden wären, wenn die Bevölkerung wehrhafter gewesen wäre und mehr Chancen zur Verteidigung ihrer Freiheit gehabt hätte.
Hätte sich Hitler länger als fünf Jahre im Amt halten können, wenn jeder Jude die Möglichkeit gehabt hätte, sich im Laden eine Maschinenpistole zu kaufen?
Doch die meisten Juden waren nun einmal Zivilpersonen... keine Jäger, keine Soldaten, keine Polizisten... und damit unbewaffnet. Nur deshalb konnte eine so große Volksgruppe von den besser ausgerüsteten Nazis so einfach und ohne, dass es zu einem aufsehenerregenden Bürgerkrieg gekommen wäre, abtransportiert und in Vernichtungslager gesteckt werden.
Das sollten sich jene Gutmenschen, die sich immer für strengere Waffengesetze aussprechen, weil sie glauben, dass es dadurch weniger Unrecht auf der Welt gäbe, einmal gründlich durch den Kopf gehen lassen... dass eben durch das relativ strikte Verbot von Waffen in Privatbesitz, wie es in Deutschland seit Jahrhunderten üblich ist, nicht nur schätzungsweise ein paar hunderttausend Leben gerettet, sondern auch schon Millionen anständiger Menschen dazu verdammt wurden, sich wie wehrloses Schlachtvieh abmassakrieren zu lassen.

Zu glauben, dass die Menschen dadurch, dass man ihnen verbietet, Waffen zu tragen zivilisierter miteinander umgehen würden, ist jedenfalls eine fast schon rührend naive Vorstellung... ähnlich naiv, wie der Glaube, durch ein Verbot von Pornofilmen Vergewaltigungen und ungewollte Schwangerschaften verhindern zu können.
Man kann nicht verbieten, was tief in den Menschen verankert ist. Man kann Menschen nur aufklären, damit sie lernen, mit ihrer Gier, ihren Trieben und der Verletzbarkeit ihrer Mitmenschen angemessen umzugehen.
Ein Verbot, also eine Tabuisierung, ist jedoch im Grunde das komplette Gegenteil von Aufklärung... und so wird ein Mensch, dem man von klein auf eingetrichtert hat, dass sexuelle Gedanken etwas Schlechtes sind, wahrscheinlich sogar eher von seinen Trieben übermannt und zum Vergewaltiger werden, als ein vernünftig auf die eigene Sexualität und die damit einhergehende Verantwortung vorbereiteter Gleichaltriger.
Genau, wie ein Verbot von Waffen der Gesellschaft eben keinen Deut mehr Frieden bringt, sondern lediglich bewirkt, dass niederträchtige, aggressive Zeitgenossen ihre Mitmenschen zunehmend auf andere Weise verletzen und töten werden... etwa, in dem sie jene, die ihnen nicht in den Kram passen, mit bloßen Fäusten bzw. ganz normalen Haushaltsgegenständen attackieren, durch gezielten Psychoterror in den Selbstmord treiben, oder unter zu Hilfenahme der gesellschaftlichen Strukturen (wie beispielsweise Polizei und Justiz) zu Grunde richten.
Das Ergebnis ist letztlich das selbe.. nur eben weniger blutig und weniger offensichtlich, als wenn die Menschen ihre Machtansprüche wie in früheren Zeiten wieder mit einem Schwert in der Hand umsetzen würden.
Aber ist es deshalb automatisch zivilisierter?

Nicht falsch verstehen:
Es soll hier in keinster Weise darum gehen, eine martialische Kriegergesellschaft zu propagieren, in der sich alle bis an die Zähne bewaffnen und gewalttätige Auseinandersetzungen an der Tagesordnung sind!
Ziel dieser Gedanken ist vielmehr, aufzuzeigen, dass der heutige Zustand, wonach nur eine kleine, speziell ausgebildete Elite Gewalt anwenden darf, während der große Rest per Gesetz dazu verdammt ist, gewaltlos zu leben und darauf zu vertrauen, dass die gesellschaftlichen Eliten ihm die nötige Unterstützung zukommen lassen, auch nicht gerade der Weisheit letzter Schluß sein kann.
Schließlich werden die ursächlichen, hinter Gewalt und Verbrechen steckenden Problematiken dadurch nicht beseitigt, sondern nur in andere gesellschaftliche Bereiche verlagert, wo sie vielleicht weniger ins Auge springen, aber nicht desto trotz unablässig weiteren Schaden anrichten.
So ist zwar das Risiko, von einem feindlich gesinnten Mitmenschen auf offener Straße umgebracht zu werden, in unserer heutigen überwachungs- und kontrollwütigen Welt wesentlich geringer als zu Zeiten unserer Vorfahren... dafür steigt die Zahl der Menschen, die von den starren gesellschaftlichen Strukturen erdrückt werden und unbeobachtet von der Öffentlichkeit einen unsichtbaren Tod sterben, von Jahr zu Jahr kontinuierlich an.
Selbstmorde, Selbstverletzung, verantwortungsloser Umgang mit Drogen, Depressionen, Gefängnisse und Irrenanstalten, in denen heutzutage prozentual mehr Häftlinge einsitzen als zu Zeiten der schlimmsten Hexenverfolgungen...
all das gehört zu dem enormen Preis, den eine Gesellschaft zu zahlen hat, wenn sich die in ihr lebenden Menschen aus Angst voreinander immer mehr Freiheiten aberkennen.

Die Menschheit muss endlich begreifen, dass wahre Zivilisation nicht bedeutet, nur deshalb friedlich zusammenzuleben, weil man ja ohnehin ständig überwacht und von einer höheren Instanz unerbittlich mit Strafen bedroht wird... sondern friedlich zusammenzuleben aus Überzeugung. Friedlich zusammenzuleben, obwohl man jederzeit die Macht dazu hätte, seinem Nachbarn die Frau und dessen Land wegzunehmen.
Das ist der Idealzustand, auf den sich eine jede Gesellschaft hinbewegen sollte.
Doch dazu bedarf es starker, furchtloser Individuen, die nicht nur selbst frei und unbeugsam durch ihr Leben gehen, sondern darüber hinaus auch den nötigen Mut aufbringen, um anderen die gleiche Freiheit und Unbeugsamkeit zuzugestehen.
Eine Geisteshaltung, die von den heutigen Lebensumständen leider alles andere als gefördert wird...
Wenn man junge Menschen nämlich in eine Koppel pfercht und ihnen beständig eintrichtert, dass sie nur hilflose, unschuldige Schäfchen sind, die vor den draußen umherstreifenden Wölfen geschützt werden müssen, anstatt ihnen zu zeigen, wie man einen angreifenden Wolf notfalls mit Gewalt erlegt, wird man nichts anderes erreichen, als dass diese jungen Menschen auch im Erwachsenenalter immer Sklaven ihrer Ängste bleiben werden.
Vielleicht hochanständig, vielleicht klug, vielleicht nicht auf den Mund gefallen... aber letztlich doch stets mit einer gewissen Opfermentalität behaftet. Dazu verdammt, von jenen, die sich meisterlich darauf verstehen, die Ängste der Menschen zu schüren und für ihre eigenen Zwecke einzusetzen, ein Leben lang an der Nase herumgeführt oder gegen ihre Mitmenschen aufgehetzt zu werden.

Die Lösung dieses Dilemmas kann also eigentlich nur darin liegen, den Einfluß der Angst auf die alltäglichen Entscheidungen der Menschen zu minimieren.
Aber dies erreicht man nicht durch immer neue Sicherheitsvorkehrungen und Überwachungsmechanismen. Ganz im Gegenteil.
Je höher die allgemeine Lebenserwartung ist, um so größer wird das Gejammer sein, wenn einmal jemand deutlich früher als erwartet das Zeitliche segnen sollte.
Je sicherer sich die Menschen fühlen, desto heftiger werden sie in Panik verfallen, wenn allen Sicherheitsvorkehrungen zum Trotz doch einmal etwas Schlimmes passiert. (wie unter anderem der 11. September 2001 eindrucksvoll demonstriert hat.)
Je weniger Kindesentführungen es gibt, desto gieriger werden sich die Medien auf jeden einzelnen Fall stürzen und ihn zur landesweit rund um die Uhr gesendeten Sensation hochstilisieren, was subjektiv bei den mitfiebernden Zuschauern den Eindruck auslöst, als ob die ganze Nation nur noch aus Kinderschändern, deren Opfern und ein paar wenigen Unbeteiligten besteht...
eine extrem verzerrte Wahrnehmung der Realität, die dann wiederum fast zwangsläufig zu völlig unangebrachten Reaktionen führen muss.
Das Streben der Menschen nach totaler Sicherheit ist wie eine Sucht, die sich nicht dadurch kurieren lässt, dass man der Bevölkerung immer höhere Dosen verabreicht, auch wenn sie noch so dringend danach verlangen sollten. Letztlich tut man ihnen nämlich keinen Gefallen damit.

Besser wäre es, die Menschen schon in möglichst jungen Jahren auf ihre eigene Vergänglichkeit vorzubereiten... ihnen zwar natürlich auch die Schönheit und Chancen der Welt, in der sie leben, vor Augen zu führen, aber ebenso die Tatsache, dass all das irgendwann ein Ende haben wird, und dass sich dieses Ende durch keine Macht des Universums abwenden lässt.
Es darf nicht länger ein Zeichen von Abnormität sein, sich als Jugendlicher intensiv mit Gedanken über den Tod und das Sterben auseinander zu setzen. Es sollte vielmehr zur Regel werden, über solche in unserer lebenslustig auf den Abgrund zutanzenden Gesellschaft gern verdrängt werdenden Dinge zu meditieren, die dunklen Seiten der eigenen Seele zu erforschen, und sich dabei von keinerlei menschgemachten Zensurvorschriften und Denkverboten ausbremsen zu lassen.
Nur, wer in seinen Gedanken radikal alles denkbar Mögliche und Unmögliche durchgespielt hat, so dass er seine Gefühle auch dann noch kontrollieren kann, wenn andere längst heulend am Boden liegen... nur, wer so viel Leid vor seinem Inneren Auge gesehen hat, dass ihn kein unerwartetes Ereignis mehr schockt und damit handlungsunfähig macht... nur der kann das Maximum aus seinem Leben herausholen, ohne Gefahr zu laufen, schon vorzeitig an einem unerwarteten Schicksalsschlag zu zerbrechen.
Das ist keine "Verrohung", sondern einfach eine gesunde Form von Abhärtung, die in ihrer Konsequenz manchen weniger abgehärteten Zeitgenossen Angst machen mag, aber letztlich die einzige Möglichkeit ist, in einem brutalen, keinerlei ethischen Richtlinien unterworfenen Universum nicht nur hilfloses Opfer, sondern formende, mitbestimmende Macht zu sein.
Wir Menschen sind schließlich schon schwach genug. Wir sollten uns nicht noch zusätzlich schwächen, in dem wir auf irgendwelche religiösen oder moralischen Eiferer hören, die uns vorschreiben wollen, welche Art der Kreativität gottgefällig ist und welche nicht. Denn die wissen das garantiert auch nicht. Die hoffen nur verzweifelt darauf, dass ihre Sicht der Dinge die einzig Wahre ist, weil sie ansonsten mit ihrer demütigen Schafs-Mentalität keinen Blumentopf gewinnen würden.
dian
unregistriert
09.12.2007 19:01 Diesen Beitrag einem Moderator melden Zum Anfang der Seite springen

KAPITEL 10 - Was zu tun ist


Ein Großteil der Problematiken, die einem friedlichen, respektvollen Zusammenleben aller Menschen im Weg stehen, ist nun zumindest in groben Zügen einmal angerissen worden.
Bliebe noch die Frage zu klären, was zu tun ist... ob, und wenn ja, wie die ungesunde Entwicklung der Gesellschaft rückgängig gemacht und in andere, freiere Bahnen gelenkt werden kann, ohne dass es dabei zu größeren gewalttätigen Auseinandersetzungen kommt, die wiederum nur jede Menge neuer Probleme verursachen würden.

Versuche, inakzeptable Zustände notfalls mit Gewalt zu verändern und so eine bessere Welt zu erzwingen, gab es in der Menschheitsgeschichte schließlich schon zu genüge.
So entstanden im Lauf der Zeit zahlreiche neue Staatsformen, neue Religionen, neue Gesellschaftsstrukturen... und wann immer der Punkt erreicht war, an dem die Menschen es in dem von ihnen oder ihren Führern geschaffenen System absolut nicht mehr aushielten, entlud sich ihre Zorn in einer erneuten Revolution.
Doch leider war das Makel dieses (eigentlich berechtigten und sinnvollen) Aufbegehrens der Menschen, dass die Paläste der Tyrannen, deren Unterdrückungsapparate und Methoden, in den seltensten Fällen geächtet und für alle Zeiten unbrauchbar gemacht wurden. Vielmehr setzten sich, kaum dass der wütende Mob die Köpfe seiner Unterdrücker abgeschlagen hatte, schon die nächsten machtgeilen Individuen auf den soeben freigewordenen Thron... selbstverständlich „im Namen des Volkes", so wie es jeder Tyrann gerne auszudrücken pflegt, wenn er seinen Herrschaftsanspruch nicht gerade direkt von Gott bezieht (oder er sich gar selbst als solchen betrachtet).
Oft bedienten sie sich dabei sogar derselben Berater und Vasallen, die einst schon ihren verhassten Vorgängern dienstbeflissen in den Arsch gekrochen waren.
Gerade in Deutschland haben Wendehälse seit jeher Hochkonjunktur. So mancher Nazi-Richter richtete nach dem Krieg fleißig weiter... doch nun auf einmal für die andere Seite. Schließlich hatte er sich ja nichts vorzuwerfen, da er nur die damals gültigen Gesetze befolgt hat.
Zahlreiche Geheimdienstmitarbeiter, Polizisten und Militärstrategen, die dabei geholfen hatten, Hitlers größenwahnsinnige Pläne in die Tat umzusetzen, wurden aufgrund ihres „Sachverstandes" auch in der BRD weiterbeschäftigt. Uniformierte Speichellecker, die Ahnung davon haben, wie man andere kontrollieren und vernichten kann, sind anscheinend in jedem System gern gesehene Diener der Machthaber... selbst in einem, das sich etwas auf seine demokratische Grundordnung einbildet.

So braucht man sich jedenfalls nicht zu wundern, dass sich trotz zahlreicher Revolutionen einige Dinge niemals grundsätzlich geändert haben... dass, egal ob im Dritten Reich, der DDR oder später in der freien Marktwirtschaft, immer ein und der selbe Menschenschlag die Zügel der Macht in der Hand hielt.
„Revolution" bedeutet nun einmal „Umwälzung". Doch leider führt eine solche Umwälzung in den meisten Fällen lediglich dazu, dass sich das Personalkarussell ein Stückchen weiter dreht, während die strukturbedingten Grundprobleme im Wesentlichen die selben bleiben.
Angesichts dieser schwerwiegenden Tatsache, die sich übrigens in nahezu allen Ländern dieser Erde beobachten lässt (die Französische Revolution von 1789 und Fidel Castros Revolution in Kuba seien hier nur mal stellvertretend für viele erwähnt), erscheint der Nutzen von gewalttätigen Umstürzen mehr als fraglich.
Sie vermögen einem leidenden Volk kurzfristig Linderung zu verschaffen und geben ihm eine Möglichkeit, seine im Lauf der Jahre angesammelte Wut loszuwerden... doch langfristig gesehen gibt es keine Verfassung, kein Staatssystem, keine noch so ausgeklügelte Hierarchie, durch die soziale Gerechtigkeit und ein dauerhafter Frieden garantiert werden könnte.
Andauernden Erfolg wird nicht allein die Veränderung des Systems bewirken... sondern nur eine damit einhergehende Veränderung der Menschen, die darin leben. Eine Veränderung ihres Denkens, ihres Verhaltens und ihres Weltbildes.
Eben keine bloße Umwälzung, sondern vielmehr eine echte Weiterentwicklung... eine geistige Evolution der gesamten Bevölkerung (oder zumindest eines beträchtlichen Teiles davon.)
Dazu gehört aber auch, dass die Menschen nicht durch Zwangsmaßnahmen zu einem Leben ohne Zwang verpflichtet werden, was ein Widerspruch in sich wäre und nicht gutgehen würde, sondern dass man jene, die einer gesellschaftlichen Neuorientierung grundsätzlich skeptisch gegenüberstehen, behutsam und mit möglichst wenig schädlichen Nebenwirkungen an ein solches Leben heranführt.
Ein schwieriges, langwieriges Vorhaben, das unmöglich mal eben so über Nacht über die Bühne gehen kann... erst recht nicht, so lange Zwang und Kontrolle dermaßen in den Köpfen der Menschen verankert sind, dass die Aussicht auf ein Leben in Freiheit in ihnen statt Freude nur einen gewaltigen Schock auslösen würde.
Zu viele von ihnen haben sich längst an die vergiftete Atmosphäre, in der sie aufgewachsen sind, gewöhnt... so sehr, dass sie oft sogar beleidigend werden und diejenigen, die sich für eine radikal andere Weltordnung einsetzen, als „Spinner" oder „arbeitsscheues Gesindel" bezeichnen.
Wer will sich schon selber eingestehen, dass er in seinem Leben unglaublich viel Lebenszeit an Dinge verschwendet hat, die in einer besseren Welt vielleicht gar nicht notwendig gewesen wären?
Um die Menschen daher an einen neuen Umgang miteinander zu gewöhnen, sollte ihnen ganz langsam und allmählich mehr Freiheit und Eigenverantwortung zugestanden werden. In angemessenen Zeitabständen immer wieder ein paar Gesetze abschaffen, ein paar Kontrollen verringern, ein paar mehr Freiräume schaffen, in denen die Bürger selbständig und ohne staatliche Einmischung ihr eigenes Ding durchziehen können. Gleichzeitig muss man sie natürlich auch aufklären... über die großen Zusammenhänge, die Fehler der Vergangenheit, und die neuen Chancen, die sich jedem Einzelnen eröffnen.
So würden jene, die von Kindesbeinen an gelernt haben, anderen zu gehorchen und ihren Lebensrhythmus von einem hierarchisch organisierten System bestimmen zu lassen, sanft und gemächlich an eine freiere, menschlichere Welt herangeführt... ganz ähnlich, wie man ja auch bei einem Tier vorgehen würde, das von Geburt an in einem Zoo gefangen war und nun ausgewildert werden soll. Denn auch das Leben in Freiheit will gelernt sein.
Für die in Freiheit aufwachsenden Kinder wird es später dann einmal ganz selbstverständlich sein, ihre Mitmenschen zu achten und in Konfliktfällen durch ein gemeinsames Gespräch Lösungen zu finden... denn den anderen Weg, den Weg der Lemminge, kennen sie im Idealfall ohnehin nur noch aus Erzählungen der Alten.

Stellt sich an dieser Stelle noch die Frage, was man denn nun als Einzelner konkret tun kann, um die angestrebte Evolution voranzubringen und die Welt zu einem lebenswerteren Ort zu machen.
Das wäre zum einen natürlich, diejenigen Kräfte in Politik und Gesellschaft unterstützen, die sich für mehr Freiheit und mehr Menschlichkeit einsetzen... sich gerne auch selber mit Gleichgesinnten zusammentun und eigene Bündnisse und Parteien gründen, die dieses Ziel verfolgen.
Terror und blinder Aktionismus, wie er zum Beispiel von der RAF und anderen fundamentalistischen Vereinigungen angewandt wurde, ist dagegen kein geeignetes Mittel, um bei der Bevölkerung eine echte Bewußtseinsveränderung zu bewirken. Oft führten solche Maßnahmen sogar zum genauen Gegenteil dessen, was die Ausübenden eigentlich bezwecken wollten. Um auf das Beispiel mit der RAF zurückzukommen: Man wollte den Staat aushebeln, ihn mit militärischen Mitteln bekämpfen... und am Ende war der Staat stärker als je zuvor, die Solidarisierung der Bürger mit dem Staat und seinen Organen ausgeprägter denn je.
Nein. Gewalt mag vertretbar sein, um im Extremfall ein großes Unrecht zu stoppen oder die eigene Freiheit zu verteidigen. Gesellschaftlich wird dadurch aber kein einziger Konflikt gelöst... stattdessen werden die ohnehin schon viel zu großen Gräben zwischen den unterschiedlichen Weltanschauungen nur noch weiter aufgerissen, was letztlich keiner der beteiligten Fraktionen weiterhilft.
Ziel eines jeden Kampfes für eine bessere Weltordnung sollte es vielmehr sein, die Herzen der Menschen zu erreichen. Nicht mit Kugeln, nicht mit Pfeilen, nicht mit Schwertern... sondern alleine mit der Kraft, die in der Wahrheit liegt. (Und mit „Wahrheit" ist in diesem Zusammenhang das gemeint, was übrig bleibt, wenn wir gelernt haben, mit dem Herzen zu sehen und die ein Leben lang auf uns einwirkenden Manipulationen zu erkennen und rückgängig zu machen.)
Diejenigen, die man dagegen mittels Drohungen und Gewalttaten zu einem Umdenken gebracht hat, sind im schlechtesten Fall einfach nur eingeschüchtert... im besten Fall glauben sie einem wirklich und sehen ihre Fehler ein. Doch wer kann schon garantieren, dass sie bei der nächsten Gewaltanwendung von der anderen Seite nicht wieder umschwenken und zu ihren alten Gewohnheiten zurückkehren werden?
Ein mit Gewalt erkaufter Frieden ist immer nur ein Waffenstillstand.
Um bei Menschen wirklich dauerhafte Veränderungen auszulösen, muss man ihnen die Augen öffnen für die wahren Schönheiten des Lebens... dafür, dass Dinge wie Freundschaft, Freiheit und Aufrichtigkeit um so vieles besser und schöner sind als die starren Normen und Dogmen eines Systems, das seit Tausenden von Jahren die Menschen in Unterdrücker und Unterdrückte aufteilt und letztlich nur mittels Gewaltandrohungen und gezielter Selektion aufrechterhalten werden kann.
Denn wenn ein Mensch erst einmal wahrhaftig vom Geist der Freiheit ergriffen wurde, wird er diese neue Art des Denkens um nichts in der Welt wieder aufgeben wollen.

Doch eine solche Erkenntnis erreicht man nicht allein durch schöne Worte und flammende Predigten.
Das, was im Grunde das Wichtigste ist, was wir alle, was ein jeder von uns tun kann, ist LEBEN. Leben dessen, was wir für wichtig und zukunftsfähig halten... und das heißt automatisch immer auch, es anderen vorzuleben. Durch die Art, wie wir durch den Alltag gehen und mit unseren Mitmenschen interagieren, können wir als ein Beispiel dienen. Ein Beispiel, das vielleicht nicht jedem sofort auffallen wird, weil es nicht so strahlend leuchtet wie die Reklamen der Werbeindustrie, mit dem wir aber im Laufe der Zeit durch unsere Verlässlichkeit, Weitsicht und Anständigkeit auch andere Leute, die diese Eigenschaften an uns zu schätzen wissen, für diese Art des Lebens gewinnen werden.
Natürlich wird dieses Beispiel um so deutlicher, wenn wir nicht nur heimlich aufrechte und nachdenkliche Menschen sind, sondern diese unsere Überzeugung auch durch Wort, Schrift, Symbole, Kunst oder Medien nach außen tragen. Das heißt, eine gesunde (nicht übertriebene, in Blindheit ausartende) Form von Stolz ist durchaus angebracht.
Zeigen wir uns doch denen, die da meinen, dass es cool sei, oberflächlich in den Tag hinein zu leben und sich als Spielball der Industrie und politischer Interessen manipulieren zu lassen! Zeigen wir ihnen doch, dass es auch anders geht... dass wir nicht länger die Außenseiter in einer Welt voller Arschlöcher sind, sondern dass wir bereits auf einen der frühen Züge, die gen Evolution fahren, aufgesprungen sind... und dass diejenigen, die noch zurückbleiben, vielleicht bald die Verlassenen und Unverstandenen sein werden, wenn sie weiterhin Dummheiten begehen und sinnlos konsumieren, anstatt zu sich selbst zu finden und damit aufzuhören, die Fehler und falschen Schlußfolgerungen ihrer Vorfahren immer und immer wieder aufs Neue zu begehen!
Stolz ist angebracht... auf das, was wir dank unserer Lebenseinstellung bereits erreicht haben, und nicht zuletzt auch auf all die Fehler, die wir durch sie schon vermeiden konnten und in Zukunft noch vermeiden werden.
Stolz sein und Flagge zeigen in Verbindung mit dem Leben unserer Ideale und Wertvorstellungen... das ist wohl das Beste, was jeder Einzelne von uns zu einer Veränderung der Zustände auf dieser Welt beitragen kann.
Natürlich werden wir es nicht schaffen, diese Veränderung bis zu ihrem Endpunkt mitzuerleben. Das sollte jedem klar sein, damit er sich keine falschen Hoffnungen auf ein Leben im Paradies auf Erden macht.
Wir gestalten und erleben lediglich einen Teil der Strecke dorthin... andere, die nach uns kommen, werden weitergehen.
Doch das ist eigentlich kein Grund zur Sorge... schließlich ist es ja eines der Charakteristika einer Evolution, dass sie nicht von heute auf morgen über die Bühne geht (wie so manche Revolution), sondern dass sich langfristig das, was nachhaltig nutzbringender und sinnvoller ist, durchsetzen wird.
Vielleicht werden wir in unserem ganzen Leben durch die Art, wie wir leben, nur zwei oder drei Menschen nachhaltig beeindrucken und in eine andere Bahn bringen. Ziemlich frustrierend, mag man meinen... aber wenn diese wenigen Menschen es uns gleich tun und ebenfalls in ihrem ganzen Leben nur jeweils zwei oder drei Menschen verändern, und immer so weiter, dann hätten wir in einigen tausend Jahren dennoch die ganze Welt verändert.


Epilog


Eine konkrete Anleitung dazu, wie man sich in bestimmten Situationen zu verhalten hat, und was genau im Einzelfall die richtige Entscheidung ist, kann und will die Unity-Philosophie nicht geben... denn es ist ja geradezu ein essentieller Bestandteil der ganzen Idee, dass man selbständig nachdenkt und aus eigenen Überlegungen heraus zu Ergebnissen und Lösungen kommt.
Ich bitte daher darum, den Text nicht als starre, wortwörtlich zu nehmende Bibel anzusehen, sondern als Inspirationsquelle... als einen von vielen Ratgebern, die einem im Lauf des Lebens in die Hände fallen. Und natürlich auch als ein Manifest. Ein Manifest dafür, dass diese hier beschriebene Art zu Denken und zu Handeln existiert, und dass, völlig gleich, was die Zukunft auch bringen mag, niemand, dem dieser Text aus der Seele spricht, so ganz alleine auf diesem Planeten ist.
Wer weiß, vielleicht wird die Welt morgen in einem lauten Knall zugrunde gehen... vielleicht kommt dieser Ruf nach Evolution schon ein paar hundert Jahre zu spät.
Vielleicht wird der Text auch gerade von ein paar Leuten gelesen, die sich darüber lustig machen, und sich fragen: „Was hat der denn für ein Problem? Es geht uns heute doch relativ gut!"
All das ist in meinen Augen irrelevant. Denn ich habe diesen Text nicht für unseren Planeten geschrieben, nicht für jene, die in ihrem starren, althergebrachten Denken gefangen sind, und nicht für irgendeine Partei oder Organisation.
Dieser Text ist für all diejenigen, die genauso denken wie ich und nicht die Möglichkeiten hatten, der Welt diese Botschaft persönlich auszurichten. Es ist meine, ihre, unsere Wahrheit.
Jetzt, wo ihr sie kennt, steht es euch frei, damit zu tun und zu lassen, was immer ihr wollt.
dian
unregistriert
09.12.2007 19:08 Diesen Beitrag einem Moderator melden Zum Anfang der Seite springen

So. Endlich fertig!
Ich hoffe, der eine oder andere von euch kann sich ein wenig damit identifizieren.
Wenn nicht... wenn euch irgendwas ankotzt, ich etwas Wichtiges vergessen habe, irgendwo Blödsinn schreibe oder ihr Rechtschreibfehler findet... so lasst es mich wissen. Da sind nämlich garantiert noch ein paar vergurkte Stellen drin.

Ich hoffe natürlich auch, dass ich trotz aller Zurückhaltung noch provokant genug war, damit sich daraus vielleicht die eine oder andere neue Diskussion ergibt und ins Board wieder etwas mehr Gesprächigkeit einkehrt.
Arne Kroger
unregistriert
10.12.2007 04:03 Diesen Beitrag einem Moderator melden Zum Anfang der Seite springen

Ja, wie ich Dir schon sagte, werde ich das schön langsam, Kapitel für Kapitel lesen.
Ich hab' erstmal mit dem Prolog angefangen.
Halte ich zwar für günstiger, dass man das alles in einem Zusammenhang diskutiert, aber zwei Sachen sind mir aufgefallen, die ich schon mal wenigstens als Gedankenstütze für mich festhalte:

Einmal ist mir aufgefallen, dass Du den Begriff der "faschistoiden" Gesellschaft verwendest. Darüber hatten wir in den letzten Tagen öfters mal Diskussionen, wie man mit dem Begriff umgehen soll. Eigentlich ist der wertlos, wenn man den nicht definiert. Insofern würde ich den durch was anderes, fassbareres ersetzen.

Und dann ist mir das noch zu optimistisch vom Gefühl her. Gibt eigentlich viel zu wenig Vorteile heute, von denen noch jeder in den westlichen Industrieländern profitieren könnte, wenn er nicht genug Geld hat. Da geht es nicht nur um weniger Futter auf einmal, sondern auch darum, dass sich die Ordnungsmächte immer mehr herausnehmen. Wenn die Leute also jetzt etwas merken würde, dass sich einiges gerade verändert und mehr aufmucken würde, wäre das imo besser, als dass sie sich durch Karl Moik und Dieter Bohlen beruhigen lassen würden wie die letzten Vollidioten.
Sprich: Darf ruhig etwas elitärer klingen und darauf verweisen, dass 80% der meisten Menschen eh nur Watte in der Birne haben, wie es auch ungefähr in der alten Philosophie stand. Aber kommt evtl. noch deutlicher.

Yog-Sothoth




10.12.2007 06:13 Diesen Beitrag einem Moderator melden Zum Anfang der Seite springen

Na das ist doch mal ein Manifest mit dem ich was anfangen kann! großes Grinsen

...der Schluss hat allerdings ein bisschen was resignierendes, nach dem Motto "Mit Gewalt erreicht man nichts", und "Es reicht 2 oder 3 Menschen zu überzeugen". Aber unabhängig davon ob Gewalt nun der richtige Weg ist sollten wir doch mal überlegen, ob man das nicht ein bisschen aktiver angehen kann, sowohl allgemein, als auch jedes Problem für sich betrachtet. Zum Beispiel werden wir auf nachfolgende Generationen weniger Einfluss haben, wenn wir kinderlos bleiben. Zunge raus

P.S.: Ich hab' dian mal eine Liste mit gefundenen Rechtschreibfehlern gepostet, ist also evtl. sinnloser Aufwand da jetzt nach zu suchen, bevor er das korrigiert hat. Augenzwinkern
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dian
unregistriert
10.12.2007 10:42 Diesen Beitrag einem Moderator melden Zum Anfang der Seite springen

Danke für die Hinweise, Yog!
Solche kleinen Fehler wie die, die du gefunden hast, sind oft die tückischsten. Die automatische Rechtschreibprüfung stört sich in der Regel nicht an einem "zu", das irgendwo steht, wo es nicht hingehört, oder an einem "n" oder "m" zu viel am Wortende. Und wenn ich selbst über meinen Text drüberlese, übersehe ich das meistens auch.

Ich hab das jetzt auch gleich hier im Text korrigiert...
das heißt, wenn ihr weitere Fehler findet, dann immer her damit!
monster
unregistriert
10.12.2007 14:48 Diesen Beitrag einem Moderator melden Zum Anfang der Seite springen

Hab mir noch nich alles durchgelesen (Prolog und Kapitel 1, 2 und 3 bis jetzt), aber das ist schonmal wunderbärchen.

Amok




10.12.2007 22:22 Diesen Beitrag einem Moderator melden Zum Anfang der Seite springen

Danke Dian solche Texte sollte es öfters geben.

Dieser Beitrag wurde 1 mal editiert, zum letzten Mal von Amok am 10.12.2007 22:25.



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Lovecraft

Großer Alter


10.12.2007 22:55 Diesen Beitrag einem Moderator melden Zum Anfang der Seite springen

Das ist ja ein komplettes, ausformuliertes Buch. Kannst Du Dich nicht kurzfassen, oder was? Bei so langen Texten besteht eher die Gefahr, daß sie gar nicht mehr gelesen werden; dazu bräuchte ich mehr als eine ausgedehnte Mittagspause ... :-/
Sollte eine Unity-Philosophie nicht eher gemeinschaftlich im Forum erarbeitet oder besser gesagt diskutiert werden? Den Anstoß dazu braucht es ja nicht mehr ...

Sollen sie mich doch hassen, wenn sie mich bloß fürchten. (Unveröffentlichtes Abizeitungs-Lebensmotto)
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Amok




10.12.2007 23:09 Diesen Beitrag einem Moderator melden Zum Anfang der Seite springen

Ließt du keine Bücher bist du lesefaul oder was hast du für Probleme? Warum sollte er sich kurzfassen? Die neue Unity-Philosophie ist bereits noch viel zu kurz.

Freundschaft Freihet Gerechtigkeit Aufrichtigkeit Ritterlichkeit
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Yog-Sothoth




11.12.2007 01:39 Diesen Beitrag einem Moderator melden Zum Anfang der Seite springen

Zitat:
Original von Lovecraft
Sollte eine Unity-Philosophie nicht eher gemeinschaftlich im Forum erarbeitet oder besser gesagt diskutiert werden? Den Anstoß dazu braucht es ja nicht mehr ...

Theoretisch ja, aber du kannst ja mal gucken was bei unserem letzten Versuch dabei rausgekommen ist: großes Grinsen http://www.theunity.de/archiv/viewthread.php?tid=803

...ich denke da ist es wesentlich praktikabler, wenn eine Person die ein Gefühl dafür hat, was in etwa einer Unity-Philosophie entsprechen könnte etwas vorlegt, und das dann nachher ausdiskutiert wird.

Recht gelungen finde ich übrigens den Epilog, der betont dass man den Text immer noch selbstkritisch betrachten und nicht wörtlich nehmen soll, und die Tatsache dass in dem Manifest keine Lösungen vorgestellt werden. Lösungsansätze sollen schließlich im Forum diskutiert, und nicht aus einem heiligen Buch zitiert werden. Augenzwinkern
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Arne Kroger
unregistriert
11.12.2007 05:16 Diesen Beitrag einem Moderator melden Zum Anfang der Seite springen

Dann lies es langsamer, @Lovecraft.
Ich finde es eh immer ein schlechtes Benehmen, wenn man solche Texte, mit denen @Dian sich jetzt lange abgequält hat, in ein paar Stunden zu Ende liest und mache das immer aus Rücksicht auf die Autoren so, dass ich Kapitelweise vorgehe, um auch dieser Einteilung etwas Respekt zu zollen.

Zu Kapitel 1:
Mir fehlt da etwas die sonst immer doch vorhandene zynische Ader von @Dian. Ich selber würde eher provokant mit der später geäußerten These anfangen, dass fast jeder, der heute lebt, vor 70 Jahren ein begeisterter Nazi gewesen wäre und das dann anhand dieser existierenden Gruppenzwänge beweisen.
Hansi
unregistriert
11.12.2007 15:23 Diesen Beitrag einem Moderator melden Zum Anfang der Seite springen

Also ich bin jetzt bei Kapitel 9 und les gleich noch den Rest und ich finds richtig gut gelungen. Die von einigen hier angekreidete "positive Stimmung" find ich überhaupt nicht schlecht. Ich mein, es müssen ja nicht immer tiefschwarze, depressive und zynische Texte sein. Ich finds top.
Arne Kroger
unregistriert
11.12.2007 23:10 Diesen Beitrag einem Moderator melden Zum Anfang der Seite springen

Zum zweiten Kapitel:

Da würde ich persönlich die Abschaffung der Schulpflicht noch mehr zum Hauptthema machen. Die ist btw überhaupt nicht mehr so akzeptiert, wie es scheint. Wir haben ganz klar die Anweisung, in den ersten Wochen der Aufnahme von Kindern und Jugendlichen mit Verhaltensauffälligkeiten sie nicht zur Schule schicken. Aber das ist eben nur in den Heilpädagogenkreisen mittlerweile bekannt, ich glaube kaum, dass das schon in der Gesellschaft angekommen ist, wahrscheinlich nicht mal bei den sog. Pädagogen, auch Lehrern genannt.

Insgesamt erscheint mir das auch schon leicht veraltet, weil es noch den Schulalltag aus den achtziger/neunziger Jahren wiedergibt. Da hat sich ja auch einiges geändert, auf das man mal hinweisen müsste. Die Schulzeit ist im Interesse der früheren Verwertbarkeit von Menschen für das Kapital zusammengestrichen worden (fängt mit 5 an und einer Fremdsprache, mit der man bestimmt nie was anfangen kann, und hört mit dem 12.Schuljahr auf).
Nebenher ist ja auch die Selektion verschoben worden, und es gibt sog. "Elite-Unis", die vom Staat dazu ernannt werden (nicht etwa, weil da besonders fähige Studenten herkamen. Von der Elite-Uni in NRW, Aachen, höre ich immer nur, dass da Profs am Uniklinikum arbeiten, die -zig Patienten mit HIV oder ähnlichem verseucht haben, das ist wohl elitär). Dem Rest soll eben nicht mehr unter die Arme gegriffen werden, wie das evtl. noch in den neunziger Jahren war, sondern die sollen sich mit Billigstudienabschlüssen a la Bachelor oder so'n Kram abfinden und sich dann zum akademischen Proletariat verpissen, wo man die auch mal mit Bezügen der unteren Lohnklassen abfinden kann.

Und so ganz verstehe ich nicht, was mit dem Schulsystem der DDR war. Ich kenne es nicht, nicht mal aus Erzählungen (im Gegensatz zu dem NS-Schulsystem, was btw kaum Unterschiede zu dem heutigen aufwies, soweit mir meine Eltern berichten konnten). Finnland hat das alte DDR-System zu fast 100% mal übernommen und ist eigentlich ganz gut damit gefahren, wenn man mal so die offizielle Darstellung als wahr annehmen würde.

Da könntet Ihr, @Hansi oder @hopeless, evtl. mal Eure Eltern zu befragen.

Ach so, und @Hansi:
Ich finde einfach nur, dass @Dian besser ist, wenn er zynische Texte verfasst. Liest sich imo leichter als all zu sachliche Aufzählungen.
dian
unregistriert
11.12.2007 23:30 Diesen Beitrag einem Moderator melden Zum Anfang der Seite springen

@ Lovecraft:
Zitat:
Sollte eine Unity-Philosophie nicht eher gemeinschaftlich im Forum erarbeitet oder besser gesagt diskutiert werden?

Also grundsätzlich hat hier jeder das Recht, sich mit anderen zusammenzusetzen, zu diskutieren und das Ergebnis dieser Diskussionen dann als "Unity-Philosophie" in Buchform zu veröffentlichen.
Ich werde dir oder sonstwem aus dem Forum jedenfalls keinerlei Steine in den Weg legen, wenn ihr euch von meinem Geschreibsel nicht anständig vertreten fühlt und zu mir in Konkurrenz gehen wollt.
Aber das Ding, was ich jetzt hier geschrieben habe, das musste ich wirklich allein durchziehen. Das ist mein Glaube, das sind meine Träume, meine Ideale, meine Vorstellungen, wie es besser laufen könnte...
Das ist, wenn du so willst, mein weltanschauliches Vermächtnis an die Nachwelt. Und beim schriftlichen Niederlegen dieses Vermächtnisses werde ich keinerlei Kompromisse eingehen.
Nicht ich frage die Menschen um Erlaubnis, ob ihnen meine Meinung denn genehm ist... sondern ich verteile meine Meinung unter die Leute, und lasse dann jeden für sich selbst entscheiden, ob er mit jemandem wie mir im selben Forum rumhängen möchte oder nicht.
Im Übrigen siehst du doch in der Politik, was dabei rauskommt, wenn sich 100 kritische Geister zusammensetzen und gemeinsam ein Parteiprogramm erarbeiten...
am Ende ist alles voller fauler Kompromisse, Widersprüche und hohler Phrasen. Keiner fühlt sich mehr so wirklich davon vertreten, aber dafür hat jeder das gute Gefühl, ein kleines bisschen daran mitgewirkt zu haben.
Naja, ist jedenfalls nicht mein Ding, so eine "von allem ein bisschen, und von nix richtig"-Politik.
Mich interessiert eure Meinung aufrichtig, und ich kann nicht ausschließen, dass ich aufgrund eurer Meinung noch das eine oder andere ändern werde. Aber letztlich muss die Entscheidung bei mir liegen.
In der Hinsicht bin ich Faschist... und bin es gerne. fuerer

Und allgemein, @ Arne und Co., was die Stimmung des Textes angeht:
Ich habe mich wirklich ganz bewusst darum bemüht, diesmal auf Nihilismus und das Herbeiwünschen irgendwelcher schwarzer Löcher zu verzichten.
Die Unity-Philosophie soll nicht meine Entfremdung von der Menschheit zum Thema haben, sondern so konstruktiv wie es mir eben möglich ist, Lösungsansätze aufzeigen.
Ich sehe den Text auch ein bisschen als eine Art Best Of der Themen an, mit denen ich mich in den letzten 7 Jahren hier im Netz beschäftigt habe.
Das muss jetzt einfach mal schriftlich für die Ewigkeit fixiert werden.
Die Sau rauslassen kann ich dann ja in meinem nächsten Werk wieder, falls ich das Gefühl habe, dass es nötig werden sollte.
Hmm... wobei, ich wollte ja noch ein bisschen Bonusmaterial hinzufügen...
Ich denke, dass ich da für die Nihilismus-Fraktion schon auch noch was lustiges finden werde.
Zur Zeit muss ich mich aber erstmal von dem Schock erholen, wie langweilig ich viele meiner alten Texte mittlerweile finde. Da besteht eindeutig auch noch Überarbeitungsbedarf.

Zitat:
Insgesamt erscheint mir das auch schon leicht veraltet, weil es noch den Schulalltag aus den achtziger/neunziger Jahren wiedergibt. Da hat sich ja auch einiges geändert, auf das man mal hinweisen müsste. Die Schulzeit ist im Interesse der früheren Verwertbarkeit von Menschen für das Kapital zusammengestrichen worden (fängt mit 5 an und einer Fremdsprache, mit der man bestimmt nie was anfangen kann, und hört mit dem 12.Schuljahr auf).

Klar habe ich das Kapitel ziemlich allgemein gehalten, und hätte da noch auf unzählige Details eingehen können... zumindest ein paar mehr konkrete Beispiele erwähnen, wie ich es etwa in Kapitel 4 zum Thema Sicherheitswahn gemacht habe.
Andererseits, warum konkret auf Bachelor oder Abitur nach 12 Jahren eingehen, wenn ich den ganzen Unfug sowieso für komplett überflüssig halte? Und ich denke, das wird im Text ja auch deutlich. Wenn ich da noch dran weitergeschrieben hätte, wäre das höchstwahrscheinlich in Geschwätzigkeit ausgeartet. (Das war sowieso eines der Kapitel, bei denen ich mir etwas schwerer getan habe, und die ich mehrmals komplett zerstückeln und dann wieder neu zusammensetzen musste, bis es einigermaßen gepasst hat.)

Zitat:
Und so ganz verstehe ich nicht, was mit dem Schulsystem der DDR war.

Na eben das, was ich in dem Zusammenhang geschrieben habe. Dass es auch in erster Linie dazu diente, die Kinder zu produktiven Staatsbürgern zu erziehen. Wobei "produktiv" letztlich auch in einem sozialistischen System wie der DDR nichts anderes bedeutet hat, als im kapitalistischen Westen oder damals bei den Nazis.
Eben die Bereitschaft, sich einzuordnen und mitzuschaffen an was auch immer. Ob man dazu dann Arbeiterlieder und die Internationale singt, oder das Horst Wessel-Lied, macht doch eigentlich keinen Unterschied. Was zählt, ist die dahintersteckende Kollektivierungs-Absicht. Und die war in den DDR-Schulen, nach allem was ich mitbekommen habe, sogar noch um einiges ausgeprägter als hierzulande. (auch, wenn das natürlich von den Schülern nicht zwangsläufig als negativ empfunden wurde.)
Arne Kroger
unregistriert
12.12.2007 00:12 Diesen Beitrag einem Moderator melden Zum Anfang der Seite springen

Naja, insofern sollte zumindest jeder in irgendeiner Form seinen Senf dazu beitragen, damit innerhalb des Forums auch sichtbar wird, wo noch Differenzen sein könnten oder wo in den einzelnen Details eben noch Unterschiede bestehen.

Aber irgendwie war das DDR-Schulsystem ja wohl nicht ganz so gegen Revolte wohl aufgebaut wie das der BRD, denn sonst gäbe es ja die DDR noch. Zunge raus

Lovecraft

Großer Alter


12.12.2007 21:30 Diesen Beitrag einem Moderator melden Zum Anfang der Seite springen

At Dian:
Ok.
Aber das braucht noch etwas Zeit für mich zu lesen, wenn ich mir dieses Pamphlet überhaupt jemals komplett durchlese. Bei Gelegenheit werde ich mich mal darauf beziehen, wenn ich das geschafft habe. Einiges ist ja ganz nett, aber Du wirst es nicht glauben, beim Überfliegen regte sich an manchen Stellen schon Widerstand gegen Deine Ausführungen zu Schulpflicht, Geschichte der Nationen, anarchistischen Reflexen und Gewaltphantasien. Aber so muß es ja sein.

Zitat:
ist es doch im Zweifelsfall ungleich sinnvoller, einen mathematisch wenig gebildeten, aber innerlich ausgeglichenen Menschen auf die Gesellschaft loszulassen, als ein durch Schulstress und Konkurrenzkampf seelisch kaputtgemachtes Rechengenie.

Heee! Damit trittst Du aber einigen hier auf die Füße ...

Sollen sie mich doch hassen, wenn sie mich bloß fürchten. (Unveröffentlichtes Abizeitungs-Lebensmotto)
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