zanthia unregistriert
 |
|
Rollenspiele und Motivation
24.09.2008 01:32 |
 |
Rollenspiele sind harmlos solange sie nicht zu einer Identifizierung führen, die beibehalten wird. Es ist sehr leicht, einer Rolle zu verfallen, sofern sie vom Umfeld „belohnt“ wird. Es besteht die Gefahr, sich darauf sehr schnell reduzieren zu lassen und damit sich selbst und anderen nicht gerecht zu werden. Dies ist eine einfache und häufige Art , unglücklich mit sich selbst und seinen Mitmenschen zu werden.
Ist eine Rolle erst einmal etabliert, (für die Entstehung einer Rolle braucht es ja mindestens 2 ), so verbindet der, der sie verkörpert schnell eine Vereinfachung und Aufwertung damit, der, der sie nutzt, wird es möglicherweise nicht vermeiden, dort auch noch zusätzliche Erwartungen anzuhängen.
Mal konkret: die Rolle eines Kranken und eines Pflegers. Es ist sehr einfach, ein Pfleger zu sein, hat man sich an seine Tätigkeit gewöhnt, kennt die damit verbundenen Arbeiten, Hindernisse und Bereicherungen. Er wird sich gerne in die Kategorie des Pflegers einreihen, sofern der Kranke ihn belohnt, indem er ihm dankt, ihn lobt und ihm klarmacht, wie sehr er ihn braucht. Der Kranke selbst genießt seine Rolle durch die Aufmerksamkeit und das Mitleid, das ihm zuteil wird. Sekundärer Krankheitsgewinn ist ein Ausdruck, dessen Bedeutung sich lohnt ausgedehnt zu werden. Sowohl auf den Pfleger selbst, als auf jede Art von Rolle.
Die Unterteilung Freuds in „primärer“ „sekundärer“ und „tertiärer“ Krankheitsgewinn, verkompliziert die Sache, um die es eigentlich geht: den Gewinn. Nach Freud hätte der Pfleger einen tertiären Krankheitsgewinn...
Keine Handlung erfolgt ohne Hoffnung auf Gewinn. Eine Heilung selbst bedeutet die Veränderung und den Ausbruch aus einer Rolle. Bestenfalls wird dies als wünschenswert empfunden.
Rollen jedoch machen unfrei und reduzieren, sofern sie mehr sind als ein Spiel. Und sie verhindern Neuerungen und Veränderungen. Ist das (Handlungs-)Motiv, krank zu bleiben stärker, als das Motiv genesen zu wollen, ist in der Krankenpflege etwas schief gelaufen. Bei Krankem und Pfleger ist eine Abhängigkeit entstanden. In diesem Fall ist dies leichter einzusehen als in anderen Fällen. Ein Alkoholiker beispielsweise schafft in seinem Umfeld sehr schnell co-abhängige Mitmenschen, die bereit sind, seine Probleme zu vertuschen und ihm diskret Alkohol zukommen zu lassen.
Interessant an diesem ganzen Thema ist für mich die Möglichkeit der nahezu unbegrenzten Ausdehnung der Problematik, um menschliche Motive zu beleuchten. „Motivation“ ist ein wichtiges Element, welches verantwortlich dafür scheint, zum Gelingen oder Misslingen unseres Lebens. Ganz gleich, in welche Rollen man sich „fügt“, sie erleichtern einem Entscheidungen und Handlungen, gewährleisten einem Kontinuität und versprechen Sicherheit und Zuverlässigkeit. Sich mit ihnen voll zu identifizieren geben einem Profil. Der Umgang und die Kommunikation mit Menschen, oder gar „Gleichgesinnten“ (Anhängern der jeweiligen Rolle) bescheren einem Aufmerksamkeit und Zuspruch. Es ist leichter und verständlicher, wenn man sagt, man sei ein Faulpelz oder Phlegmatiker, als wenn man erklären müsste, dass man die zu erledigenden Tätigkeiten zum Kotzen langweilig findet und dass man sich schämt, sich nicht dazu aufraffen zu können. Um die ganze „Historie“ seines Unmotiviertseins aufzuklären, müsste man zu weit ausholen , als dass sich dafür noch ein verständiger Zuhörer finden würde. Die Methode, die man hier verwendet ist jedoch die selbe, wie die des Kranken. Man hat eine Rolle gefunden, die das Nachempfinden den Mitmenschen erleichtern soll. Und man hat eine Identität aufgebaut, mit der es sich einfacher leben lässt. Ob ich nun ein Asexueller, ein Depri, ein Zoophiler oder ein Fettklopps bin, Tatsache ist, dass die Identifikation mit einer solchen Rolle mich begrenzt und handlungs-bestimmend wird.
Ein Mensch der es nicht schafft, abzunehmen, hat unterbewusst mehr Motive fett zu bleiben,als schlank zu werden, egal, wie viele Diäten verzweifelt gescheitert sind.
Das fatale an Rollen ist Stagnation. Jede Handlung wird unterbewusst darauf ausgerichtet sein, die einmal angenommene Rolle auch zu vervollkommnen.
|
|
|
|
|
dian unregistriert
 |
|
Ich habe mir mit diesem von der Gesellschaft erwarteten Rollenspiel schon immer schwer getan.
Richtig auffällig wurde das, als ich im Zuge meines abgebrochenen Lehramtstudiums mal probehalber eine Klasse (an einer Hauptschule) unterrichten sollte.
Erwartet wird von einem angehenden Lehrer natürlich, dass er ein gewisses Maß an Autorität ausstrahlt und natürlich auch die Distanz eines Erwachsenen zu seinen Schülern wahrt.
Ich hingegen konnte gar nicht anders, als der selbe zu sein, der ich immer bin.
Ich hab vorher noch einen kleinen Joint geraucht, und habe mich dann 45 Minuten sehr locker und auf Augenhöhe mit den kleinen Gangstern unterhalten.
Ich wäre mir auch völlig lächerlich vorgekommen, wenn ich auf einmal nicht mehr der Dian, der ich immer bin, gewesen wäre, sondern der "Herr Lehrer".
Es wäre mir wie ein Betrug erschienen...
und wenn ich sehe, wie irgendwelche Leute im Berufsleben den arroganten Beamten oder Chef raushängen lassen, und dann im Privatleben plötzlich der treusorgende Familienvater sind, dann sind das für mich irgendwie auch alles Betrüger. Klar, sie tun es nicht aus Boshaftigkeit, sondern weil es eben so von ihnen verlangt wird und sie irgendwie ihr Geld verdienen müssen...
trotzdem, auf mich wirkt das immer ziemlich befremdlich.
Daher sind mir eigentlich immer diejenigen Jobs am liebsten gewesen, in denen man mich in Ruhe lässt und ich außer dem Ausführen einer bestimmten Funktion keinerlei schauspielerische Leistungen erbringen muss.
Beispielsweise am Fließband irgendeinen Scheiß verpacken, als chronisch unmotivierter Zivi, oder als DJ hinter den Plattentellern stehend und mich ganz der Musik hinzugebend... sowas ist ok für mich.
Aber nicht, wenn ich als Mensch plötzlich ein ganz anderer werden muss, um meinen Job auszüben.
Etwa, beim Kontakt mit Kunden zu schleimen und übertrieben freundlich zu sein, oder als Lehrer, Steuereintreiber oder Polizist das genaue Gegenteil davon tun... nämlich hart sein, unbarmherzig und autoritär...
Das erinnert mich daran, wie ich neulich im Getränkemarkt von einem Typen bedient wurde, dem man seine nationalistische Gesinnung schon auf den ersten Blick angesehen hat.
Er war sehr nett und freundlich zu mir... hat die Rolle des Verkäufers wirklich gut gespielt. (mal abgesehen von seiner Glatze und den einschlägigen Tätowierungen auf dem Arm)
Aber ich wusste genau: In seiner Freizeit ist der ein völlig anderer Mensch... einer von der Sorte, die "Deutschland den Deutschen!" gröhlen und am liebsten das örtliche Asylantenheim abfackeln möchte.
Irgendwie gruselig, wie sehr Menschen in ihrer Rolle aufgehen können...
|
|
|
|
|
nemesus unregistriert
 |
|
Laut einer Studie der Universität Maryland aus den 1960er Jahren erhöht die einmalige Einnahme von Lysergsäurediethylamid (LSD 25 oder auch kurz: LSD) den IQ eines Menschen dauerhaft um 10 Punkte.
Prof. Dr. T. Leary erklärt den Vorgang mit seinem eigens etablierten Vokabular: Drogen wie LSD sind nicht realitätserweiternd, sie sind realitätsverschiebend. Das Individuum schlüpft aus seinem Realitätstunnel (von dem ich behaupten möchte, dass es sich wohl um die abstrakteste aller Rollen handelt, die deshalb auch am schwersten zu erkennen ist) und nimmt verschiedene Realitätstunnel an. Die daraus resultierende Erfahrung allerdings ist bewusstseinserweiternd, was erklärt, weshalb der "erhöhte Stand" dauerhaft etabliert bleibt, auch, wenn LSD nicht mehr im Köprer nachgewiesen werden kann.
Eine Alternativerklärung für den stabilen IQ-Stand haben wir übrigens seit den 1980er Jahren. Bei CTs konnte nachgewiesen werden, dass ein Mensch auf LSD exakt die gleichen Hirnaktivitäten aufweist, wie ein ZEN-Meister bei der Meditation.
Einer meiner Helden, David Cronenberg, beschreibt in seinem Film eXistenZ ein Computerspiel, in dem es darum geht, verschiedene Situationen zu meistern. Erst danach geht es auf die nächsten Level (die nächsten Bewusstseinsebenen?). Da die Konsole während des Spielens direkt mit dem Rückenmark verbunden ist, bekommt der Spieler eine völlig realistische Spieleumgebung geliefert, die alle Sinne anspricht. Die Akteure im Film haben später massive Probleme, die unterschiedlichen Realitätsebenen >>Realität<< und >>Virtuelle Realität<< zu unterscheiden.
Ich würde mir wünschen, dass es in Zukunft nicht nur das REALE? Spiel
>>eXistenZ<< gibt, sondern auch meine erdachten Nachfolgetitel
>>rEalitäT<< und
>>INdividualitäT<<
Da würde ich gerne mal einige Spielchen spielen.
Gruß,
nemi
>>Das Leben... - Scheiss Spiel aber gute Grafik.<<
Dieser Beitrag wurde 2 mal editiert, zum letzten Mal von nemesus am 24.09.2008 16:57.
|
|
|
|
|
zanthia unregistriert
 |
|
Zitat: |
Original von dian
Ich habe mir mit diesem von der Gesellschaft erwarteten Rollenspiel schon immer schwer getan. |
ich auch. und ich sehe es auch nicht ein, mich mit irgendeiner aufgezwungenen rolle zu identifizieren. ich kann für kurze zeit eine rolle spielen, aber ich lasse mich dann von niemandem darauf festnageln.
Zitat: |
Es wäre mir wie ein Betrug erschienen...
|
was es ja auch ist. an sich selbst und an anderen.
Zitat: |
Irgendwie gruselig, wie sehr Menschen in ihrer Rolle aufgehen können... |
in der tat. nur die rolle des neonazis ist ja auch nichts anderes , als eine rolle, die nur deshalb zu greueltaten motiviert, weil der betreffende sich damit identifiziert und sie vervollkommnen möchte. er hätte aber keine chance auf eine solche rolle, wenn es keine anderen menschen gäbe, die diese anerkennen und fördern. und das tun im grunde alle, die ihn in seiner rolle ernst nehmen. sowohl seine feinde, als auch seine freunde.
was bleibt übrig vom menschen, wenn man sämtliche rollen dekonstruiert? ...vielleicht die erleuchtung, die ein zen-meister in der meditation erlebt...
|
|
|
|
|
|
...auf der anderen Seite gibt es einem natürlich auch Sicherheiten, wenn man weiß dass andere ihre Rollen mehr oder weniger zuverläßig übernehmen. Ist doch auch ganz angenehm, wenn eine alleinerziehende Mutter jemanden fragen kann, ob er kurz die Rolle des Babysitters übernehmen kann; von ganz allgemeinen Beispielen wie dem Supermarkt und der Apotheke nebenan, die regelmäßig geöffnet haben mal abgesehen. ^^
Ich behaupte mal solange der Mensch ein "soziales Wesen" ist, also in Gemeinschaft lebt (und nicht etwa als Eremit unterwegs ist) ist es wichtig, dass Rollen übernommen werden - zumindest, wenn man das Überleben der Menschheit sichern will.
|
|
|
|
|
zanthia unregistriert
 |
|
Zitat: |
Original von Yog-Sothoth
...auf der anderen Seite gibt es einem natürlich auch Sicherheiten, wenn man weiß dass andere ihre Rollen mehr oder weniger zuverläßig übernehmen. Ist doch auch ganz angenehm, wenn eine alleinerziehende Mutter jemanden fragen kann, ob er kurz die Rolle des Babysitters übernehmen kann; von ganz allgemeinen Beispielen wie dem Supermarkt und der Apotheke nebenan, die regelmäßig geöffnet haben mal abgesehen. ^^
Ich behaupte mal solange der Mensch ein "soziales Wesen" ist, also in Gemeinschaft lebt (und nicht etwa als Eremit unterwegs ist) ist es wichtig, dass Rollen übernommen werden - zumindest, wenn man das Überleben der Menschheit sichern will.
|
ich finde es auch nicht bedenklich, rollen zu übernehmen oder zu spielen. problematisch wird es aus meiner sicht erst mit der identifizierung.
wenn ein schauspieler, der oft den bösewicht spielt, dann plötzlich im realen leben wirklich böse wird, weil er sich zu sehr mit seinen rollen identifiziert hat, würden wir sagen , er hat nen hau weg bekommen. dass das aber der normale durchschnittsmensch mehrfach im leben mit der größten selbstverständlichkeit macht, fällt irgendwie niemandem auf...
|
|
|
|
|
dian unregistriert
 |
|
@ Yog-Sothoth:
Zitat: |
...auf der anderen Seite gibt es einem natürlich auch Sicherheiten, wenn man weiß dass andere ihre Rollen mehr oder weniger zuverläßig übernehmen. Ist doch auch ganz angenehm, wenn eine alleinerziehende Mutter jemanden fragen kann, ob er kurz die Rolle des Babysitters übernehmen kann; von ganz allgemeinen Beispielen wie dem Supermarkt und der Apotheke nebenan, die regelmäßig geöffnet haben mal abgesehen. |
Ich weiß nicht, ob man unbedingt zwangsläufig eine bestimmte Rolle spielen muss, nur weil man einem anderen Menschen einen Dienst erweist.
Geht das nicht auch ohne?
Kann ich dem Menschen diesen Dienst nicht EHRLICH erweisen, so, wie ich eben bin?
Wenn ich privat jemandem bei etwas unter die Arme greife, sage ich ja auch nicht: "So, jetzt spiele ich mal die Rolle des Freundes."
Sondern ich BIN der Freund, weil das, was ich zu geben habe, von Herzen kommt und somit ein Teil von mir ist.
Das Problem daran ist nur:
In der Gesellschaft, im Geschäftsleben, überall dort, wo heutzutage Rollen gespielt werden, kommt das meiste eben längst nicht mehr von Herzen.
Man passt nicht auf das Baby auf, weil einem das Baby wichtig ist, sondern weil man sich etwas dazuverdienen möchte...
das würde man der Mutter aber natürlich so direkt nicht ins Gesicht sagen wollen, weil sie sich dann wohl einen Babysitter suchen würde, der sich aufs Rumschleimen etwas besser versteht...
tja, und deshalb schlüpft man eben dann in diese Rolle des Babysitters, um im erbitterten Konkurrenzkampf auf dem Babysitter-Markt mithalten zu können.
(ok, ist ein etwas blödes Beispiel. Aber es kam ja auch nicht von mir.
)
Was ich damit sagen will, ist einfach:
Ehrlichkeit wäre mir lieber als jemand, der seine Rolle perfekt spielt und hintenrum vielleicht ganz anders denkt. Aber Ehrlichkeit und ein System wie das unsere passen leider irgendwie nicht so recht zusammen.
|
|
|
|
|
|
Hehe - lustig dass eure Beiträge gerade in völlig entgegengesetzte Richtungen zu gehen scheinen !
Während zanthia das Problem der Identifikation beschreibt, ist es dian wichtig dass man seine Rolle* ernst nimmt, und sie nicht bloß "spielt"; auf mein Beispiel bezogen also nicht bloß die Rolle des Babysitters spielt, sondern tatsächlich derjenige ist, der sich um das Kind sorgt und auf es aufpasst.
...ist natürlich nur ein Scheinwiderspruch, da ihr verschiedene Aspekte der Identifikation ansprecht. ^^
@dian: Ich sagte "Rolle übernehmen", nicht "Rolle spielen". Und um Wettbewerbsdenken ging's mir in meinem Babysitter-Beispiel auch nicht wirklich!
* ja, das sind meine Worte, dian würde hier nicht von "Rolle" sprechen
|
|
|
|
|
|